Es rattert. Es ist kalt. Angst liegt in der Luft. Marc Hirschi (27) strahlt trotzdem. «Der Silver Star ist meine Lieblingsbahn», sagt er. Der Kettenlift zieht den Zug 73 Meter hoch. Dann geht es los. 127 km/h, rauf und runter, Schwerelosigkeit. Bis zu 4 g drücken auf den Körper. Nach drei Minuten ist alles vorbei. Hirschi meint: «Einfach genial.»
Roland Thalmann (32) erlebt das anders. Der Teamkollege ist bleich, legt sich hin. Während Hirschi Marroni isst, will Thalmann nur eines: Ruhe. «Ich bin zum ersten Mal hier. Sehr schön. Auch die Silver Star war cool. Aber mein Magen ist nicht der stabilste.»
Dann ruft Tudor-CEO Raphael Meyer: «Jetzt machen wir die Schweizer Bobbahn!» Thalmann protestiert: «Ich cha nüme!» Meyer bleibt hart. «Alle zusammen. Als Team.» Thalmann steigt ein. Mannschaftsdienlich – auch neben dem Velo. Kurz darauf ist auch die Bobbahn geschafft.
Zeit für Ernst. Hirschi: «2025 war nicht das, was ich mir erhofft hatte. Und was das Team von mir erwartet hätte.» Ein Sieg steht zu Buche: gleich beim ersten Rennen im Tudor-Trikot. Januar, Valencia. Kein grosses Rennen. «Ich hätte nicht gedacht, dass es mein letzter Erfolg bleibt.» Hochs und Tiefs habe es gegeben. Wie bei einer Achterbahnfahrt. «Ich habe viel gelernt und will das 2026 umsetzen.»
Cancellara: «Weg noch lange nicht zu Ende»
Im nachgebauten Walliser Europa-Park-Dörfchen riecht es nach Raclette und Weisswein. «Raclette gibts daheim sicher mal», sagt Hirschi. Ab Neujahr gehts dann wieder rund, geschmolzener Käse ist tabu. Dann zählt nur der Radsport. «Wenn alles passt und ich fit bin, ist viel möglich.» Wie 2022: Etappensieg an der Tour, Sieg bei der Flèche Wallonne, WM-Bronze. Hirschi, der Shootingstar.
Zeit ist vergangen, Hirschis Stern glühte nur noch selten. Was ändert er nun? Die Ardennen im Frühling bleiben Schwerpunkt. «Ich gehe später ins Höhentrainingslager, kürzer, dafür intensiver. Und ich fahre davor weniger Rennen.» Zusammen mit Trainer Sebastian Deckert zieht er die Konsequenzen.
Tudor-Boss Fabian Cancellara glaubt an Hirschi. «Und an das Team. Unser Weg ist noch lange nicht zu Ende.» Tudor erhält ab Januar automatische Startplätze für alle World-Tour-Rennen. Giro, Tour, Vuelta. Das gebe Planungssicherheit, sagt Meyer. «Wir brauchen kein A-, B- und C-Programm mehr.» Doch nicht nur die Profis sind wichtig – auch die 15 Fahrer des Devo-Teams sollen ihre Ausbildung fortsetzen.
In Sursee LU entsteht das neue Tudor-Hauptquartier. Es kostet 18 Millionen Franken, umfasst sechs Stockwerke und bietet 10’000 Quadratmeter Fläche. Im Frühling 2027 soll es fertig sein – Fans sind stets willkommen.
Neuzugang Küng schliesst Tudor-Lücke
Als Pro-Team zweiter Klasse darf Tudor in der kommenden Saison Rennen auslassen. Eine Freiheit, die World-Tour-Teams nicht haben. Das Ziel bleibt ehrgeizig. 15 Siege gab es 2025. Mehr sollen folgen. «Wir wollen wieder zu den drei besten Pro-Teams gehören, in der Weltrangliste steigen und eine Etappe bei einer grossen Rundfahrt gewinnen.»
Neu dabei ist Stefan Küng (32). Der Thurgauer wird einer der Teamleader sein. Er soll vor allem bei Paris–Roubaix, der Flandern-Rundfahrt und in Zeitfahren glänzen – diese Rennen liegen ihm besonders.
Tudor will die Fahrer auch privat kennen
Wer letztlich Siege und Top-Platzierungen holt, ist egal. Küng, Hirschi, Julian Alaphilippe (33, Fr) oder ein anderer der 27 Fahrer. Der Ansatz Tudors bleibt: Leistung mit Herz. «Uns ist wichtig, dass es den Fahrern gut geht», sagt Meyer. Tage wie dieser im Europa-Park zählen.
Meyer: «Marc ist normalerweise sehr ruhig, eher introvertiert. Wenn ich sehe, wie er hier strahlt, geht mir das Herz auf. Solche Momente sind enorm wertvoll, der Radsport ist weit weg, so auch das Chef-Mitarbeiter-Verhältnis. Wir reden, lachen, lernen uns von einer privaten Seite kennen. Das schafft Vertrauen.»
Hirschi vertraut auch den Bahnen. Er steigt in die Voltron Nevera im Themenbereich Kroatien. Sie startet direkt mit einem Looping. Thalmann muss passen. Hirschi sitzt vorne. Sekunden später ist alles vorbei. «Kurz war ich nervös. Aber es reizt mich. Mir wird nie schlecht.» Schon als Kind nicht. Sommer für Sommer ging es nach Südfrankreich ans Meer, Campingplatz, viel Sport, Freizeitparks. «Eine schöne Zeit. Draussen sein, spielen, Sport. Die Bahnen waren kleiner, aber lustig.»
Der Tag im Europa-Park neigt sich dem Ende zu. Es wird dunkel. Zeit, zu gehen. «Ein cooler Tag», sagt Hirschi. Und ergänzt: «Wenn er ein gutes Omen für 2026 ist, nehme ich das gern.»