Darum gehts
- Verflechtung von Wirtschaft und Politik hat in der Schweiz Tradition
- Reichtum wird in der Schweiz breit akzeptiert
- Wachsende Vermögenskonzentration und politischer Einfluss von Reichen stossen auf Skepsis
Fünf Milliardäre, die im Oval Office dem US-Präsidenten Donald Trump gegenübersitzen. Es ist ein Bild, das sich ins kollektive Gedächtnis der Schweiz eingebrannt hat. Das «Team Switzerland», bestehend aus Unternehmern aus der Finanz-, Reederei-, Uhren- und Rohstoffindustrie, hatte einen Goldbarren und eine Rolex im Gepäck. Und: Zumindest Alfred «Fredy» Gantner (57), der seither in den Medien omnipräsent ist, war wohl stärker in den Zolldeal mit den USA verwickelt als anfangs angenommen.
In der Schweiz begann eine Debatte: Ist das noch vertretbar? Wie viel (politische) Macht haben diese Unternehmer – und wer kontrolliert sie?
Nähe zwischen Industrie und Politik
Ein Blick in die Geschichte zeigt: Das Zusammenspiel von wirtschaftlicher und politischer Macht ist kein neues Phänomen. Bereits bei der Entstehung der modernen Schweiz waren diese Sphären eng miteinander verflochten. Der bekannteste Vertreter dieser Tradition ist Eisenbahnpionier Alfred Escher (1819–1882).
Als Zürcher Regierungsrat und Nationalrat sowie als Gründer der Gotthardbahn und der Schweizerischen Kreditanstalt (später CS) und Mitbegründer der Rentenanstalt (heute Swiss Life) prägte er den Aufbruch der Schweiz in die Moderne wie kaum ein anderer. Im 19. Jahrhundert waren Unternehmertum und Politik häufig in einer Person vereint – Alfred Escher verkörperte diesen Typus des «Bundesbarons» in exemplarischer Weise.
Auch der jüngste Besuch Schweizer Unternehmer bei Donald Trump fügt sich in eine lange Tradition wirtschaftlicher Aussenpolitik ein. So ist es nicht neu, dass Schweizer Unternehmer die Politik bei internationalen Kontakten begleiten. «Das gab es wohl auch bei den Bundesräten Maurer und Schneider-Ammann sowie den Bundesrätinnen Calmy-Rey und Leuthard», sagt der Soziologe und Reichenforscher Ueli Mäder (74). «Neu ist, wie wirtschaftliche Kreise eigene Initiativen inszenieren und zelebrieren, als ob sie die politisch diplomatischen Aktivitäten ins Offside manövrieren wollten.»
Auch der Wirtschaftshistoriker Matthieu Leimgruber (53) sagt: «Nicht der Einfluss der Wirtschaft ist neu, sondern dass man ihn so prominent sieht.» Die Schweiz verfügte lange über ein schwaches diplomatisches Netz. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein unterhielt das Land nur wenige offizielle Konsulate. Stattdessen spielten Kaufleute und Unternehmer eine zentrale Rolle als informelle Gesandte. Wirtschaftsdiplomatie sei für ein kleines Land, das auf den Zugang zu Märkten angewiesen ist, daher stets sinnvoll und notwendig gewesen, so Leimgruber.
Im Auftrag des Bundesrats
Ein besonders prominentes Beispiel dafür ist der Industrielle Hans Sulzer (1876–1959). Der langjährige Leiter des Winterthurer Maschinenkonzerns Sulzer war einer der mächtigsten Wirtschaftsvertreter seiner Zeit und zugleich offiziell als Sondergesandter des Bundesrats tätig. Als Präsident des Wirtschaftsvereins Vorort (heute Economiesuisse) arbeitete er eng mit dem Staat zusammen. Während des Zweiten Weltkriegs leitete er die eidgenössische Kommission für Ein- und Ausfuhr.
Hundert Jahre später sind solche Verflechtungen deutlich seltener geworden – zumindest in Parlament oder Bundesrat gibt es nur noch wenige gewichtige Unternehmerinnen und Unternehmer. Christoph Blocher (85) oder Peter Spuhler (66) waren prominente Beispiele, ebenso Blochers Tochter, SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (56).
Trügerische Entflechtung
Soziologe Mäder beschreibt einen Wandel seit den 1980er-Jahren: Der offen kritisierte Filz zwischen Unternehmen, Verwaltung und Parlament sei formal zurückgedrängt worden. Heute sässen weniger Unternehmer direkt in politischen Ämtern.
