Darum gehts
- Raphael M. tötete erneut trotz Therapie. Behörden gerieten in die Kritik
- M. verbarg seine Pläne und wahnhafte Nebenrealität jahrelang vor Betreuern
- Über 100 unauffällige Freigänge vor erneutem Mord am selben Tatort
Raphael M. (33) wird ordentlich verwahrt – Entlassung möglich, aber unwahrscheinlich
Der 33-jährige Täter im Basler Mordprozess wird gemäss Urteil des Strafgerichts vom Freitag ordentlich verwahrt. Der Mann hatte im August 2024 eine Frau am Nasenweg getötet und gilt als schuldunfähig.
«Wenn etwas Schreckliches passiert, kommt immer die Frage, ob man es hätte verhindern können. Das war auch hier der Fall», sagte Dominik Kiener, Präsident der Fünferkammer des Strafgerichts am Freitag während der Urteilsbegründung.
Aus Sicht des Gerichts hätte man die Taten des Mannes zwar verhindern können. Dem Straf- und Massnahmenvollzug und den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) könnten aber keine Vorwürfe gemacht werden dafür, dass sie nicht erkannt hätten, was man heute wisse, sagte Kiener.
«Wir haben viel über Ihre Krankheit geredet. Aber heute geht es um das Opfer und die Tat», führte Kiener weiter aus. Dem Täter sagte er: «Sie sind verantwortlich, und niemand sonst.»
Die ordentliche Verwahrung kann gemäss Strafgesetzbuch gegen einen Täter ausgesprochen werden, der einen Mord verübt hat und bei dem aufgrund einer psychischen Störung ernsthaft zu erwarten ist, dass er weitere Taten dieser Art begeht. Zudem darf eine stationäre Massnahme keinen Erfolg versprechen.
Eine bedingte Entlassung aus der ordentlichen Verwahrung ist zwar möglich, in diesem Fall aber nach gegenwärtigem Kenntnisstand unwahrscheinlich. Laut Strafgesetzbuch muss dafür zu erwarten sein, dass sich der Täter in der Freiheit bewährt.
Zwei Morde 2014, ein weiterer Mord 2024
Der heute 33-Jährige hat im August 2024 eine 75-jährige Frau am Nasenweg in Basel brutal mit einem Messer getötet. Er verübte die Tat auf einem unbegleiteten Freigang, während er in den UPK untergebracht war.
In der Klinik war er im Rahmen einer stationären Massnahme therapiert worden, nachdem er bereits im Jahr 2014 im gleichen Quartier zwei Frauen ermordet und einen Mann schwer verletzt hatte.
Raphael M. war schon damals für schuldunfähig befunden worden. Er leidet an einer paranoiden Schizophrenie mit visuell-halluzinatorischem Erleben und nimmt eine Nebenrealität wahr, in die er anderen aber keinen Einblick gewährt, wie der psychiatrische Gutachter am Mittwoch erklärt hatte. Unter anderem deshalb gelte er derzeit als therapieresistent.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer die ordentliche Verwahrung gefordert, die nun angeordnet wurde.
Das passiert bei der ordentlichen Verwahrung
Die ordentliche Verwahrung kann gemäss Strafgesetzbuch gegen einen Täter ausgesprochen werden, der einen Mord verübt hat und bei dem aufgrund einer psychischen Störung ernsthaft zu erwarten ist, dass er weitere Taten dieser Art begeht. Zudem darf eine stationäre Massnahme oder Therapie keinen Erfolg versprechen.
Eine bedingte Entlassung aus der ordentlichen Verwahrung ist zwar möglich, im Fall von Raphael M. aber unwahrscheinlich: Laut Strafgesetzbuch muss dafür zu erwarten sein, dass sich der Täter in Freiheit bewährt.
Schuldunfähig! Raphael M. wird verwahrt
Raphael M. (33) wird gemäss Urteil des Basler Strafgerichts vom Freitag ordentlich verwahrt. Der Mann wurde als schuldunfähig eingestuft.
«Wenn etwas Schreckliches passiert, kommt immer die Frage, ob man es hätte verhindern können. Das war auch hier der Fall», sagte Dominik Kiener, Präsident der Fünferkammer des Strafgerichts während der Urteilsbegründung.
Aus Sicht des Gerichts habe man die Taten des Mannes verhindern können. Dem Straf- und Massnahmenvollzug und den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) könnten jedoch keine Vorwürfe dafür gemacht werden, dass sie nicht erkannt hätten, was man heute wisse, sagte Kiener.
