Darum gehts
- Tempo-30-Debatte: Das Ringen zieht sich von Bundesbern bis in die lokalen Gemeindeparlamente
- Mehrere Kantone erschweren Tempo 30, linke Städte wehren sich
- Der Knatsch dreht sich häufig auch darum: Wie soll der Lärmschutz ausgestaltet werden?
Linke Städte preschen seit Jahren vor: Sie wollen aus Sicherheits- und Lärmschutzgründen umfassende Tempo-30-Zonen schaffen. Nun werden sie aber zunehmend von ihren bürgerlich geprägten Kantonsparlamenten ausgebremst. Die Zahl auf dem Strassenschild ist zum politischen Grundsatzkonflikt geworden. Willkommen in der Kampfzone Strasse!
Dem Kampf gegen generell reduzierte Fahrgeschwindigkeiten haben sich der Touring Club Schweiz (TCS) sowie die SVP und die FDP verschrieben. Der Auslöser war FDP-Nationalrat und TCS-Verwaltungsrat Peter Schilliger (66). 2021 reichte er eine Motion ein, die Tempo 50 als Regelgeschwindigkeit festlegen möchte – mit wenigen Ausnahmen.
Wie der «Tages-Anzeiger» kürzlich aufdeckte, mischt sich jetzt auch Verkehrsminister Albert Rösti (57, SVP) in den Knatsch ein. Sein Departement plant eine neue Verordnung, in der Tempo 50 als Regelfall festgeschrieben werden soll.
Ein Stadt-Land-Konflikt
Was in Bundesbern künftig noch für Zündstoff sorgen dürfte, ist in den Kantonen längst entbrannt: Die linken Städte argumentieren seit Jahren, dass langsameres Fahren positiven Einfluss auf die Sicherheit auf der Strasse, die Lärmbelastung, den Verkehrsfluss und die Umwelt habe.
Hierzu schreibt auch das Bundesamt für Unfallverhütung (BFU): «Wird die Höchstgeschwindigkeit auf einer Strasse von 50 auf 30 km/h reduziert, sinkt die Zahl der schweren Unfälle um mindestens ein Drittel.»
Die bürgerlichen Kantonsregierungen halten dagegen. In ihren Augen politisiere man mit generellem Tempo 30 an der Bevölkerung vorbei. Reduzierte Geschwindigkeiten als Lärmschutz solle nur die allerletzte Massnahme sein. Flüsterbeläge oder Lärmschutzwände seien vorzuziehen. Sie bezweifeln zudem, das Tempo 30 zu einem effizienteren Verkehr führt.
Das Ringen um Tempo 30 ist damit nicht nur ein Grundsatzkonflikt, sondern spiegelt auch den Stadt-Land-Graben. Doch wie sieht das in den Kantonen konkret aus? Wie hoch ist das Knatschpotenzial? Wir schaffen hier Überblick.
Aargau
Wie in vielen anderen Kantonen ist der Auslöser des Knatsches bei Tempo 30 auch im Aargau die Frage, ob weiterhin die Exekutive oder nicht lieber eine Volksabstimmung über das Drücken aufs Gaspedal bestimmen soll. Bei dieser Streitfrage hat der Aargau als erster Kanton schweizweit einen Richtentscheid gefällt: Künftig soll das Volk über die Einführung von Tempo 30 auf Quartierstrassen bestimmen.
Auslöser war eine FDP-Motion, die argumentierte, dass man Tempo-30-Entscheide demokratisch breiter abstützen wolle.
Baselbiet
Auch im Baselbiet war es 2023 ein FDP-Vorstoss, der die Tempo-30-Debatte so richtig ins Rollen brachte. Der erste Versuch der Liberalen wurde vom Regierungsrat noch abgelehnt.
Einen erneuten Versuch wagte dann eine Volksinitiative des TCS. Diese fordert, dass die Regierung Geschwindigkeitsreduktionen nur dann beschliessen darf, wenn alle anderen Massnahmen für den Lärmschutz ausgeschöpft sind. Auch müsste ein Urnenentscheid der betroffenen Gemeinde eingeholt werden.
