Darum gehts
- Birsfelden BL hat eine Strafe für schnelle Durchfahrt eingeführt – rechtmässigkeit fraglich
- Die Massnahme soll den Transit- und Ausweichverkehr durch Quartiere verhindern
- Anfänglich waren es 1000 Bussen täglich, nun wurde ein Rückgang um 40 bis 50 Prozent beobachtet
Es ist eine spezielle Massnahme: Wer Birsfelden BL in weniger als 15 Minuten durchquert, zahlt 100 Franken. Ein entsprechendes Schild wurde dafür angefertigt und zusätzlich ein automatisches Kontrollsystem samt Kameras installiert. Alles, um den Transit- und Ausweichverkehr durch die hiesigen Quartiere zu verhindern. Betroffen sind sechs Quartierstrassen.
Ein Geldsegen für die kleine Gemeinde: Am Anfang waren es 1000 Bussen am Tag. Inzwischen sind es weniger. «In der letzten Woche beobachteten wir nun zum Glück eine sinkende Tendenz. Die Zahl der täglichen Übertretungen ist dabei im Durchschnitt um 40 bis 50 Prozent zurückgegangen», sagt Martin Schürmann, Leiter der Gemeindeverwaltung von Birsfelden, zu Blick. Einsprachen gab es bisher keine.
Grundsätzlich ist die Benützung öffentlicher Strassen gebührenfrei
Fraglich aber ist, ob diese Massnahme überhaupt rechtens ist. Das Bundesamt für Strassen (Astra) hat so seine Zweifel. «Aus unserer Sicht ist nicht von vornherein klar, dass die Massnahme verhältnismässig und im öffentlichen Interesse ist. Ferner stellt sich die Frage, ob es sich bei der Massnahme nicht um ein indirektes Roadpricing handelt», sagt Astra-Sprecher Jérôme Jacky zu Blick.
Roadpricing bedeutet, mit Gebühren auf die Nutzung von Strassen den Verkehr zu lenken oder ihn auf den öffentlichen Verkehr zu verlagern.
Grundsätzlich ist die Benützung öffentlicher Strassen gemäss Bundesverfassung gebührenfrei. «Möchte ein Strassenbetreiber (Bund, Kanton oder Gemeinde) auf einem Abschnitt eine Gebühr einführen, hätte das Parlament über eine entsprechende Ausnahme zu entscheiden – und zwar für jeden konkreten Fall.» Über die Massnahme in Birsfelden wurde das Astra nicht informiert.
System nicht vom Metas geprüft
Darf die Gemeinde diese Bussen denn einfach so verteilen? Laut dem Ordnungsbussengesetz braucht es folgende Voraussetzungen: Entweder ist jemand vor Ort, der den Verstoss beobachtet und dokumentiert – oder eine automatische Überwachungsanlage stellt den Verstoss fest. Bedingung an die Überwachungsanlage: Sie muss die Anforderungen des Messgesetzes vom 17. Juni 2011 erfüllen. Nur: Das Kamerasystem in Birsfelden ist nicht vom Eidgenössischen Institut für Metrologie (Metas) geprüft und genehmigt worden. Aber warum nicht?
Gemeindeverwaltungsleiter Martin Schürmann zu Blick: «Eine Zulassung und Verifizierung beim Metas ist heute nicht möglich, da ein entsprechender Vorstoss im 2019 abgelehnt wurde.» Dafür wurde das System von der kantonalen Aufsichtsstelle Datenschutz geprüft und bewilligt.
Ausserdem dokumentiere das System in Birsfelden keinen messbaren Beweis, sondern diene der Polizei lediglich als Hilfsmittel, erklärt Schürmann. «Die gesetzlichen Grundlagen sind erfüllt, weshalb auch das Vorgehen im Ordnungsbussenverfahren das richtige ist.»
«Es gibt berechtigte Zweifel»
So klar ist die Rechtslage allerdings nicht. Verkehrsrechtler haben ihre Zweifel. «Die Beschränkung – minimal 15 Minuten Aufenthaltsdauer – auf einer Zusatztafel erscheint ebenso kreativ wie kritisch. Ob eine solche Einschränkung und die damit erwirkten Bussen bundesrechtskonform sind, erscheint eher fraglich», sagte Yann Moor schon Anfang Oktober zu Blick.
Und Monika Simmler, Assistenzprofessorin für Straf-, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität St. Gallen, warnte bereits die Gemeinde, das viele Geld, das durch die Bussenflut in die Kasse kam, schon auszugeben. «Es gibt berechtigte Zweifel, ob die ‹automatische Durchfahrtskontrolle› verfassungskonform ist», schrieb sie dazu.