Marco H. (42) kümmert sich um seine demente Mutter – das hat seinen Preis
«Für die Pflege bekomme ich einen Hungerlohn»

Ein Berner Koch will seine schwer demente Mutter aus unwürdigen Zuständen befreien und sie zu Hause zu pflegen. Unter seiner Rundum-Betreuung blüht die 75-Jährige wieder auf, doch für den Sohn beginnt ein neuer, existenzieller Kampf.
Publiziert: 14:02 Uhr
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Aktualisiert: 15:59 Uhr
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Marco Z. kümmert sich seit gut einem Jahr voll um seine demente Mutter Emilie H.
Foto: Martin Meul

Darum gehts

  • Sohn pflegt demente Mutter zu Hause, kämpft mit finanziellen Herausforderungen
  • Emilie H. leidet an Demenz im Endstadium, erkennt ihren Sohn nicht immer
  • Marco Z. erhält nur 1800 Franken monatlich für 50 Pflegestunden
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Martin MeulReporter News

Die Rentnerin Emilie H.* (75) leidet an Demenz im Endstadium. Sie spricht kaum noch, lebt in ihrer eigenen Welt. «Manchmal erkennt sie mich, manchmal nicht», sagt Marco Z.* (42), ihr Sohn. Die beiden leben in einem Mehrfamilienhaus in der Nähe von Köniz BE. 

Aus dem Heim geholt

Die Frau, die einst im Berner Inselspital gearbeitet oder ein Pflegeheim in Zürich geleitet hat, ist heute schwer krank. Marco Z. berichtet: «Die ersten Anzeichen gab es im Jahr 2019. Meine Mutter bekam zunehmend Probleme mit einfachen Aufgaben wie der Terminorganisation.»

Zu diesem Zeitpunkt wohnt sie in Bayern. Die Eskalation kommt 2022. «Sie kaufte komplett impulsiv ein Auto und fuhr in die Schweiz. Doch statt der normalen vier Stunden war sie 12 Stunden unterwegs, niemand weiss, wo», so der Sohn. 

Emilie H. kommt in eine betreute Wohnung für Demenzkranke. Zunächst passt es, doch dann wird die Betreuung schlechter. «Es ging ihr nicht mehr gut. Sie wurde oft fixiert, bekam zu viele Medikamente – sie baute rapide ab», sagt Marco Z. «Es war würdelos für meine Mutter.»

Im Sommer 2024 verliert der gelernte Koch Z. seinen Job. Es ist der Moment, in dem er beschliesst, seine Mutter zu sich zu nehmen und sich voll um sie zu kümmern. «Ich wollte, dass es ihr so gut wie möglich geht.»

«Für keine Sekunde aus den Augen lassen»

Der Umzug zu ihrem Sohn tut Emilie H. sehr gut. «Die Medikamente konnten reduziert werden, sie wurde wieder deutlich mobiler, blühte auf», freut sich Marco Z. 

Doch Emilie H. ist schwer dement, daran lässt sich nichts ändern. Während des Gesprächs mit Blick sitzt sie mal am Tisch, hört scheinbar zu, dann aber steht sie plötzlich auf, um sich an den Kabeln des Fernsehers schaffen zu machen. «Man kann sie keine Sekunde aus den Augen lassen», sagt ihr Sohn. «Es kann sein, dass sie Steine isst, wenn sie Hunger hat. Sie ist körperlich da, aber ihr Geist ist schon gegangen.»

Sich um seine Mutter zu kümmern, ist für Marco Z. ein Vollzeitjob. «Im letzten Jahr hatte ich fünf Tage frei», sagt er. Einer Erwerbsarbeit nachgehen kann er nicht. «Ich kann sie ja nicht einmal für 20 Minuten alleine lassen, Pause habe ich nur, wenn sie schläft.»