«Wir haben viel über Ihre Krankheit geredet. Aber heute geht es um das Opfer und die Tat», führte Kiener weiter aus. An die Adresse von Raphael M. sagte er: «Sie sind verantwortlich, und niemand sonst.»
Urteileröffnung um 11 Uhr
Heute um 11 Uhr wird das Urteil gegen Raphael M. eröffnet. Blick hält dich auf dem Laufenden.
Urteil am Freitag
Das Gericht wird das Urteil am Freitag um 11 Uhr verkünden.
Letztes Wort
Der Richter gibt Raphael M. das letzte Wort. Er sagt: «Ich wiederhole mich: Es tut mir leid, was ich diesen Familien angetan habe.»
«Herr M. ist ein Werkzeug seiner Krankheit»
Jetzt ergreift der Verteidiger von M. das Wort.
Er hält gleich zu Beginn fest: «Sein Verhalten wirkt geplant und eiskalt. Es ist aber seiner Wahnwelt geschuldet.» Und: «Die Tötung zeige die Abgründe seiner Krankheit.»
Weiter erklärt der Verteidiger, M. habe unter dem «Diktat seiner Wahnwelt» gehandelt. «Sie verlangt sein Handeln alternativlos. Herr M. ist ein Werkzeug seiner Krankheit.»
Während seines Plädoyers macht der Verteidiger klar, wie persönlich Raphael M. Botschaften aufnehme. Er nimmt eine Werbung hervor und sagt: «Für uns alle ist klar, dass das eine Werbung ist. Nicht aber für Raphael M. Er wollte mit seinen Eltern, seinen Betreuern und mit mir darüber sprechen. Er verstand es als direkte Botschaft an ihn.»
Auch der Gutachter habe gezeigt, wie die Krankheit Herrn M. verändert habe, so der Verteidiger.
Prozess geht weiter
Die Verhandlung geht weiter. Raphael M. wird wieder in den Saal geführt und ihm werden die Handschellen abgenommen.
Kleine Auszeit
Nun folgen 15 Minuten Pause.
Opferanwalt glaubt Raphael M. kein Wort
Jetzt spricht der Opferanwalt. Er glaubt Raphael M. kein Wort, dass er quasi nach zehn Jahren als Korrektur-Handlung in seinem Wahn Assunta L. getötet hat. Der Opferanwalt glaubt, dass die Auslöser für beide Tötungsdelikte «Nachbarschaftsstreitigkeiten» waren. Der Opferanwalt: «In beiden Fällen waren die Opfer Personen, die mit dem Vater Streit hatten.»
Der Opferanwalt findet, die Staatsanwaltschaft sollte mehr hinterfragen. Und bringt dann alte Akten ins Spiel. So wurde nach dem ersten Mord 2014 ein Streit in der Waschküche der Nachbarn zum Thema. Damals ging die Staatsanwaltschaft davon aus, dass dieser Streit mit der Tat zusammenhängt. Auch beim neuesten Vorfall gab es eine Diskussion unter den Nachbarn wegen eines Kellerabteils.
Vom Killer zum Musterpatienten und wieder zurück: Der Schweizer Raphael M.* (33) tötete 2014 zwei Frauen und verletzte einen Mann schwer. Wegen seiner Schizophrenie kassierte er 2015 die kleine Verwahrung. Heisst: Statt in ein Gefängnis kam M. für eine stationäre Massnahme in die Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel.
Dort entwickelte sich Raphael M. zum Vorzeige-Insassen. In seinen Akten wird M. als «sozial verträglich» und «ausgeglichen» beschrieben. Es gibt keine nennenswerten Regelbrüche, keine Fluchtversuche und auch keine Ausraster. Drohungen oder Tätlichkeiten? Anscheinend nicht sein Ding. Mit Blick auf die kommende, blutige Eskalation für Aussenstehende schwer nachvollziehbar.
Raphael M. – ein Erfolg?
In den UPK passte sich Raphael M. schnell an. Er nahm – wenn auch teils widerwillig – seine Medikamente und arbeitete in den Therapien mit. Ab Juni 2019 durfte er sich unbegleitet auf dem Klinikareal frei bewegen, ab Februar 2020 dann auch ausserhalb. Bei diesen Freigängen fiel er zunächst nicht negativ auf.
M. funktionierte: In einer geschützten Werkstatt arbeitete er vier Jahre lang mehrere Tage pro Woche. Dort wurde er als geschätzter Mitarbeiter und Arbeitskollege beschrieben. Motiviert und durchhaltefähig.
