Darum gehts
- Klimawandel: Meteo-Schweiz-Direktor über Herausforderungen und Hoffnungen
- Christof Appenzeller betont die Bedeutung der Datensammlung als Grundlage für die Klimapolitik
- Zudem erklärt er, ob der Bergsturz in Blatten eine direkte Folge des Klimawandels war und weshalb die Alpenregion generell besonders betroffen ist
Gerade schwappt eine weitere Hitzewelle über ganz Europa. Prognostiziert ist ein extremer Hitzesommer – vielleicht erwartet uns sogar der heisseste seit Messbeginn. Das sind die spürbaren Auswirkungen des Klimawandels.
Solch extremes Wetter beschäftigt nicht nur die Bevölkerung, sondern auch den obersten Wettermacher. Wir haben mit dem Umweltphysiker und Direktor von Meteo Schweiz, Christof Appenzeller (63), darüber gesprochen, was die Kunst der Wettervorhersage ausmacht und weshalb dieses Handwerk gerade für die Politik so wichtig ist wie noch nie.
Herr Appenzeller, was wäre für Sie der perfekte Wettertag?
Christof Appenzeller: Für mich ist das Schönste am Wetter, dass es wechselt. Aber wenn ich wählen könnte, würde ich eine Hochdrucklage im Winter in den Bergen wählen.
Haben Sie sich bei einer Vorhersage schon mal geirrt?
Ja, es gibt leider immer wieder Prognosen, die nicht ganz stimmen. Ich erinnere mich an 1999, da habe ich seit zwei Monaten für Meteo Schweiz gearbeitet. Damals tobte der heftige Orkan Lothar über die Schweiz. Die Vorhersage dafür war erst kurzfristig möglich. Die meisten Wetterdienste in Europa haben keinen guten Job gemacht. Mit den damaligen Mitteln und Modellen war es gar nicht möglich, den Lothar vorauszusagen. Trotzdem, das hätte man gerne besser gemacht. Dadurch wurde aber auch sehr viel Innovation betrieben, um die Modelle zu verbessern. Ich glaube, heute würde uns das nicht mehr passieren.
Fallen Ihnen im Rückblick noch andere prägende Herausforderungen ein?
Die Meteorologie hat sich unglaublich verändert. Vor 30 Jahren hat man die Wetterkarten noch von Hand gezeichnet. Zudem gab es sehr wenige Satellitendaten. Und heute haben wir sogar zwei Supercomputer, einen in Lugano und einen in Lausanne, die unsere Wettervorhersagen rechnen. Fast alles ist computerbasiert und damit automatisiert. Ich würde sagen, die grösste Challenge war es deshalb, diese Veränderung zu begleiten und – aus der Perspektive als Geschäftsleiter – auch die Finanzierung dafür zu finden.
Ist die Meteorologie finanziell unter Druck?
Wir sind genauso unter Druck wie alle anderen Bundesämter auch und spüren die Kürzungen. Das macht uns Sorgen. Was es besonders schwierig macht: Wir arbeiten rund um die Uhr. Extreme Gewitter können auch um 2 Uhr nachts kommen. Wenn man da kürzen will, wird es schwierig, weil man den Tag nicht einfach kürzer machen kann. Deshalb haben wir angefangen, Messstationen abzubauen, Weiterentwicklungen zu stoppen und Erneuerungen zu verschieben.
Bezüglich Kürzungen gibt es sicher auch internationale Effekte, besonders aufgrund der USA.
Ja, diese Effekte gibt es, die spürt man. Wir sind gut vernetzt. Grundsätzlich kann kein Land ohne die anderen Partner Vorhersagen treffen. In den USA waren die Kürzungen im Klimabereich, vor allem bei der Nasa, sehr kräftig. Mit ihnen stehen wir auch im Austausch. Es ist jedoch nicht nur so, dass wir von den Amerikanern abhängig wären, sondern sie genauso von den Europäern. Falls aber der Datenaustausch wegfallen würde, wäre das gar nicht gut für die internationale Gemeinschaft.
Haben die Sparmassnahmen in der USA auch damit zu tun, dass der menschengemachte Klimawandel bezweifelt wird?
Dass der Klimawandel menschengemacht ist, ist in der Fachschaft unbestritten. Der Klimawandel findet auf der ganzen Welt statt, auch in den USA. Man kann sich dem nicht entziehen.
