Darum gehts
- Riola Xhemaili schiesst Schweiz ins EM-Viertelfinale und begeistert mit ihren Interviews
- Xhemaili galt als grösstes Schweizer Talent, kämpfte aber mit Rückschlägen
- Mit 17 debütierte sie für die Nationalmannschaft, wurde 2023 aus WM-Kader gestrichen
Die Schweiz ist seit gestern ein klein wenig schockverliebt. Erst das Tor zum kollektiven Delirium in der 92. Minute gegen Finnland. Und dann noch diese Interviews hinterher. Fröhlich, emotional und stets frei Schnauze.
Riola Xhemaili (22) ist am Donnerstagabend dort angekommen, wo die Medien sie schon vor Jahren hingeschrieben haben. Aber bevor sie den Gipfel stürmen konnte, musste die Offensivspielerin erst einmal ein paar dunkle Täler durchqueren.
Man lobt sie als das grösste Schweizer Talent
Als sie 2021 vom FC Basel zum SC Freiburg in die Bundesliga geht, titelt das sonst eher nüchterne SRF: «Das grösste Schweizer Talent wechselt ins Ausland.» Xhemaili gilt als Überfliegerin im Schweizer Frauenfussball. Eine Spielerin mit dem gewissen Etwas. Eine Fantasista, eine Dribblerin mit Lust auf Tore.
Xhemailis Aufstieg scheint unaufhaltsam. Seit sie als Elfjährige das erste Mal mit dem FC Solothurn trainiert hat, hat ihr Weg nur eine Richtung gekannt: nach oben. Und es geht schnell, weil ihr Talent so augenscheinlich ist.
Giuseppe Morello (39) ist Trainer, als Xhemaili in der U15 des FC Basel spielt. Er macht sie zum Captain – in einer Mannschaft, in der sonst nur Buben spielen. «Sie war sehr spielintelligent und technisch versiert», erzählt Morello, «sie war schon damals eine ganz tolle Persönlichkeit.»
Probleme hatten die Jungs mit dem Entscheid nicht. «Sie hatte eine super Art, andere mitzunehmen», erinnert sich Morello. Vor allem aber sei Xhemaili respektiert worden, «weil sie fussballerisch gleich gut oder sogar besser war als die Buben».
Im Erwachsenenfussball fühlt sie sich erst als Fremdkörper
Aber es fällt ihr nicht alles ganz so leicht, wie es von aussen den Anschein haben mag. Als sie mit 15 das erste Mal mit den erwachsenen Frauen des FC Basel spielt, sagt sie zunächst kein Wort. «Ich habe mich wie ein Fremdkörper gefühlt», hat sie kürzlich «20 Minuten» erzählt: «Ich ging ins Training, dann bin ich nach Hause und habe geweint.» Was sie nicht daran hindert, in ihrem ersten Spiel in der höchsten Schweizer Liga ein Tor zu erzielen.
Noch bevor sie 16 Jahre alt ist, trägt sie bereits das Captain-Band im Frauenteam des FCB. Mit 17 spielt sie das erste Mal für das Schweizer Nationalteam – und wird ausgerechnet für ihr damaliges Idol Ramona Bachmann eingewechselt. Auch, weil sie sich an die Ratschläge ihrer Eltern hält.
In den Achtzigern sind Rufa und Johni Xhemaili aus dem Kosovo in die Schweiz ausgewandert. Sie arbeitet als Uhrmacherin, er als Maler. Beide geben ihren Kindern ein paar Grundsätze mit ins Leben: Immer dankbar sein. Immer hart arbeiten. Nie aufgeben.
Die enge Beziehung zum Zwillingsbruder
Es hilft Riola Xhemaili auch, dass sie zu Beginn fast alle Schritte mit ihrem Zwillingsbruder Rion macht. Gemeinsam spielen sie fünf Jahre lang beim FC Solothurn. Und wenn sie nicht im Klub trainieren, fordern sie sich auf dem Roten Platz ihres Wohnorts Biberist (SO) gegenseitig heraus. Später wechseln beide in den Nachwuchs nach Basel.
Die Beziehung der beiden ist eng. Wenn sie sich nicht persönlich sehen, telefonieren sie oder schreiben sich. Und zwar «andauernd». So hat es Xhemaili einmal erzählt. Auf seinem Instagram-Profil ist zu hören, wie begeistert Rion an diesem Donnerstag auf den Rängen brüllt, als seine Zwillingsschwester auf dem Genfer Rasen den Viertelfinal-Einzug feiert.
Aber zwischen der gemeinsamen Zeit beim FCB und der Party im Stade de Genève liegen komplizierte Jahre. In der zweiten Saison in Freiburg wird sie von der Start- zur Einwechselspielerin. Und dann kommt der Hammer: Als Letzte wird sie 2023 aus dem WM-Aufgebot der Nati gestrichen. Erst denkt sie, es sei ein Witz. Dann zieht es ihr den Boden unter den Füssen weg.
Es hilft nicht, dass sie in diesem Zustand zum VfL Wolfsburg wechselt, einem der besten Teams in Europa. In der Saison 2023/24 kommt sie bloss zu Kurzeinsätzen. Im Nationalteam spielt sie keine Rolle mehr. Und dann sind da noch die ständigen Hasskommentare, die sie und ihre Familie treffen.
Hassnachrichten aus zwei Ländern
2024 zeigt sie auf Instagram einen Teil der Nachrichten, die sie erhält, weil sie für die Schweiz statt für den Kosovo spielt. Aus dem Geburtsland ihrer Eltern wird sie wegen des Entscheids beleidigt, aus der Schweiz, weil ihr Name nicht schweizerisch genug ist.
«Meine Wurzeln kommen aus dem Kosovo. Das wird sich nie ändern», antwortet sie den Hatern. Und: «Ich spiele für die Schweiz, weil ich dankbar bin, in so einem tollen Land aufgewachsen zu sein.» Es ist eine starke, eine erwachsene Botschaft, die sie ins Netz stellt.
Riola Xhemaili ist im letzten Jahr noch einmal gewachsen. Sie hat sich zum PSV Eindhoven ausleihen lassen, wo sie 16 Skorerpunkte sammelt. Auch darum schafft sie im letzten Moment den Sprung ins EM-Kader, auch wenn sie bis zuletzt zittert.
Es sind wenige Worte, mit denen Pia Sundhage (65) Riola Xhemaili kurz vor Turnierstart mitteilt, dass sie dabei ist: «Ich gratuliere.» Am Donnerstag, in der 92. Minute, dürfte sich Sundhage für ihren Entscheid selbst gratuliert haben.