Darum gehts
- Raphael M. tötete erneut trotz Therapie. Behörden gerieten in die Kritik
- M. verbarg seine Pläne und wahnhafte Nebenrealität jahrelang vor Betreuern
- Über 100 unauffällige Freigänge vor erneutem Mord am selben Tatort
Vom Killer zum Musterpatienten und wieder zurück: Der Schweizer Raphael M.* (33) tötete 2014 zwei Frauen und verletzte einen Mann schwer. Wegen seiner Schizophrenie kassierte er 2015 die kleine Verwahrung. Heisst: Statt in ein Gefängnis kam M. für eine stationäre Massnahme in die Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel.
Dort entwickelte sich Raphael M. zum Vorzeige-Insassen. In seinen Akten wird M. als «sozial verträglich» und «ausgeglichen» beschrieben. Es gibt keine nennenswerten Regelbrüche, keine Fluchtversuche und auch keine Ausraster. Drohungen oder Tätlichkeiten? Anscheinend nicht sein Ding. Mit Blick auf die kommende, blutige Eskalation für Aussenstehende schwer nachvollziehbar.
Raphael M. – ein Erfolg?
In den UPK passte sich Raphael M. schnell an. Er nahm – wenn auch teils widerwillig – seine Medikamente und arbeitete in den Therapien mit. Ab Juni 2019 durfte er sich unbegleitet auf dem Klinikareal frei bewegen, ab Februar 2020 dann auch ausserhalb. Bei diesen Freigängen fiel er zunächst nicht negativ auf.
M. funktionierte: In einer geschützten Werkstatt arbeitete er vier Jahre lang mehrere Tage pro Woche. Dort wurde er als geschätzter Mitarbeiter und Arbeitskollege beschrieben. Motiviert und durchhaltefähig.
Geister und Dämonen erschienen
Doch dieses Bild war trügerisch – und Raphael M. eine tickende Zeitbombe. Zehn Jahre lang gelang es ihm, seine grausamen Pläne vor den Betreuern und seiner Familie geheim zu halten. Bis es am 8. August 2024 erneut eskalierte: Raphael M. tötete während eines bewilligten Ausgangs seine frühere Nachbarin Assunta L.** (†75) am Basler Nasenweg. Die Tat weist viele Ähnlichkeiten zu seinem ersten Mord von 2014 am selben Tatort auf.
Jetzt steht Raphael M. erneut wegen Mordes vor dem Basler Strafgericht. Blick machte die Anklageschrift Anfang September 2025 bekannt. Er ist geständig. Laut Staatsanwaltschaft hängen die Tötungsdelikte von 2014 und 2024 direkt zusammen. M. selbst sprach von Dämonen oder Geistern, die ihm erschienen seien.
Tötung zehn Jahre geplant
Nach der Tat gerieten die Basler Behörden massiv in die Kritik. Der Kanton beauftragte den Justizvollzugsexperten Andreas Werren und den forensischen Psychiater Frank Urbaniok mit einer externen Untersuchung. Das über 200 Seiten lange Dokument – teils geschwärzt – liegt Blick vor. Das Fazit der Experten: Der Rückfall nach über 100 unauffälligen Freigängen kam für die Psychiater der UPK «aus heiterhellem Himmel» und war nur schwer vorhersehbar.
Für Raphael M. selbst offenbar nicht. Schon nach den Morden von 2014 sagte er, er habe «nicht genug Menschen getötet». 2021 erklärte er gegenüber seiner Mutter, er habe vor sieben Jahren die «falsche Person» umgebracht. Laut Akten gab M. nach der Tat im Sommer 2024 an, ihm sei klar gewesen, dass er diesen «Fehler» irgendwann korrigieren müsse. Doch M. hielt seine Pläne geheim und wartete auf eine günstige Gelegenheit.
Meister der Verschleierung
Während seiner stationären Massnahme erlitt Raphael M. fünf schizophrene Rückfälle. Urbaniok hält fest, dass Raphael M. «eine ausserordentliche Fähigkeit hat, Symptome und risikorelevante Entwicklungen zu verbergen». Am Tattag – nur wenige Momente vor der Tötung – soll M. sogar glücklich gelächelt haben.
Genauso gekonnt verschleierte Raphael M. über all die Jahre eine wahnhafte Nebenrealität, die ihn wohl seit seiner Kindheit auf Schritt und Tritt begleitete. Über diese Welt soll er ausführlich in einem Tagebuch berichtet haben.
Videospiele mit Dämonen
Diese Welt war gemäss Akten stark geprägt von Fantasy-Elementen. M. galt als videospielsüchtig, spielte selbst während der Massnahme regelmässig bis zu zehn Stunden pro Woche. Die Fachkommission des Strafvollzugskonkordats warnte davor – insbesondere wegen des Games «World of Warcraft». Die Dämonenfiguren im Spiel könnten bei ihm als schizophrenem Patienten deliktrelevant sein. Die UPK widersprachen: Ein direkter Zusammenhang zwischen Spielinhalten und Gewalt sei wissenschaftlich nicht belegt.
Brisant: Obwohl Raphael M. Jahre in der stationären Massnahme verbrachte, konnte niemand seinen genauen Deliktmechanismus knacken. Heisst: Wie genau aus innerem Wahn konkrete Gewalt wurde, blieb unklar. Auch war nie geklärt, welche Rolle der Nasenweg als Tatort hat. Stattdessen durfte M. dort weiterhin im Wohnhaus seines Vaters ein- und ausgehen, um ihn zu besuchen.
Kommt es zur Verwahrung?
Erst seit der Tat von 2024 ist klar: Der Deliktmechanismus basiert auf der «vermutlich kontinuierlich vorhandenen Nebenrealität, die von M. weitgehend abgeschottet und von der Realität getrennt» wurde. Raphael M. tötete, um einen von Dämonen erteilten «Auftrag» zu erfüllen. Es gab ein «dauerhaftes Fortsetzungsmotiv».
M. gilt laut Anklage als therapieresistent. Für die nun angeklagte Tat sei er schuldunfähig. Die Staatsanwaltschaft will ihre Anträge an der Hauptverhandlung stellen. Damit bleibt noch offen, ob Raphael M.s wohl grösste Angst eintritt: die Forderung nach Verwahrung.
Die Verhandlung findet ab heute Mittwoch statt und ist für drei Tage angesetzt. Blick ist vor Ort und berichtet live.
* Name bekannt
** Name geändert