Die Baselbieter Kantonsregierung warnt eindringlich vor der Initiative. Sie würde zu viel Bürokratie führen, heisst es in einem Bericht vom Januar. Die Justizkommission des Landrates hat deshalb einen Gegenvorschlag unterbreitet, der dieses Problem umgehen soll. Der Ausgang ist offen, der Knatschfaktor hoch!
Bern
Der Kanton Bern hat bis auf weiteres einen Aufschub der Planung neuer Tempo-30-Zonen auf sogenannten verkehrsorientierten Strassen beschlossen. Gemeint sind damit Verkehrsachsen, die in erster Linie auf die Bedürfnisse des Motorfahrzeugverkehrs ausgerichtet sind.
In der Stadt Bern setzen sich Mitte-links Parteien dennoch dafür ein, dass Gemeinden weiterhin Tempo-30-Zonen auf wichtigen Strassen schaffen dürfen. Es sieht nach einem sich anbahnenden Stadt-Land-Knatsch aus.
Genf
Der Kanton Genf scheiterte im März mit einer flächendeckenden Einführung von Tempo 30 auf insgesamt 456 Kantonsstrassen. Das Verwaltungsgericht hob das entsprechende Dekret wieder auf, nachdem vonseiten der SVP und der FDP Beschwerden eingegangen waren. Es fehlten für einige Anpassungen die Verkehrsgutachten, so die Begründung. Vor allem die Stadt Genf treibt allerdings Tempo 30 als Massnahme zur Lärmreduktion weiterhin voran. Knatschpotenzial: gross!
Luzern
Die SVP des Kantons Luzern wollte mit einer Tempo-50-Initiative die vermehrte Einführung von Tempo 30 erschweren. Der Regierungs- und der Kantonsrat lehnten diese aber ab. Die Volksabstimmung dazu findet im November statt.
Aktuell ist hier auch noch eine Vernehmlassung zur Ergänzung der Kantonsstrassenverkehrsordnung im Gange. Diese soll Klarheit für künftige Tempo-30-Entscheide auf verkehrsorientierten Strassen schaffen.
Aufgrund des politischen Drucks gegen lärmende Kantonsstrassen ist weiterer Knatsch über die Umsetzung aber vorprogrammiert: Während Mitte-links Tempo 30 will, wollen die bürgerlichen Parteien eher auf Lärmschutzwände oder Flüsterasphalt setzen.
St. Gallen
2023 nahm der Kantonsrat St. Gallen ein bürgerlich geprägtes Strassenbauprogramm an. Darin enthalten ist auch, dass Tempo 30 auf verkehrsorientierten Kantons- und Gemeindestrassen grundsätzlich verboten wird – mit der Ausnahme bei konkreten Sicherheitsgutachten. Das sorgt im Kanton seither richtig für Zoff.
Die Gemeinde Sargans will gegen dieses «faktische Verbot» notfalls bis vor Bundesgericht gehen, um auf zwei Kantonsstrassen Tempo 30 einzuführen. Weil der Kanton zudem erklärte, dass er das Projekt Tempo 30 in der Stadt St. Gallen beende, schwebt der Vorwurf im Raum, die Bürgerlichern würden auf kantonaler Ebene durchstieren, was sie auf lokaler Ebene nicht erreichen.
Zürich
Auch ein Blick in den bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz zeigt: Der Zoff ist vorprogrammiert – die Fetzen werden fliegen!
So hat der Kantonsrat mit nur einer ausschlaggebenden Stimme die Mobilitätsinitiative von FDP und SVP angenommen. Sie soll es der Stadt Zürich erschweren, Tempo 30 einzuführen. Der Stadtrat beantragt, das Referendum dagegen zu ergreifen. Im November 2025 kommt die Vorlage an die Urne.