12,5 Stunden pro Woche

Statt Koch ist Marco Z. nun Privatpfleger. Das Problem: Finanziell ist es sehr eng. In der Schweiz gibt es zwar Angebote, die pflegende Angehörige finanziell unterstützen. Doch es gibt schon länger Kritik an dem Modell, da einige Anbieter einen gewichtigen Teil als Administrationskosten einbehalten.

Den beiden zusammen stehen pro Monat etwa 4700 Franken zur Verfügung. Etwa 2900 Franken kommen dabei von der Rentnerin, zusammengesetzt aus dem Mietanteil, der Hilflosenentschädigung der IV und Mieteinnahmen einer Wohnung, die Emilie H. noch in Deutschland besitzt. Ergänzungsleistungen gibt es nicht, eben wegen jener Wohnung. «Wir sind dabei, sie zu verkaufen, aber das dauert», sagt Z. 

Marco Z. selbst wird für die Betreuung und die Pflege seiner Mutter auch bezahlt, doch der Lohn ist überschaubar: Pro Monat gibt es für ihn rund 1800 Franken, bezahlt von der Krankenkasse. 

Grund dafür ist der tiefe Stundenansatz. Denn gemäss der Organisation Pflegewegweiser, die sich um die Organisation von Angehörigenpflege kümmert, reichen 12,5 Stunden pro Wochen, sprich 50 Stunden pro Monat, um die demente Frau zu pflegen. «Das ist ein Witz, es sind eher 50 pro Woche», sagt der Sohn. Hinzu komme der enorme bürokratische Aufwand, um diesen Lohn zu bekommen. «Für die Vollzeitpflege meiner Mutter bekomme ich einen Hungerlohn.»

Nur ausgewählte Tätigkeiten

Besonders bitter: Zunächst wurden Marco Z. noch 70 Stunden pro Monat angerechnet. «Doch weil es meiner Mutter etwas besser ging, wurde der Bedarf auf 50 Stunden zurückgestuft.» 

Blick fragt nach bei Pflegewegweiser. «Nur ausgewählte pflegerische Tätigkeiten wie Unterstützung beim Toilettengang, Ankleiden oder Waschen dürfen überhaupt als vergütungsfähige Grundpflege erfasst werden», erklärt Mediensprecherin Annika Behrens. Das Problem: Tätigkeiten der Alltagsbetreuung – Einkaufen, Haushalt, soziale Begleitung – gehören nicht zu den abrechenbaren Pflegeleistungen.

So wirbt die Organisation Pflegewegweiser für ihr Angebot
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In der Praxis führt das dazu, dass bei Angehörigenpflege nur etwa 1 bis 1,5 Stunden pro Tag anerkannt werden. Behrens fügt hinzu: «Die monatliche Entschädigung für pflegende Angehörige bemisst sich somit ausschliesslich am anerkannten Pflegeaufwand – nicht an der tatsächlichen Präsenz oder Betreuung rund um die Uhr – und liegt aktuell bei im Schnitt zwischen 1000 und 1500 Franken pro Monat.»

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«Ich bin ihr das schuldig»

Ein wichtiger Schritt für Marco Z. wäre deshalb, dass die Beiständin seiner Mutter die Unterhaltsbeiträge aus dem Vermögen anhebt, sobald mehr flüssige Mittel zur Verfügung stehen – also wenn die Wohnung in Deutschland verkauft ist. Um die Zeit zu überbrücken, hat Marco Z. im Internet eine Spendenkampagne lanciert. «Wir hungern zwar nicht, aber es würde uns sehr helfen», sagt er.

Seine Mutter einfach einem Heim übergeben, will der Koch aber auch nicht. «Sie hat so viel für mich getan, ich bin ihr das schuldig, dass sie im bestmöglichen Umfeld leben kann, solange es geht», sagt er, während er schon wieder nach seiner Mutter schauen muss. Emilie H. hat gerade den Wasserhahn im Badezimmer aufgedreht – ohne erkennbaren Grund.

* Namen bekannt 

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