Darum gehts
- Birsfelden kontrolliert Autoaufenthalt in Quartieren. Tägliche Bussen von 100'000 Franken
- Anwohner fühlen sich eingeschränkt, Datenschutzbedenken und Unmut über Bussen
- 1000 Verstösse werden täglich registriert, 15-Minuten-Regel für Durchfahrt
Seit Anfang September kontrolliert Birsfelden BL mit Kameras, wie lange Autos in gewissen Quartieren bleiben. Wer nach weniger als 15 Minuten in Richtung Basel aus den Quartieren fährt, zahlt 100 Franken Busse. Damit will die Gemeinde Ausweichverkehr durch Quartiere verhindern. Nur wer wirklich etwas im Gebiet zu tun hat, soll noch hineinfahren dürfen.
In der Gemeinde hatte man im Vorfeld mit rund 15 Bussen pro Tag gerechnet. Doch die Realität sieht ganz anders aus: 1000 Verstösse werden täglich registriert. 100'000 Franken dürften jeden Tag in die Gemeindekasse fliessen.
Die neue Massnahme kommt nicht bei allen gut an. Gemeinderätin Désirée Jaun, die für den Verkehr zuständig ist, verteidigt diese: «Wir müssen unsere Quartiere vor übermässigem Verkehr schützen!»
«Es ist eine total familienunfreundliche Lösung»
Bei den Birsfeldern stösst das neue System teils auf Ablehnung. Silvia Turner (71) wohnt in einem der betroffenen Quartiere. Sie sagt: «Wir fühlen uns wie im Gefängnis!» Dass die Strassen rund ums Quartier nun alle mit Kameras überwacht werden, findet sie beunruhigend.
Turner findet die Regelung sehr unpraktisch. Familienmitglieder könnten die Frau, die zeitweise auf einen Rollator angewiesen ist, wegen der 15-Minuten-Regelung weder schnell abholen noch zurückbringen. «Es ist eine total familienunfreundliche Lösung», betont Turner – auch weil die Autonummern von Familienmitgliedern nicht zur Durchfahrt registriert werden könnten. «Wir müssen entweder 15 Minuten hier hocken, oder ich muss mich zur Hauptstrasse quälen.»
Mit dem neuen System sei das Hauptproblem auch gar nicht gelöst worden: «Die Hauptstrasse ist weiterhin total verstopft!», sagt Turner.
«Wir haben hier ein Verkehrsproblem»
Auch Christian Brechbühl (63) wohnt in einem betroffenen Quartier. «Wir haben hier ein Verkehrsproblem», betont er. Dieses habe sich etwas entschärft, seit die automatische Durchfahrtskontrolle eingeführt wurde.
Unzufrieden ist Brechbühl, weil er als Autofahrer selbst zu oft im Stau steht. Auf der Autobahn beginne der Stau am frühen Morgen und dauere teilweise bis 8 Uhr am Abend, was zu Ausweichverkehr führe. «Eines der Hauptprobleme ist, dass wir inzwischen zu viel Bevölkerung haben, und auch sehr viele Grenzgänger», sagt der Birsfelder. «Die Strassen können das nicht schlucken.» Eine Lösung dieses generellen Kapazitätsproblems sei nicht absehbar.
Sorgen um den Datenschutz
«Für mich selber ist die neue Lösung kein Problem», sagt Trudi Venosta (84), die nur selten Auto fährt. Die Verkehrsbelastung sei ihrem Gefühl nach im Quartier nun zurückgegangen.
Venosta macht sich aber Sorgen um den Datenschutz. «Es sollte nur die Nummer des jeweiligen Autos fotografiert werden – und nicht das ganze Auto», sagt sie. Denn es gehe niemanden etwas an, wer mit welchem Fahrzeug fahre – und wer sonst noch im Auto sei.
Gebüsste Anwohner nerven sich
«Die Gemeinde Birsfelden hat ihr kürzlich eingeführtes Durchfahrtskontrollsystem offenbar nicht im Griff», erklärt Rolf M.* gegenüber Blick. Er ist ebenfalls in einem betroffenen Quartier zu Hause. Zahlreiche Anwohner hätten bereits Bussen erhalten. «Das, obwohl uns versprochen wurde, dass alles automatisch und fehlerfrei funktionieren würde.» Rolf M. wurde schon mehrfach gebüsst – was er nicht akzeptierte und schriftlich Einspruch einreichte. Und bereits erhielt er die Mitteilung, dass seine Einsprache von der Gemeinde gutgeheissen wurde. Er muss also mehrere Hundert Franken Bussgelder nicht bezahlen. Er betont: «Insbesondere Anwohner, die sich mit dem schweizerischen Recht nicht gut auskennen, müssen vor diesen ungerechtfertigten Bussen geschützt werden.»
Auch auf Social Media wird über das neue System diskutiert, so etwa auf der Facebookseite der Gemeinde Birsfelden. So schreibt ein User etwa: «Ich wollte meine Mutter spontan besuchen. Leider war sie nicht zu Hause. Busse kassiert!» Ein anderer Gebüsster schreibt: «Habe auch Post bekommen, obwohl ich in Birsfelden in der Bäckerei konsumiert hatte.»
* Name geändert