Darum gehts
- Das EDA gewährt jetzt doch Einsicht in das Gutachten zur Anerkennung Palästinas
- Völkerrechtlich sind die Bedingungen laut den EDA-Experten erfüllt
- Trotzdem sieht der Bundesrat weiterhin von einer Anerkennung ab
Das Aussendepartement von Ignazio Cassis vollzieht eine Kehrtwende. Vor einer Woche noch blockte das EDA eine Recherche von Blick ab. Trotz Öffentlichkeitsgesetz hielt es ein internes Gutachten zur Anerkennung Palästinas geheim. Eine Offenlegung könnte laut dem Aussendepartement die internationalen Beziehungen der Schweiz «wesentlich beeinträchtigen» und die «freie Willensbildung» des Bundesrats gefährden.
Jetzt plötzlich gilt das offenbar nicht mehr. Das EDA hat Blick überraschend Einsicht in das Papier gewährt und ist damit einer für November angesetzten Schlichtungsverhandlung beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) zuvorgekommen.
Warum hielt Bund Gutachten geheim?
Weshalb der Bund den Inhalt des Dokuments mit allen Mitteln unter Verschluss halten wollte, ist nach der Lektüre nicht klar. Auf knapp drei Seiten besprechen die EDA-Experten der Direktion für Völkerrecht die Bedingungen für eine Anerkennung. Ihr Fazit: «Eine bilaterale Anerkennung Palästinas ist aus völkerrechtlicher Sicht möglich.» Aber auch: Es handle sich um einen «politischen Entscheid unter Beurteilung der politischen Gesamtsituation».
Den definitiven Beschluss über eine Anerkennung des Palästinenserstaates muss der Bundesrat fällen. Und der sieht bisher davon ab. Zwar befürwortet die Regierung grundsätzlich eine Zweistaatenlösung. Voraussetzung für eine Anerkennung wäre für den Bund aber eine umfassende Friedenslösung. Mit der Terrorattacke der Hamas vom 7. Oktober 2023 und dem vernichtenden Krieg Israels als Reaktion darauf liegt eine solche in weiter Ferne.
«Die Elemente Staatsgebiet und Staatsvolk sind erfüllt»
Rein völkerrechtlich sehen die EDA-Experten die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt. Laut dem Gutachten braucht es dafür drei Bedingungen: ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine Staatsgewalt. «Die Elemente Staatsgebiet und Staatsvolk sind erfüllt», heisst es im Dokument. Dass das Staatsgebiet teilweise besetzt oder annektiert und auf verschiedene Gebiete verteilt sei, stehe einer Anerkennung nicht im Weg.
Weniger klar ist der dritte Punkt – die Staatsgewalt: Damit eine Regierung als effektiv gilt, muss sie grundsätzlich in der Lage sein, die staatlichen Funktionen auszuüben. Bei der Palästinensischen Autonomiebehörde ist das nur in Teilen der Fall. Vor allem die äussere Sicherheit wird durch Israel kontrolliert, darunter auch die Grenzen, der Luftraum und der Personen- und Warenverkehr. Zudem herrscht im Gazastreifen faktisch die Terrororganisation Hamas. Gemäss dem Gutachten ist die nicht vollständig erfüllte Staatsgewalt in Palästina damit zwar ein Sonderfall, «aber kein Hinderungsgrund für eine bilaterale Anerkennung». Auch weil laut den EDA-Experten ein «quasi universeller Konsens der internationalen Gemeinschaft» besteht, dass die Schaffung eines Staates Palästina «wünschenswert» ist.
«Gerechtigkeit für palästinensisches Volk»
Trotz grünem Licht aus dem Aussendepartement bleibt der Bundesrat bei seiner abwartenden Haltung. Ganz anders Länder wie Frankreich, Grossbritannien oder Kanada. Sie haben letzte Woche Palästina als Staat anerkannt, so wie über 150 weitere Uno-Mitgliedsstaaten. Israel und die USA protestieren scharf gegen den Schritt.
Mit einer Rede vor der Uno-Generalversammlung in New York stellte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Dienstag an die Spitze der Palästina-Anerkennungswelle. «Es ist an der Zeit, dem palästinensischen Volk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen», sagte er. Im Wissen darum, dass die Anerkennung vor allem symbolischen Charakter hat – es ist ein Protest gegen die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen.
Ob die Schweiz sich auch wegen Donald Trump zurückhält? Der Bund steckt mitten in heiklen Verhandlungen über einen Zolldeal mit den USA. Eine Anerkennung Palästinas könnte Trump und seine Verhandler verärgern. Das bekam Kanada zu spüren. Trump wütete auf seiner Plattform Truth Social: «Wow! Kanada hat gerade angekündigt, dass es die Eigenstaatlichkeit für Palästina unterstützt. Das wird es für uns sehr schwer machen, ein Handelsabkommen mit ihnen zu schliessen.»
Druck auf Bundesrat steigt
Derweil nimmt auch in der Schweiz der Druck auf den Bundesrat zu, sich stärker für einen Frieden zu engagieren. Wie Radio SRF berichtete, prüfen Bund und Kantone zurzeit die Aufnahme von Verletzten aus dem Gazastreifen. 20 Kinder und ihre Familienangehörigen sollen in die Schweiz reisen können. Auch Grossbritannien und Italien haben bereits verletzte Palästinenserinnen und Palästinenser aufgenommen.
Ein Hindernis bleibt allerdings noch: Israel muss zustimmen. Das Land hat den Gazastreifen abgeriegelt, ohne Zustimmung kann niemand das Gebiet verlassen.
Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch
Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch