Betroffene zu IV-Gutachten
«Ich werde nie mehr Vertrauen in dieses System fassen können»

Die Invalidenversicherung steht vor Veränderungen. Bundesrätin Baume-Schneider möchte fragwürdige Gutachten eindämmen und setzt auf verstärkte interne Kontrollen. Betroffene reagieren auf die geplanten Reformen.
Publiziert: 04.09.2025 um 20:57 Uhr
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Das Vorgehen von IV-Gutachtern sorgte in der Vergangenheit für Kritik.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Änderungen bei Invalidenversicherung geplant: weniger externe Gutachter und mehr Kontrollen
  • Gesundheitsministerin will Vertrauen wiederherstellen
  • Betroffene erzählen, ob sie dieses Vertrauen je wieder finden können
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Nastasja HofmannRedaktorin Politik

Der Bund sagt dubiosen IV-Gutachtern den Kampf an: Bei der Invalidenversicherung (IV) sollen Änderungen her. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (61, SP) will mit verstärkten Kontrollen fragwürdige Gutachten eindämmen. Laut internen Dokumenten, die Blick vorliegen, sollen Versicherte künftig intensiver begleitet und vermehrt durch interne Stellen abgeklärt werden und nicht mehr durch externe Ärzte. Dort sind in den letzten Jahren vermehrt Missstände bekannt geworden.

So berichteten gegenüber dem Blick immer wieder Betroffene von ihren Erfahrungen mit der IV. Ihre Anträge wurden abgelehnt oder verzögert – oft trotz chronischer Erkrankungen, Schmerzen und damit Arbeitsunfähigkeit. Zudem wurde ein Fall eines IV-Arztes publik, der im Nebenjob 150 Gutachten pro Jahr erstellte und dafür über eine halbe Million Franken kassierte. Umstrittenen IV-Gutachtern drohen auch Gerichtsfälle.

Blick hat bei Betroffenen nachgefragt, was sie von den geplanten Neuerungen halten und ob sie wieder Vertrauen ins System fassen können.

Gaetanoi Cangeri (23)

Im Oktober 2023 machte Blick den Fall von Gaetanoi Cangeri (23) bekannt. Der junge Mann aus Laufenburg AG leidet an einem chronischen Erschöpfungssyndrom. Seit 2021 bemüht er sich um eine IV-Rente. Nun sagt er zu Blick, dass sich noch immer nichts getan habe. Zwar durchlief er in der Zwischenzeit eines von mehreren notwendigen Gutachten. Weil sein Fall zu kompliziert sei, bekam er aber plötzlich keine weiteren Termine. «Aktuell lebe ich noch von Spenden. Das ist die einzige Möglichkeit, wie ich meine Therapie und meine Diagnostik noch bezahlen kann.» Mit seiner Anwältin versucht er deshalb weiterhin, seine IV-Rente zu erkämpfen. Die Bestrebungen vom Bund, das System zu verbessern, befürwortet er. «Ich bin der Erste, der sich an vorderster Front für eine Verbesserung einsetzt», sagt er zu Blick. Jedoch sei es schwierig, das Vertrauen wieder herzustellen. «Wenn ich ehrlich bin, ist mein Vertrauen in das IV-System komplett weg.» 

Reto M.* (49)

Auch der von Rückenschmerzen geplagte Reto M.* (49) hat seine Mühe mit der IV. «Ich werde nie mehr Vertrauen in dieses System fassen können», meint er beim heutigen Gespräch. Reto M. erlitt vor Jahren einen Bandscheibenvorfall. Trotz mehrerer Operationen blieben seine Schmerzen. Die IV wehrte sich aber gegen seinen Rentenanspruch. Seitdem Blick im Oktober 2024 seinen Fall erzählte, habe sich wenig getan. Obwohl er vom St. Galler Gericht recht bekommen hat, lasse ihn die IV weiterhin warten. In der Zwischenzeit hatte er 6 weitere Untersuchungen. Durch das Zufallsprinzip, das bei IV-Gutachten angewendet wird, fanden diese viermal in Bern, einmal in Baden AG und einmal in Zürich statt. «Diese Reisen von teilweise drei Stunden pro Weg schaden meiner Gesundheit zusätzlich», sagt Reto M. Es findet es zwar gut, dass der Bund handeln will, aber das Zufallsprinzip müsste in seinen Augen ebenfalls im Sinne Betroffener verbessert werden.

Angelika Kutzer (55)

«Ich bin von dieser Meldung völlig positiv überrascht», sagt die Betroffene Angelika Kutzer (55) am Telefon. Mit 40 hatte sie einen schweren Autounfall. Die Verletzung am Hals bereitete ihr in den vergangenen 15 Jahren immer wieder Probleme – und vor allem Schmerzen. Seit ihrem letzten Gespräch mit Blick im Dezember 2023 habe sich ihr Zustand weiter verschlechtert. Inzwischen leide sie neben starken Nackenschmerzen auch an wiederkehrenden Problemen mit Armen und Händen. Nach langem Kampf bekam Kutzer 2023 eine IV-Halbrente zugesprochen. Aufgrund der Verschlechterung ihres Zustandes möchte sie nun ein erneutes Verfahren eingeben. «Ich muss aber aufpassen, dass mir nach einem neuen Gutachten nicht noch die 50 Prozent gekürzt werden. Denn der Haken im System beginnt meist bei den Gutachten», zeigt sie sich besorgt. Sie hoffe aber darauf, dass der Anstoss vom Bund nachhaltig etwas verbessern wird.

* Name geändert

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