Darum gehts
- Schweizer Pharmabranche unter Druck durch US-Zölle und interne Herausforderungen
- Krisengipfel zwischen Bund und Pharmaindustrie nach den Sommerferien geplant
- 39-%-US-Zölle betreffen 60 % des Schweizer Exports, etwa 30 Milliarden Franken
Mittwochabend im Magistrale in Locarno, einem altehrwürdigen Hof, der zur Tessiner Fachhochschule Supsi gehört. Präsidentin Maja Hoffmann (69) eröffnet das Filmfestival. Etwas erhöht steht sie vor dem Publikum und hält eine Rede, bevor der Risotto geschöpft wird und der weisse Merlot fliesst. Sie spricht auf Französisch. Der Text enthält viele Worthülsen über die Kraft des Films. Hoffmann liest ab. Manchmal verhaspelt sie sich. Es ist eine mittelmässig vorgetragene, mittelmässige Rede. Doch stört das hier niemanden. Das Publikum – ein Cocktail aus Tessiner Society und Deutschschweizer Kulturszene – hängt ihr trotzdem an den Lippen. Eine Maja Hoffmann kann es sich leisten, mittelmässige Reden zu halten. Sie ist Mitglied der Roche-Besitzerfamilie, deren Vermögen laut «Bilanz» auf rund 29 Milliarden Franken geschätzt wird.
Die Schweiz hat keinen Adel, aber Wirtschaftsdynastien. Und nirgends ballt sich deren Macht stärker als bei jenen, die die in Basel heimische Pharma kontrollieren. Die Branche liefert 5,4 Prozent an die gesamte Schweizer Wirtschaftsleistung. Das heisst: Mehr als jeder zwanzigste Franken wird bei Novartis, Roche, Sandoz und anderen Konzernen erwirtschaftet. Das Geschäft mit Medikamenten ist ein leises; ebenso scheu geben sich seine Fürstinnen und Fürsten.
Seit US-Präsident Donald Trump (79) die Schweiz mit einem 39-Prozent-Zoll in Schockstarre versetzt hat, steht die Pharma am Pranger. Die Schweizer Firmen erzielen in den Vereinigten Staaten exorbitante Gewinne. Pharmazeutika machen die Hälfte des Werts der globalen helvetischen Warenexporte aus. Am rentabelsten ist das USA-Geschäft, wo die Preise überdurchschnittlich hoch sind, was mit dem amerikanischen Gesundheitssystem und seinem freien Markt zu tun hat.
Von der Vorzeigebranche zum Bösewicht
Noch vor einigen Monaten, als die Schweiz über das neue institutionelle Vertragswerk mit der EU stritt, wiederholten die Europagegner stolz, dass die USA dank der Pharma nun Deutschland als wichtigsten Handelspartner der Eidgenossenschaft abgehängt haben. Heute dreschen dieselben Kreise auf die Pharma ein und machen sie für den Schlamassel in Washington verantwortlich. Jetzt soll die Branche Federn lassen! Von «Geiselhaft» ist die Rede. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (46) fordert etwa, dass der Staat die Firmen zur Preissenkung in den USA zwingt, um Trump milde zu stimmen. Solche Manöver legen die Nervosität offen, die seit dem Zollhammer allseits herrscht.
Dabei verdeckt die Aufregung um die Zölle, dass hinter den Kulissen längst ein Krieg um die Pharma geführt wird. In Amerika. Und auch in der Schweiz. Der US-Präsident ernannte mit Robert F. Kennedy Jr. (71) einen Verschwörungstheoretiker und Gegner von «Big Pharma» zum Gesundheitsminister und wütet gegen die globale Pharmabranche, die er am liebsten mit Zöllen von 250 Prozent eindecken würde. Trump will damit erreichen, was seine demokratischen Vorgänger nicht geschafft haben: die Produktion von Medikamenten ins Inland zu verlagern und tiefere Preise zu ermöglichen. Mit dem aktuellen Zollkonflikt mit der Schweiz hat dies wenig zu tun.
Hierzulande tobt ein anderer Kampf. Die Branche warnt schon länger vor einem Niedergang des heimischen Forschungs- und Produktionsstandorts, der sich zu verschärfen droht. Zeichen gibt es – die Herstellung von Antibiotika in der Schweiz zum Beispiel, die unter Druck steht. Wer die Zukunft sichern will, muss in der Gegenwart handeln. Das gilt erst recht für hoch technologisierte Branchen wie die Pharma. Da werden grosse Investitionsentscheide zehn Jahre im Voraus getroffen. Der Bau des 2024 eröffneten Forschungszentrums in Basel wurde über ein Jahrzehnt zuvor beschlossen.
Baume-Schneider und Parmelin treffen Pharmabosse
Und heute? Novartis und Roche haben unter dem Druck von Trumps «America First»-Strategie bereits Milliardenprojekte in den USA angekündigt. Der Bundesrat bietet dem US-Präsidenten in seinen Verhandlungen die Verlagerung von Produktionen nach Übersee an. Branchenvertreter wie Roche-Präsident Severin Schwan (57) und Novartis-CEO Vas Narasimhan (48) warnten schon vor dem Eklat mit Trump, dass langfristig der GAU für die Schweiz eintreten könnte: Eine Aufteilung der Pharmabranche in eine amerikanische und eine chinesische. Die Zeichen stehen auf Abbau. Am heftigsten getroffen von einer Abwanderung der Produktion würden die Standortkantone Aargau, Zug und Basel-Landschaft.
