Kampf um Anerkennung
Wie Vorurteile den IV-Entscheid beeinflussen

Fibromyalgie-Patientinnen leiden unter chronischen Schmerzen – doch die IV glaubt ihnen oft nicht, weil sich die Krankheit medizinisch nicht nachweisen lässt. Anwältin Stephanie C. Elms kritisiert das System und wünscht sich mehr Menschlichkeit.
Publiziert: 00:09 Uhr
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Die Anwältin und Expertin für Sozialversicherungsrecht, Stephanie C. Elms, kennt viele Fibromyalgie-Fälle. Sie fordert einen Systemwechsel.
Foto: zVg

Darum gehts

  • Fibromyalgie ist kaum nachweisbar, Betroffene erhalten deshalb keine IV-Leistungen
  • Gutachter beurteilen auch nach Äusserlichkeiten statt nach Krankengeschichte
  • Anwältin fordert mehr Menschlichkeit und Wissen über «Frauenkrankheiten» wie FMS
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sebastian BabicReporter Blick

Zahlreiche Krankheiten machen das Leben der Betroffenen zur Hölle – aber bei der IV haben diese kaum eine Chance. Wie Migräne oder Reizdarm gehört Fibromyalgie (FMS) – also der sogenannte Muskelfaserschmerz – zu den «primären Schmerzsyndromen»: extrem belastend für die Betroffenen, doch medizinisch nicht objektivierbar. Heisst: Sie sind nicht eindeutig messbar.

Die Anwältin Stephanie C. Elms (41) kennt viele solcher Patienten aus erster Hand. Sie ist spezialisiert auf Sozialversicherungsrecht, ist Partnerin bei der Kanzlei Schadenanwaelte und betreut zurzeit gleich mehrere FMS-Fälle. Sie erklärt: «Versicherungen müssen sich vorwiegend auf subjektive Angaben verlassen, und das fällt ihnen schwer.»

Krankheiten, die sich messen oder bildgebend darstellen lassen, seien einfach zu beurteilen. «Fibromyalgie ist aber nicht testbar», erklärt Elms. «Der Arzt muss sich bei der Diagnostik stark auf die Aussagen der Betroffenen verlassen.»

Positives wird negativ ausgelegt

Eigentlich müssten IV-Gutachter Akten, behandelnde Ärzte und sogar Angehörige einbeziehen. «Ansonsten fallen die Gutachten oberflächlich aus – mit dem Fazit, die Beschwerden seien nicht objektivierbar.»

Brisant: Wenn ein Gutachten dazu führt, dass keine Leistungen gesprochen werden, wird das von der IV in der Regel akzeptiert. Nachfragen werden erst gestellt, wenn die IV Geld zahlen müsste: «Dann fordert die IV nicht selten ein neues Gutachten ein», sagt Elms. 

Manchmal werden unerwartete Faktoren negativ ausgelegt. Im Fall von Natalie Schmid störten sich Gutachter daran, dass sie «zu gepflegt» und «zu freundlich» war. Elms kennt ähnliche Begründungen: «Wir haben schon Gutachten gesehen, in denen stand, eine Frau habe manikürte Hände oder sei zu gepflegt gewesen – und das wurde dann als Hinweis interpretiert, dass sie nicht stark eingeschränkt sei.»

«Frauenkrankheiten» besonders heikel

Sich gegen einen negativen IV-Entscheid zu wehren, ist nicht aussichtslos. Nur: Der Gang vor Gericht kostet Zeit, Kraft und Geld. «Viele Kranke sind dazu gar nicht in der Lage», sagt Elms.

Nutzen Versicherungen das aus? «Möglich», sagt die erfahrene Anwältin: «Wenn eine Versicherung zuerst einmal Nein sagt und abwartet, wer sich wehrt, dann kann das ökonomisch durchaus eine ‹Rechnung› sein – zynisch, aber durchaus realistisch.»

Das Resultat: «Viele Betroffene fallen heute durch alle Raster und landen beim Sozialamt», sagt Elms. «Obwohl sie krank sind und dort nicht hingehören.»

Auffällig: Gerade sogenannte Frauenkrankheiten werden oft nicht anerkannt. Migräne betrifft doppelt so viele Frauen wie Männer, bei Fibromyalgie ist das Verhältnis gar 7 zu 1. «Frauenkrankheiten sind schlechter erforscht – und das merkt man auch in der Versicherungsmedizin», sagt Elms.

Ihr Wunsch für die Zukunft: «Wir brauchen mehr Menschlichkeit in diesem System – auch wenn es nie für alle perfekt sein wird», so Elms. 

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