Geister und Dämonen erschienen
Doch dieses Bild war trügerisch – und Raphael M. eine tickende Zeitbombe. Zehn Jahre lang gelang es ihm, seine grausamen Pläne vor den Betreuern und seiner Familie geheim zu halten. Bis es am 8. August 2024 erneut eskalierte: Raphael M. tötete während eines bewilligten Ausgangs seine frühere Nachbarin Assunta L.** (†75) am Basler Nasenweg. Die Tat weist viele Ähnlichkeiten zu seinem ersten Mord von 2014 am selben Tatort auf.
Im Dezember stand Raphael M. erneut wegen Mordes vor dem Basler Strafgericht. Blick machte die Anklageschrift Anfang September 2025 bekannt. Er war geständig. Laut Staatsanwaltschaft hängen die Tötungsdelikte von 2014 und 2024 direkt zusammen. M. selbst sprach von Dämonen oder Geistern, die ihm erschienen seien. Das Gericht erklärte M. für schuldunfähig und ordnete seine Verwahrung an.
Tötung zehn Jahre geplant
Nach der Tat gerieten die Basler Behörden massiv in die Kritik. Der Kanton beauftragte den Justizvollzugsexperten Andreas Werren und den forensischen Psychiater Frank Urbaniok mit einer externen Untersuchung. Das über 200 Seiten lange Dokument – teils geschwärzt – liegt Blick vor. Das Fazit der Experten: Der Rückfall nach über 100 unauffälligen Freigängen kam für die Psychiater der UPK «aus heiterhellem Himmel» und war nur schwer vorhersehbar.
Für Raphael M. selbst offenbar nicht. Schon nach den Morden von 2014 sagte er, er habe «nicht genug Menschen getötet». 2021 erklärte er gegenüber seiner Mutter, er habe vor sieben Jahren die «falsche Person» umgebracht. Laut Akten gab M. nach der Tat im Sommer 2024 an, ihm sei klar gewesen, dass er diesen «Fehler» irgendwann korrigieren müsse. Doch M. hielt seine Pläne geheim und wartete auf eine günstige Gelegenheit.
Meister der Verschleierung
Während seiner stationären Massnahme erlitt Raphael M. fünf schizophrene Rückfälle. Urbaniok hält fest, dass Raphael M. «eine ausserordentliche Fähigkeit hat, Symptome und risikorelevante Entwicklungen zu verbergen». Am Tag davor sowie am Tattag selbst verbrachte M. Stunden auf dem Bett. Gegenüber seinen Betreuern gab er an, er wolle einfach mal nichts tun, weil er Ferien habe und lächelte dabei.
Genauso gekonnt verschleierte Raphael M. über all die Jahre eine wahnhafte Nebenrealität, die ihn wohl seit seiner Kindheit auf Schritt und Tritt begleitete. Über diese Welt soll er ausführlich in einem Tagebuch berichtet haben.
Videospiele mit Dämonen
Diese Welt war gemäss Akten stark geprägt von Fantasy-Elementen. M. galt als videospielsüchtig, spielte selbst während der Massnahme regelmässig bis zu zehn Stunden pro Woche. Die Fachkommission des Strafvollzugskonkordats warnte davor – insbesondere wegen des Games «World of Warcraft». Die Dämonenfiguren im Spiel könnten bei ihm als schizophrenem Patienten deliktrelevant sein. Die UPK widersprachen: Ein direkter Zusammenhang zwischen Spielinhalten und Gewalt sei wissenschaftlich nicht belegt.
Brisant: Obwohl Raphael M. Jahre in der stationären Massnahme verbrachte, konnte niemand seinen genauen Deliktmechanismus knacken. Heisst: Wie genau aus innerem Wahn konkrete Gewalt wurde, blieb unklar. Auch war nie geklärt, welche Rolle der Nasenweg als Tatort hat. Stattdessen durfte M. dort weiterhin im Wohnhaus seines Vaters ein- und ausgehen, um ihn zu besuchen.
Erst seit der Tat von 2024 ist klar: Der Deliktmechanismus basiert auf der «vermutlich kontinuierlich vorhandenen Nebenrealität, die von M. weitgehend abgeschottet und von der Realität getrennt» wurde. Raphael M. tötete, um einen von Dämonen erteilten «Auftrag» zu erfüllen. Es gab ein «dauerhaftes Fortsetzungsmotiv».
* Name bekannt
** Name geändert