Zwischen der Spitze der Pharmabranche und dem Bund laufen die Drähte deswegen heiss, erst recht seit der Eskalation in Washington. Jetzt ruft der Bund zum Krisengipfel: Nach den Sommerferien werden sich die Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (61), Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65) und die Spitzen der Pharmabranche mit den beiden Schwergewichten Novartis und Roche an Bord zum Krisengipfel treffen. Ziel: mögliche Massnahmen, um die angeschlagene Schweizer Pharma zu retten. Derzeit läuft die Terminsuche. Eine Sprecherin des Innendepartements bestätigt die Recherchen von SonntagsBlick. Man pflege regelmässig einen Austausch mit der Pharmabranche, «auch in der aktuellen Situation sind Gespräche geplant».
Schweizer Erfolgsformel steht auf dem Spiel
Einer der Hauptstreitpunkte zwischen Staat und Wirtschaft ist das Portemonnaie der Prämienzahler. Die Hersteller pochen auf höhere Preise, um die wirtschaftlichen Risiken bei Forschung und Entwicklung abzudecken. Der Bund hingegen wehrt sich dagegen, die Gesundheitskosten noch weiter in die Höhe zu treiben. Pharmavertreter verweisen auf Japan. Dort beschloss die Regierung vor zwanzig Jahren, die Medikamentenpreise systematisch zu senken. Mit dem Resultat, dass Forschung und Produktion abwanderten. Wie ein Menetekel scheint da ein Ereignis vom Juli: Nach einem Streit mit Swissmedic um die Höhe des Preises hat Roche eben beschlossen, das Krebsmedikament Lunsumio in der Schweiz vom Markt zu nehmen.
Wenn sich die grösste Volkswirtschaft der Welt abschottet, dann wird es schwierig für eine kleine Nation mit einer sehr erfolgreichen Exportwirtschaft. Hoffnungslos wird es allerdings erst dann, wenn die Schweiz sich noch zusätzlich schwächt, wie in den Zollverhandlungen mit den USA geschehen. Die Erfolgsformel war schon immer das enge Zusammenspiel zwischen Politik und Wirtschaft. Gerade auch in schweren Krisen, wie sie in den letzten Jahren vor allem vom Bankenplatz ausgelöst wurden: etwa bei den nachrichtenlosen Vermögen, der UBS-Rettung, dem US-Steuerstreit und dem Verkauf der Credit Suisse.
Hilfloser Ad-hoc-Trip mit Wirtschaftsdelegation
Doch von den Importzöllen sind wesentlich weitere Kreise betroffen: die Uhrenindustrie, die Pharma-, die Maschinenindustrie, Präzisionsinstrumente, der Rohstoffhandel. Ausgerechnet als es ums Ganze ging, kam es zu einem Versagen auf der ganzen Linie. Statt sich intensiv mit der Wirtschaft auszutauschen, operierten die Schweizer Verhandlungsführer in ihrer abgerichteten Diplomatenblase. Man glaubte sich mit einer Absichtserklärung auf der sicheren Seite und hielt es nicht für nötig, das Vorgehen mit Branchenvertretern der Exportwirtschaft abzustimmen und mögliche Optionen auszuloten, die man bei einer Eskalation ins Spiel hätte bringen können. Die Handelsdiplomaten verzichteten darauf im vollen Wissen, dass Trump am Schluss allein entscheidet und die Absichtserklärung ignorieren könnte, wie Guy Parmelin an einer Medienkonferenz am Donnerstag zugab.
Was dann auch geschah. Das Ad-hoc-Treffen mit einer Schweizer Wirtschaftsdelegation am Dienstag in Washington war nur noch peinlich. Der Schaden ist angerichtet und er ist enorm. Es geht um ein Exportvolumen von knapp 50 Milliarden Franken. Davon sind 60 Prozent oder 30 Milliarden direkt von den Zöllen von 39 Prozent betroffen. Es geht also um die hübsche Summe von 11,7 Milliarden, mit denen die Schweizer Exportprodukte in die USA belastet werden – das ist etwa so viel, wie die Swisscom mit allen Auslandsbeteiligungen an Umsatz generiert. Oder ein Jahresgewinn des Nahrungsmittelriesen Nestlé.
Die grosse Entfremdung
Doch die Verantwortung nur bei der Politik zu suchen, ist falsch. Die Wirtschaft hat auch eine Bringschuld. Sie hätte sich beim Bund Gehör verschaffen müssen, was sie nicht machte. Wirtschaft und Politik haben sich entfremdet. Das kann man auch daran erkennen, dass sich die eigentlichen Entscheidungsträger der Grosskonzerne aus dem politischen Diskurs verabschiedet haben. Weder der CEO von Novartis noch von Roche sind im Vorstand von Economiesuisse, dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft, vertreten. Auch Nestlé schickt nur einen subalternen Vertreter. Auch Industrieschwergewichte wie Peter Spuhler (66) fehlen. Vor 20 Jahren war das noch ganz anders. Damals sassen Köpfe wie Gerold Bührer, Walter Kielholz, Johann Schneider-Ammann, Rolf Dörig und Marcel Ospel im Vorstandsausschuss des einst so einflussreichen Wirtschaftsverbands.
Am Mittwochabend begrüsste Maja Hoffmann auch Bundesrätin Baume-Schneider. «Chère Elisabeth» als Gesundheitsministerin und Hoffmann als Mitglied des «Basler Daig» verkörpern die beiden Seiten des Konflikts um die Pharma im Land, der nur zwei Richtungen kennt: noch teurere Medizin oder das Ende einer fast 200-jährigen Schweizer Erfolgsgeschichte. Nur die Herzlichkeit zwischen den beiden Damen lässt hoffen.
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