Goldküsten-Effekt und Schlieren-Problem bei Einbürgerungen enthüllt
«Wir haben sehr gebildete und wohlhabende Bewerber»

Wer will Schweizer werden? In einer der wohlhabendsten Regionen des Landes gibt es viele Gesuche – obwohl dort wenige Leute einbürgerungsberechtigt sind. In Gemeinden mit vielen Ausländern, die die Bedingungen erfüllen, sind Gesuche dagegen oft rar. Eine Spurensuche.
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Der Schweizer Pass ist begehrt – doch der Weg dorthin hängt offenbar auch vom Wohnort ab.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Die Gesuchsdichte für den Schweizer Pass hängt stark vom Wohnort ab
  • In wohlhabenden Gemeinden werden viele Gesuche gestellt, in Gemeinden mit vielen Berechtigten oft wenige
  • Studie: Das heutige Bürgerrecht begünstigt vor allem gut ausgebildete und finanzstarke Personen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sven AltermattCo-Ressortleiter Politik

Den Schweizer Pass gibt es nicht geschenkt. Wer ihn will, muss Hürden nehmen und zeigen, dass er integriert ist. Gemäss den Mindestvorgaben des Bundes könnten sich viele Ausländerinnen und Ausländer einbürgern lassen. Doch nur ein Teil stellt tatsächlich ein Gesuch – und ob jemand diesen Schritt macht, hängt auch vom Wohnort ab.

Neue Daten aus dem Kanton Zürich, der mit Stadt, Land und Agglomeration eine Art Mini-Schweiz ist, legen ein bemerkenswertes Gefälle offen: In den wohlhabenden Gemeinden rund um den Zürichsee werden verhältnismässig viele Einbürgerungsgesuche eingereicht, obwohl dort nur relativ wenige Personen die grundlegenden Voraussetzungen erfüllen.

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Umgekehrt ist es häufig in Gemeinden mit hohem Ausländeranteil: Viele könnten hier ein Gesuch stellen – sie leben also seit mindestens zehn Jahren in der Schweiz und verfügen über eine Niederlassungsbewilligung (Ausweis C). Dennoch macht nur ein kleiner Teil davon Gebrauch. Die Gesuchszahlen bleiben relativ tief. 

Wo fleissig Gesuche gestellt werden

Damit ist laut den Zürcher Behörden klar: Der Ausländeranteil allein ist nicht «der entscheidende Faktor für die Gesuchsdichte». Blick hat die detaillierten Daten vom kantonalen Statistischen Amt erhalten und ausgewertet. Darin finden sich Erkenntnisse, die über den grössten Kanton hinaus von Interesse sind: 

  • Der Goldküsten-Effekt: Wenig Einbürgerungsberechtigte, aber viele Gesuche – dieses Muster zeigt sich fast durchgehend an der Goldküste, dem rechten Zürichseeufer. In Küsnacht etwa wurden im vergangenen Jahr 6,8 Einbürgerungsgesuche pro 1000 Einwohner eingereicht. Das ist angesichts der geringen Zahl Einbürgerungsberechtigter ein hoher Wert. Denn in der Gemeinde erfüllen nur 9,5 Prozent der Bevölkerung die formellen Voraussetzungen für eine Einbürgerung. In den anderen Gemeinden – darunter Zollikon, Herrliberg und Meilen – sind die Zahlen jeweils vergleichbar. Bei Einbürgerungen gibt es einen regelrechten Goldküsten-Effekt.
  • Reiche Gemeinden an der Spitze: Noch ausgeprägter ist das Bild in den beiden finanzstarken Gemeinden Rüschlikon und Kilchberg an der gegenüberliegenden Pfnüselküste. Sie haben die höchste Gesuchsdichte Zürichs. An der Spitze steht Rüschlikon – die steuerkräftigste Gemeinde des Kantons – mit 12,6 Gesuchen pro 1000 Einwohner. 10,2 Prozent der Bevölkerung könnten sich hier einbürgern lassen. Es folgt Kilchberg mit 9,1 Gesuchen pro 1000 Einwohner (9,7 Prozent erfüllen die Kriterien).
  • Das Schlieren-Problem: Das Gegenstück zum Goldküsten-Effekt zeigt sich im Limmattal – quasi das Schlieren-Problem. Denn in Gemeinden mit besonders vielen Einbürgerungsberechtigten bleiben die Gesuchszahlen oft auffallend tief. In Schlieren etwa könnten sich 22,7 Prozent der Einwohner einbürgern lassen, so viele wie in keiner anderen Gemeinde des Kantons. Dennoch werden dort lediglich sechs Gesuche pro 1000 Einwohner eingereicht. Ähnlich die Situation im benachbarten Dietikon: 22,1 Prozent wären einbürgerungsberechtigt, die Gesuchsdichte liegt aber bei lediglich 6,3 pro 1000 Einwohner.
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«Sehr gebildete und wohlhabende Bewerbende»

Warum werden in den vornehmen Seegemeinden so fleissig Einbürgerungsgesuche gestellt? Die Untersuchung nennt mehrere mögliche Erklärungen. So ist zum Beispiel denkbar, dass man zügig den roten Pass beantragt, sobald jemand dazu berechtigt ist – was wiederum den Anteil der Berechtigten insgesamt senkt.