Diese Entflechtung sei jedoch trügerisch. «Herkunft und soziale Unterschiede spielen weiter eine wichtige Rolle», so Mäder. Gleichzeitig habe sich wirtschaftliche Macht stark konzentriert und internationalisiert. Zwar seien Wirtschaft und Politik im 21. Jahrhundert institutionell stärker getrennt und konkurrierten teilweise miteinander, doch blieben sie über professionelles Lobbying eng verbunden.
Sichtbar wird diese Macht heute weniger im Bundeshaus als in der aktuellen «Bilanz»-Reichenliste. Dort finden sich zwar keine Eschers oder Sulzers mehr, aber die Familien Hoffmann, Oeri und Duschmalé – die Roche-Erben aus dem Basler Daig – sind auch in der aktuellen Rangliste noch unter den ersten zehn Reichsten.
Mythos Meritokratie
Schliesslich ist Reichtum in der Schweiz stark von Erbschaften geprägt. Rund 70 Prozent der auf der «Bilanz»-Liste geführten Vermögen seien zumindest teilweise ererbt, sagt Wirtschaftshistoriker Leimgruber. Viele grosse Vermögen gehen auf Industriegründungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zurück, insbesondere in der Pharma- und Maschinenindustrie. Häufig führen Nachkommen die Familienunternehmen weiter oder nutzen ererbtes Kapital als Startvorteil für unternehmerische Aktivitäten in anderen Branchen.
Das widerspricht dem verbreiteten Selbstbild einer strikt meritokratischen Gesellschaft. «Die Mythologie des Selfmademan passt gut zur Vorstellung, dass Leistung belohnt wird», sagt Leimgruber. Historisch sei dieses Bild jedoch eher die Ausnahme.
Dennoch ist die gesellschaftliche Akzeptanz von Reichtum – und der damit verbundenen Macht – in der Schweiz vergleichsweise hoch. Warum ist das so? «Viele denken: Wenn es den Reichen nicht gut geht, dann geht es uns noch schlechter›», sagt Soziologe Ueli Mäder. Ein zentrales Argument sei auch, dass wenige sehr Reiche einen grossen Teil der Steuern zahlen. «Das stimmt viele hierzulande besonders positiv gegenüber Reichen.»
Kein Wunder also, dass eine nationale Erbschaftssteuer bereits zum zweiten Mal an der Urne gescheitert ist. Viele neiden den Reichen ihren Wohlstand kaum, weil sie glauben, indirekt davon zu profitieren – selbst Menschen mit sehr wenig Vermögen, sagt Mäder. «Es wundert mich immer, wie hoch die Akzeptanz ist.»
Wie viel Ungleichheit verträgt die Demokratie?
Diese Akzeptanz könnte in Zukunft jedoch zunehmend unter Druck geraten. Die wachsende Vermögensungleichheit erzeugt Unbehagen: Ist sie noch mit der Demokratie vereinbar? Diese Frage stellte sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts und führte im 20. Jahrhundert zu progressiver Besteuerung und sozialstaatlicher Umverteilung – einer historischen «Parenthese», wie Leimgruber es nennt.
Hinzu kommt eine wachsende Skepsis gegenüber dem politischen Einfluss Wohlhabender. So zeigt eine exklusive Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Sotomo im Auftrag von Blick von Anfang Dezember, dass eine Mehrheit der Befragten das Auftreten wohlhabender Unternehmerinnen und Unternehmer in der Politik kritisch bewerten. Und: Mehr als zwei Drittel der Befragten sind überzeugt, dass sehr reiche Personen in den vergangenen zehn Jahren spürbar an politischem Einfluss gewonnen haben. Ebenso viele bewerten die Mitbringsel des «Team Switzerland» negativ.
Vielleicht erklärt genau dieses Spannungsfeld, warum Alfred Gantner inzwischen selbst höhere Vermögenssteuern für sehr Reiche fordert.
Wird die Schweiz zur Oligarchie? Jein. «Die Schweiz hat oligarchische Tendenzen», sagt Reichenforscher Mäder. Gleichzeitig existierten starke Gegengewichte wie die direkte Demokratie, die die Machtkonzentration begrenzen.
Trotzdem: Escher war vom Volk gewählt. Sulzer handelte offiziell im Auftrag des Bundesrats. Gantner und Co. brauchen diese politische Legitimation scheinbar nicht mehr.