«Hoeness-Besuch ist schlecht für Kahn»
Babbel analysiert die Bayern-Brandherde

Im Titelrennen in Rücklage, alle weiteren Saisonziele eh schon abgeschrieben: Bayern München schlingert dem Endspurt entgegen. Blick-Experte Markus Babbel (50) sagt, wo es hakt.
Publiziert: 30.04.2023 um 08:57 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2023 um 09:27 Uhr
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Die Bayern-Chefetage (v.l.: Präsident Hainer, CEO Kahn, Sportchef Salihamidzic) steht in diesen Tagen in der Kritik.
Foto: imago/Jan Huebner

Drei Titel wollte Bayern München in dieser Saison holen. Einen Monat vor Ende der Spielzeit ist die Bilanz ernüchternd. Champions League: Futsch. DFB-Pokal: Futsch. Bundesliga: Saisonziel Meisterschale in Gefahr. Der stolze Serienmeister (zuletzt 10 Titel in Folge) droht, komplett ohne Titel zu bleiben. Blick-Experte Markus Babbel (261 Spiele für Bayern, Europameister, 2x Uefa-Cup-Sieger, 4x deutscher Meister) analysiert die Bayern-Brandherde:

Die Chefetage

«Ich staune, wie hart CEO Oliver Kahn in seinem erst zweiten Jahr schon kritisiert wird. Natürlich: Er war lange zu zurückhaltend. Aber in den letzten Wochen ist er im Kampfmodus, wie wir ihn von früher kennen. Das gefällt mir. Darum erstaunt mich der Auftritt von Uli Hoeness, der diese Woche in der Bayern-Zentrale für alle Welt sichtbar auf dem Trainingsplatz mit Trainer Thomas Tuchel diskutiert hat. Wir wissen alle, dass er immer noch der grosse Bayern-Patron ist. Aber wenn ich mit Tuchel, Kahn oder Salihamidzic sprechen will, dann fahre ich an der Säbener Strasse in die Tiefgarage und bespreche das intern, ohne dass es die ganze Welt mitbekommt. Hoeness hat diesen Auftritt ganz bewusst so inszeniert. Er wusste, dass diese Bilder Wellen schlagen werden. Vielleicht will er zeigen, dass er sich immer noch um ‹seinen› FC Bayern kümmert. Oder er will sagen: Schaut, ich mache das, was Kahn eigentlich tun sollte. Für Kahn ist dieser Auftritt auf jeden Fall schlecht. Dann ist da noch Hasan Salihamidzic, der als Sportvorstand ein Kader zusammengestellt hat, das individuell top besetzt ist. Aber es passt am Ende nicht zusammen, das muss er sich ankreiden lassen.»

Die Mentalität

«Die Ausstrahlung ist komplett weg. Das vielbesungene ‹Mia san Mia›? Fehlanzeige. Das zeigt sich übrigens auch in der Statistik: Die Bayern-Mannschaft dieser Saison läuft regelmässig über 120 km pro Spiel – so viel wie nie zuvor. Das bedeutet, dass sie einen unglaublichen Aufwand betreiben muss, um ihre Spiele zu gewinnen, auch gegen Mannschaften wie Köln und Mainz. Sie bekommen es nicht hin, die individuelle Klasse auf den Platz zu bringen. Dieser Mannschaft fehlt das Miteinander. Manchester City oder Real Madrid wirken wie ein Team, wo einer für den anderen geht. Das geht den Bayern ab. Ich rate dem FC Bayern dringend auch zu mehr Demut: Man kann nicht jedes Jahr alle Titel gewinnen wollen. Es braucht sehr viel, es muss alles zusammenpassen. So etwas muss in einer Saison wachsen, das kann man nicht befehlen. Darum: wieder demütiger sein.»

Die Führungsspieler

«Ex-Trainer Julian Nagelsmann hat sich mit Thomas Müller und Manuel Neuer angelegt, hat an ihrer Stelle Leon Goretzka und Joshua Kimmich zu seinen Führungsspielern gemacht. Aber die haben Mühe, abzuliefern. Kimmich ist ein gutes Beispiel: In der Champions-League-Saison 2019/20 haben wir alle von ihm geschwärmt. Aber er hat seine besten Spiele als Rechtsverteidiger gemacht. Jetzt spielt er auf der Sechs und will zu viel: Er will überall sein, alle Probleme aufs Mal lösen. Das zeigt, welch fantastischen Ehrgeiz er hat. Aber bei ihm wäre weniger mehr. Wenn er sich aufs Wesentliche fokussieren würde, würde die Mannschaft mehr profitieren. Zuletzt gegen Mainz war er richtig schwach und wurde ausgewechselt – vielleicht war das ein Warnschuss für ihn.»

Die Torhüter

«Ich halte Yann Sommer immer noch für eine Top-Lösung für den FC Bayern. Klar, er befindet sich in einer schwierigen Phase. Aber die Ausgangslage war auch schwierig: Er kommt im Winter in eine Truppe, die nicht intakt ist. Die neuen Mitspieler schauen erst einmal kritisch hin, wer da den grossen Manuel Neuer ersetzen soll. Und dann fehlt dir auch noch das Spielglück. Er hat wenige Bälle aufs Tor gekriegt und kaum welche, die so gefährlich waren, dass man sagen musste: «Wow, den hält er jetzt überragend.» Das brauchst du aber, damit du von Anfang an deinen Wert beweisen kannst. Und irgendwann passiert, was jedem Torwart mal passiert: Du kassierst einen, den du halten kannst. Dann geht bei den Bayern die Maschinerie los, dann wirst du medial an die Wand gestellt. Das kannte Yann trotz seiner Erfahrung nicht. Ich glaube, er wird daraus lernen und gestärkt aus dieser Geschichte hervorgehen. Spannend wird es im Sommer. Nach allem, was ich höre, wird Neuer stark zurückkommen. Wenn kein Rückschlag mehr kommt, wird er dann wieder die Nummer 1 sein. Dann muss sich Yann fragen, wie es weitergehen soll.»

Die Nummer 9

«Seit dem Abgang von Lewandowski fehlt den Bayern ein Mann mit Weltklasseformat in der Sturmspitze. Sadio Mané ist ein hervorragender Spieler, aber er ist ein Aussenspieler, der vielleicht mal im Zentrum aushelfen kann, wenn Not am Mann ist. Das hat Salihamidzic unterschätzt und hat darum nicht noch einen Mittelstürmer neben Choupo-Moting geholt. Im Nachhinein muss man sagen: Man hätte noch ein Jahr mit Lewandowski machen und den Vertrag auslaufen lassen sollen, statt die Ablöse einzustreichen – auch wenn er sich mit Nagelsmann überhaupt nicht mehr verstanden hat. Da wird im Sommer auf jeden Fall etwas passieren, gut möglich, dass eine dreistellige Millionen-Summe in die Hand genommen wird, um das Loch zu stopfen. Immerhin.»

Der Trainer

«Ich halte Thomas Tuchel für einen hervorragenden Mann. Er hatte einen sensationellen Start, wie er sich präsentiert hat. Dass ein grosser Trainer wie er keine Antwort findet, wie er den kompletten Spannungsabfall, den diese Mannschaft im Moment erlebt, bewältigen soll, zeigt, wie vertrackt die Situation ist. Aber da muss er jetzt durch, das schafft er schon. Allerdings erst nächste Saison. Ich habe meine Zweifel, dass er es diese Saison noch hinkriegt.»

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