Zum «Schutz der internationalen Beziehungen der Schweiz»
Bund verheimlicht brisantes Palästina-Dokument

Soll die Schweiz Palästina als Staat anerkennen? Das Aussendepartement hat ein Gutachten erstellt. Die Ergebnisse soll die Öffentlichkeit nicht sehen.
Publiziert: 00:03 Uhr
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Palästinensische Kinder auf Trümmern im Gazastreifen.
Foto: imago/UPI Photo

Darum gehts

  • Die Schweiz hält ein Gutachten zur Anerkennung Palästinas unter Verschluss
  • Derweil wächst die internationale Kritik an Israel, die EU erwägt Sanktionen
  • Rund 150 Länder haben Palästina bereits als Staat anerkannt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Die Panzer rollen. Seit Dienstagnacht rücken israelische Einheiten Richtung Zentrum von Gaza vor – mehr als 400'000 Palästinenserinnen und Palästinenser sind bereits aus der Stadt geflohen.

Die internationale Kritik an Benjamin Netanyahu und seinem Krieg wird mit jedem Tag lauter. Die Europäische Kommission schlägt den EU-Staaten Sanktionen gegen Israel vor. Kommissionspräsidentin von der Leyen sagt: «Die entsetzlichen Dinge, die sich täglich im Gazastreifen abspielen, müssen aufhören.»

Schon in den nächsten Tagen dürften sich die Spannungen weiter verschärfen. Frankreich, Grossbritannien, Portugal, Kanada und weitere Staaten wollen Palästina an der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York als Staat anerkennen. Der Entscheid ist ein Protest gegen die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen und hat vor allem symbolischen Charakter.

Gutachten unter Verschluss

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Und die Schweiz? Die gibt sich weiter diplomatisch. Entschiedene Stellungnahmen zum Nahostkonflikt wagt Bern bestenfalls in homöopathischen Dosen. Der Bundesrat weiss: Das Thema ist ein Minenfeld, kaum ein Konflikt spaltet die Gemüter mehr als der im Nahen Osten.

Wie sehr sich der Bund wegduckt, zeigt diese neuste Episode: Hinter den Kulissen liess das Aussendepartement von Ignazio Cassis die völkerrechtliche Beurteilung einer möglichen Anerkennung Palästinas vornehmen. Erstellt hat das Gutachten die Direktion für Völkerrecht des EDA. Fertiggestellt wurde es am 10. Juni.

Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz verlangte Blick Einsicht in das Papier. Doch das Aussendepartement sperrt sich. Das Dokument bleibt unter Verschluss. Die Öffentlichkeit soll keine einzige Zeile davon sehen.

Angst um internationale Beziehungen

Aus welchem Grund? Laut EDA deshalb, weil eine Offenlegung die aussenpolitischen Interessen und die internationalen Beziehungen der Schweiz «wesentlich beeinträchtigen» könnte. Diese aber gelte es zu schützen. Es sei «von besonderer Bedeutung», dass das Vertrauensverhältnis zwischen der Schweiz und allen Konfliktparteien sowie weiteren Staaten nicht gestört werde.

Das Aussendepartement führt noch ein weiteres Argument an: den Schutz der «freien Meinungs- und Willensbildung» des Bundesrates. Näher ausführen will der Bund diesen Punkt nicht. Blick verlangt weiterhin die Herausgabe des Dokuments – und hat beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) einen Schlichtungsantrag gestellt.

Kaum ein anderer Staat betreibt so viel Geheimniskrämerei um Abwägungen im Nahostkonflikt. Weltweit haben mittlerweile knapp 150 Nationen Palästina als Staat anerkannt. In der Schweiz müsste dies durch den Bundesrat erfolgen.

An einer Uno-Konferenz im Juli fasste Monika Schmutz Kirgöz, Leiterin der EDA-Abteilung Mittlerer Osten und Nordafrika, die Position Berns so zusammen: «Für die Schweiz muss eine bilaterale Anerkennung Palästinas im Rahmen der Perspektive eines dauerhaften Friedens auf der Grundlage der Zweistaatenlösung erfolgen.» Sie könne in Betracht gezogen werden, wenn «konkrete Massnahmen zugunsten dieser Lösung» aufgegleist seien.

Für den Bund braucht es also erst eine umfassende Friedenslösung. Mit der Terrorattacke der Hamas vom 7. Oktober 2023 und dem vernichtenden Krieg Israels als Reaktion darauf liegt ein Frieden jedoch in weiter Ferne. Ob das Gutachten des EDA eine Anerkennung Palästinas zumindest völkerrechtlich als legitim betrachtet, bleibt vorerst geheim.

Fürchtet die Schweiz die Reaktion Trumps?

Die Nervosität des Bundes in der Palästinafrage könnte noch einen weiteren Grund haben: den Handelsstreit mit Washington. Die Schweiz steckt mitten in harzigen Verhandlungen über einen Zolldeal mit den USA. Eine staatliche Anerkennung Palästinas könnte Präsident Donald Trump und seine Verhandler verärgern.

Kanada bekam genau das kürzlich zu spüren. Trump wütete auf seiner Plattform Truth Social: «Wow! Kanada hat gerade angekündigt, dass es die Eigenstaatlichkeit für Palästina unterstützt. Das wird es für uns sehr schwer machen, ein Handelsabkommen mit ihnen zu schliessen.»

Ständerat lehnt Anerkennung ab

Demnächst wird sich auch der Nationalrat in Bern mit der Anerkennungsfrage beschäftigen. Der Ständerat hat bereits klargemacht, dass er zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anerkennung des Staats Palästina durch die Schweiz will. Vor zwei Wochen wurde eine Standesinitiative des Kantons Genf mit dieser Forderung mit 27:17 Stimmen abgelehnt. Dies auch, weil der Bundesrat und nicht das Parlament für die Anerkennung eines Staats zuständig ist. Die Initiative geht nun weiter in die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats.

Voraussichtlich am Montag kommt es in New York zum Showdown. Dann debattiert die Uno-Generalversammlung während der sogenannten «High Level Week» über den immer weiter eskalierenden Nahostkonflikt. Ziehen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der britische Premierminister Keir Starmer und die Staatschefs weiterer Länder ihre Ankündigungen durch, anerkennen bald vier Fünftel aller Uno-Mitgliedstaaten Palästina als Staat.

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