Bleiben wir beim Klimawandel. Was macht Ihnen Hoffnung?
Wenn ich in meiner Karriere zurückschaue, gab es vor 30 Jahren noch einige Gruppen, die anzweifelten, dass sich das Klima verändert. Ich glaube, das ist unterdessen nicht mehr der Fall. Es ist ebenfalls unbestritten, dass wir die Treibhausgase reduzieren müssen. Das sehe ich positiv. Auch der Blick in die Industrie und Wirtschaft stimmt mich hoffnungsvoll. Es gibt viele Firmen, die aktiv Lösungen entwickeln.
Und was bereitet Sorgen?
Wir haben fast jedes Jahr neue Rekorde. Der Klimawandel schreitet schnell voran. Manchmal denke ich, dass die politischen Entscheidungen auch schneller getroffen werden könnten. Denn der Klimawandel trifft uns alle und hat breite Auswirkungen.
Sie sagen: Der Klimawandel trifft uns alle. Die ganze Klimathematik wurde in den vergangenen Jahrzehnten auch deshalb zunehmend politisiert. Wie haben Sie das gemerkt?
Ich kann mich zu Beginn noch an viele Schlagzeilen erinnern, welche Zukunftsszenarien möglich sein könnten. Die ersten Rekorde haben die Leute erstaunt. Aber mittlerweile spüren wir das regelmässig. Gerade in Spanien ist es momentan unglaublich heiss. Und die Bevölkerung realisiert: Es ist tatsächlich so, wie es unsere Szenarien vor 20 Jahren vorhergesagt haben.
Wie viel können Sie denn mit Ihren Erkenntnissen in der Politik bewirken?
Unsere Aufgabe ist vor allem das Monitoring und die Vorhersage. Wir machen Klimaszenarien, auf deren Basis Industrie, Wirtschaft und Politik Entscheidungen fällen. Die Vorbereitungen der politischen Entscheide liegen beim Bundesamt für Umwelt.
Das klingt so, als hätten Sie keinen Handlungsspielraum.
Der Handlungsspielraum ist indirekt. Eines der besten Beispiele, was wir dazu beitragen: das Projekt «sonnendach.ch». Da kann jeder Schweizer Bürger schauen, wie gross das Solarpotenzial auf dem Dach ist. Dahinter stecken Satellitendaten, sehr komplexe Berechnungen. Ein analoges Projekt sollten wir auch für die Windenergie haben. Wir sollten laufend berechnen, wie viel Wind es wo in der Schweiz gibt. Es ist unsere Aufgabe, frühzeitig die notwendigen Grundlagen zur Verfügung zu stellen. Aus dieser Sicht trägt Meteo Schweiz sehr viel zur Lösung bei. Aber nicht direkt, indem wir CO2 aus der Luft rausnehmen, sondern indem wir die Grundlagen liefern.
Ressourcenintensiv! Haben Sie Sorgen, dass Sie künftig noch mehr unter den politischen Sparhammer geraten?
Das macht mir wirklich Sorgen. Mir ist es sehr wichtig, dass die Politik erkennt, dass wir die Grundlagen liefern, wie man mit der Klimaänderung und extremen Wettersituationen umgehen kann. Es wäre sehr schlecht, an dem zu sparen. Wenn wir besser vorbereitet sein wollen, wenn wir besser damit umgehen wollen, dann müssen wir die Grundlagen haben. Man muss diese Vorhersagen haben, und man muss Leute haben, die kompetent beraten können.
Stichwort Naturgefahr: In Blatten VS hat sich kürzlich ein verheerender Bergsturz ereignet. Ist das eine direkte Folge des Klimawandels?
Das ist eine der Fragen, die gerade abgeklärt wird. Klar ist, dass der Permafrost durch den Klimawandel abnimmt. Wie sich das auf grössere Bergstürze auswirkt, ist eine komplexe Frage. Ein wichtiger Aspekt ist aber, dass man den Klimawandel bei Risikokarten berücksichtigt. Wir sehen auch, dass sich die Schweiz aus verschiedenen Gründen überdurchschnittlich schnell erwärmt. Zusätzlich nehmen Starkniederschläge zu, wenn es gewittert. Das ist besonders für den Schweizer Alpenraum relevant, da dieser durch Hangrutsche oder Murgänge vielen Naturgefahren ausgesetzt ist.