Darum gehts
- Bundesrat will verletzte Kinder aus Gaza in die Schweiz bringen
- SVP-Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli lehnte eine inoffizielle Anfrage zur Aufnahme von Kindern ab
- Ende Oktober will der Zürcher Regierungsrat die humanitäre Aktion besprechen
Der Bundesrat will helfen, zumindest ein wenig: 20 schwer verletzte Kinder aus dem Gazastreifen sollen mit der Rega in die Schweiz gebracht und in hiesigen Spitälern gesund gepflegt werden. Das Schicksal der verletzten Kleinen liegt somit auch in den Händen der Kantone, sie müssen mitziehen. Doch das tun nicht alle.
In den letzten Wochen hat der Bund hinter den Kulissen gezielt einzelne kantonale Regierungen angefragt. Basel-Stadt, Genf, das Tessin und das Wallis erklärten sich freiwillig bereit, einen Teil der Gaza-Kinder aufzunehmen. Am Uni-Kinderspital beider Basel etwa sollen vier von ihnen medizinisch betreut werden.
Nein hingegen sagte die Gesundheitsdirektion von Zürich, wie Recherchen von Blick zeigen. SVP-Regierungsrätin Natalie Rickli (48) wollte von der humanitären Aktion nichts wissen. Damit lehnte ausgerechnet der bevölkerungsreichste Kanton ab, der mit dem Kispi über eine der weltweit führenden Kinderkliniken verfügt.
Regierungsrat soll Gaza-Aktion besprechen
In Ricklis Direktion sorgt die Absage der Chefin für Unverständnis. Sprecher Patrick Borer will sich zu den Gründen für den Negativbescheid nicht äussern. Er sagt nur: «Informelle Anfragen lehnen wir grundsätzlich ab.»
Offiziell über die Evakuierungen informiert, wurden die Kantone mit einem Schreiben am Mittwoch. Darin appellieren das Innendepartement von Elisabeth Baume-Schneider (61, SP) und das Justizdepartement von Beat Jans (61, SP) an die Gesundheits- und Sozialdirektorinnen und Direktoren: «Der Bundesrat ist besorgt über das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza. Zahlreiche zivile Opfer, darunter auch verletzte Kinder, haben keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung und ausreichender Nahrung.» Die Kantone mögen sich doch beim Staatssekretariat für Migration (SEM) melden, falls sie sich an der Aktion beteiligen wollen. Der Zürcher Regierungsrat werde diesen Appell nach den Herbstferien Ende Oktober besprechen, sagt Borer. Ob der Entscheid von Rickli dann doch noch umgestossen wird?
Bereits 5000 Kinder evakuiert
Währenddessen nimmt das Leid im Gazastreifen weiter zu. Seit Beginn von Israels kriegerischer Reaktion auf die grausame Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober 2023 sind laut Angaben von internationalen Organisationen mehr als 15’000 Kinder getötet worden. Zehntausende hungern, schlafen zwischen Trümmern, spielen im Staub.
Mehrere Staaten wurden mittlerweile aktiv. Die rechtsnationale italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (48) liess bereits Kinder aus dem Gazastreifen einfliegen. Grossbritanniens Labour-Regierung will es ihr demnächst gleichtun. Zahlen der Weltgesundheitsorganisation zeigen: Mehr als 5000 verletzte Kinder konnten seit Kriegsausbruch aus dem Kampfgebiet gebracht werden. Die WHO berichtet aber auch: 140 starben, während sie auf Hilfe warteten.
Ein besonders dramatischer Fall ging um die Welt – und ein Bild des kleinen Opfers vielen Menschen unter die Haut. Die Nachrichtenagentur-Fotografin Mariam Dagga hatte im Gazastreifen aufgenommen, wie Sham Qudeih abgemagert in den Armen ihrer Mutter lag. Das Mädchen ist knapp zwei Jahre alt und leidet an einer Stoffwechselstörung.
Am 13. August wurde das Mädchen mit anderen nach Italien evakuiert. Dort angekommen, wog sie bloss noch etwa vier Kilogramm – weniger als die Hälfte des Durchschnittsgewichts für Kinder ihres Alters. Inzwischen geht es ihr besser, sagen die italienischen Ärzte. Sie sind zuversichtlich, dass Sham überlebt.
Familienangehörige reisen mit
Mit dem geplanten Rega-Einsatz schliesst sich die Schweiz den internationalen Bemühungen an. Ihr Plan sieht folgendermassen aus: Der Bund übernimmt die Kosten für die Koordination und den Transport der Kinder in die Schweiz. Für die medizinische Behandlung der Verletzten zahlen die Kantone. Jedes Kind soll von maximal vier Familienangehörigen begleitet werden, die in der Schweiz Asyl beantragen dürfen. Vor ihrer Einreise werden sie einer strengen Sicherheitskontrolle unterzogen.
Die Weltgesundheitsorganisation hat rund 19’000 Zivilistinnen und Zivilisten für eine Bergung aus dem Gazastreifen registriert – darunter 4000 Kinder, viele von ihnen lebensbedrohend verletzt oder erkrankt, die vor Ort nicht angemessen behandelt werden können. Die WHO geht davon aus, dass die tatsächliche Zahl von Kindern mit gravierenden medizinischen Problemen weit höher liegt.
Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch
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