Klar ist: Die Bevölkerungsstruktur unterscheidet sich dort deutlich von jener in weniger finanzstarken Gemeinden. So liegen die Seegemeinden beim steuerbaren Einkommen pro Kopf an der Spitze, Schlieren und Dietikon hingegen auf den letzten Rängen. Ähnliche Unterschiede gibt es bei der Sozialhilfequote.

Geradeaus sagt es ein Gemeindevertreter, der für Einbürgerungen zuständig ist. Er wird in der Studie anonym zitiert: «An der Goldküste haben wir sehr gebildete und wohlhabende Bewerbende, die Voraussetzungen werden locker erfüllt.» Oft würden bereits alle nötigen Nachweise mit dem Gesuch eingereicht – und man könne nach der Prüfung der Unterlagen direkt ein Gespräch abmachen.

Ohne Uni-Abschluss sinken die Chancen

Ob ein Zusammenhang zwischen der finanziellen Situation der Einwohner und der Zahl der Einbürgerungsgesuche besteht, wurde nicht tiefer untersucht. Die Zürcher Daten könnten jedoch stützen, was in einer nationalen Studie beobachtet wurde. Seit 2018 gilt in der Schweiz ein neues Bürgerrecht. Zwar wurde die Mindestaufenthaltsdauer von zwölf auf zehn Jahre verkürzt, gleichzeitig aber die Anforderungen verschärft. Hohe Hürden sind insbesondere die Sprachkenntnisse und die wirtschaftliche Unabhängigkeit. 

Eine 2024 veröffentlichte Untersuchung im Auftrag der Eidgenössischen Migrationskommission zeigt: Wer ordentlich eingebürgert wird, hat sich seit der Regel-Anpassung verändert. Die Forscher sprechen von einer «Privilegierung von hoch qualifizierten und gut situierten Personen». Ihr Anteil unter den Eingebürgerten ist markant gestiegen. 

Politischer Zoff wegen Einbürgerungen

Das Thema Einbürgerungen beschäftigt auch im Bundeshaus. Die Ende 2024 eingereichte Initiative «Für ein modernes Bürgerrecht» fordert eine grundlegende Reform. Ziel ist ein schweizweit einheitliches Einbürgerungsverfahren, das Unterschiede zwischen Kantonen und Gemeinden beseitigt.

Konkret soll der Zugang zum Schweizer Pass erleichtert werden: Eine Einbürgerung wäre bereits nach fünf Jahren rechtmässigem Aufenthalt möglich, unabhängig von einer Niederlassungsbewilligung. Voraussetzung wären Grundkenntnisse einer Landessprache sowie das Fehlen schwerer Straftaten. Lanciert wurde das Begehren von Organisationen wie Operation Libero, der Stiftung für direkte Demokratie und der Unia sowie von SP und Grünen. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab.

Das Thema Einbürgerungen beschäftigt auch im Bundeshaus. Die Ende 2024 eingereichte Initiative «Für ein modernes Bürgerrecht» fordert eine grundlegende Reform. Ziel ist ein schweizweit einheitliches Einbürgerungsverfahren, das Unterschiede zwischen Kantonen und Gemeinden beseitigt.

Konkret soll der Zugang zum Schweizer Pass erleichtert werden: Eine Einbürgerung wäre bereits nach fünf Jahren rechtmässigem Aufenthalt möglich, unabhängig von einer Niederlassungsbewilligung. Voraussetzung wären Grundkenntnisse einer Landessprache sowie das Fehlen schwerer Straftaten. Lanciert wurde das Begehren von Organisationen wie Operation Libero, der Stiftung für direkte Demokratie und der Unia sowie von SP und Grünen. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab.

Vor der Regeländerung verfügte rund ein Drittel der Eingebürgerten über einen Hochschulabschluss, nach Inkrafttreten des neuen Rechts sind es deutlich über die Hälfte. Gleichzeitig sank der Anteil von Personen ohne weiterführende Ausbildung von knapp 24 auf unter neun Prozent.

Die Studie führt dies auf die neuen Vorgaben zurück. Besser ausgebildete Menschen verfügten in der Regel auch über ein höheres Einkommen und die erforderlichen Sprachkenntnisse. Oder umgekehrt gesehen: Wer in den Jahren vor dem Gesuch Sozialhilfe bezogen hat oder Mühe mit der Sprache hat, hat deutlich geringere Chancen.

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