«Pro Tag müssen bis zu 1000 Bussen verschickt werden»
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Gemeinderätin erklärt System:«Pro Tag müssen bis zu 1000 Bussen verschickt werden»

Birsfelden BL kassiert 100'000 Franken täglich – Verkehrsrechtler ordnet ein
Ist der Eingriff in die Grundrechte gerechtfertigt?

Die Baselbieter Gemeinde Birsfelden kassiert durch Durchfahrtskontrollen mit automatischen Kameras Hunderttausende Franken. Doch auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgt das Ganze? Blick hat einen Verkehrsrechtler gefragt.
Publiziert: 03.10.2025 um 19:59 Uhr
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Aktualisiert: 17:57 Uhr
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Die Birsfelder Gemeinderätin Désirée Jaun hat keine Datenschutzbedenken bei den automatischen Kameras, die die Durchfahrt durch Teile des Dorfes kontrollieren.
Foto: Qendresa Llugiqi

Darum gehts

  • Birsfelden BL bestraft Kurzaufenthalte mit 100 Franken Busse, um Durchgangsverkehr zu reduzieren
  • Rechtliche Grundlage vorhanden, aber Grundrechtseingriffe möglich
  • Täglich werden rund 1000 Verstösse registriert, Einnahmen belaufen sich auf 100'000 Franken
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Seit Anfang September werden Autos, die weniger als 15 Minuten im Dorf Birsfelden BL bleiben, mit einer Busse von 100 Franken belegt. Ziel ist es, Durchgangs- und Ausweichverkehr zu unterbinden. Statt der erwarteten 15 Bussen pro Tag werden jedoch täglich rund 1000 Verstösse registriert.

Die Gemeinde musste jetzt sogar zusätzliche Mitarbeiter für die Bussen-Bearbeitung einstellen. Die Einnahmen belaufen sich auf etwa 100'000 Franken pro Tag – seit Mitte September sind so bereits rund 1,5 Millionen Franken zusammengekommen.

Auf diese Grundlage stützen sich die Birsfelden-Bussen

Die Baselbieter Gemeinde scheffelt mächtig Kohle. Da darf die Frage erlaubt sein, ob das alles auch aus juristischer Sicht mit rechten Dingen zugeht. Blick hat die Verkehrsrechtler Manuel Bader und Yann Moor um ihre Einschätzung gebeten.

«Die Kantone sind befugt, für bestimmte Strassen Fahrverbote, Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen zur Regelung des Verkehrs zu erlassen», erklärt Bader. Diese Befugnis könne auf die Gemeinden übertragen werden. Somit stützt sich die automatische Durchfahrtskontrolle in Birsfelden BL auf das Gemeindegesetz und Polizeigesetz des Kantons Baselland. Das Fahrverbot kann erlassen und auch überwacht werden, stellt Bader fest.

«Auf Gemeindestrassen kann die Gemeinde über Verkehrsbeschränkungen sowie die Anbringung von Signalen entscheiden», erklärt Yann Moor. «Das Verbot gilt dann auch beispielsweise nicht bei der Durchfahrt durch die Gemeinde auf der lokalen Kantonsstrasse.

Moor fügt hinzu: «Die Beschränkung – minimal 15 Minuten Aufenthaltsdauer – auf einer Zusatztafel erscheint ebenso kreativ wie kritisch. Ob eine solche Einschränkung und die damit erwirkten Bussen bundesrechtskonform sind, erscheint eher fraglich.»

Diese Faktoren rechtfertigen Grundrechtseingriff

Mit welchen rechtlichen Argumenten könnte das Ganze angefochten werden? «Die automatische Überwachung kann einen schweren Eingriff in die Schutzbereiche des Grundrechts auf persönliche Freiheit sowie des Rechts auf Privatsphäre, auf Schutz vor Missbrauch der persönlichen Daten und auf informationelle Selbstbestimmung darstellen», listet Manuel Bader auf.

Hierzu sagt Experte Yann Moor: «Dem Datenschutz scheint gebührend Rechnung getragen zu werden.»

Für Grundrechtseingriffe braucht es laut Bader drei Faktoren: ein formelles Gesetz, ein öffentliches Interesse und eine verhältnismässige Massnahme. «Für die Vermeidung des Ausweichverkehrs ist wohl ein öffentliches Interesse vorhanden, es stellt sich aber die Frage, ob die übrigen Voraussetzungen gegeben sind», erklärt Bader.

Behörden sehen kein Problem

Damit ist klar: Wenn sich jemand gegen die Busse wehren sollte, könnte es richtig kompliziert werden.

Diese Grafik erklärt dir den Bussen-Wahnsinn im Baselbieter Dorf.
Foto: Blick Visuals

Gemeinderätin Désirée Jaun hat indes keine Bedenken wegen des Datenschutzes, wie sie im Gespräch mit Blick deutlich macht. «Das System haben wir unter anderem mit enger Begleitung der Datenschutzfachstelle des Kantons Basel-Landschaft erarbeitet. Es wird ausschliesslich das Nummernschild erfasst, der Rest ist verpixelt. Wenn die Erlaubnis für die Durchfahrt besteht, wird das Bild gleich wieder gelöscht.»

Auch die Sicherheitsdirektion des Kantons stellte keine Widersprüche zu übergeordnetem Recht fest, wie es auf eine Anfrage im Kantonsparlament antwortete.

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