«39% – das war erwartbar»
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Karin Keller Sutter:«39% – das war erwartbar»

Der Zollkrimi – das Protokoll
Was beim Telefonat zwischen Trump und Keller-Sutter wirklich geschah

Die Schweiz wollte zu den Ersten gehören, die einen Zolldeal mit Donald Trump abschliessen. Auch Karin Keller-Sutter gab sich lange zuversichtlich – bis sie am Donnerstag zum Hörer griff.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 07:01 Uhr
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Was will Trump – der Madman im Oval Office?
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Darum gehts

  • Karin Keller-Sutter kämpft gegen Trumps Zölle auf Schweizer Waren
  • Trump fordert höhere Zölle trotz Verhandlungen und Zugeständnissen
  • USA drohen mit 39 Prozent Strafzöllen ab 7. August 2025
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Robin BäniRedaktor

Sie hat es geschafft, die Tochter eines Wirtepaars aus Wil SG: auf die Rangliste der renommiertesten Wirtschaftszeitung der Welt zu kommen. 2023 zählte die «Financial Times» sie zu den einflussreichsten Frauen des Planeten. Wenige Monate zuvor war es Karin Keller-Sutter (61) gelungen, die dramatischsten Folgen des Untergangs der Credit Suisse abzuwenden. Ihr rasches Eingreifen bewahrte die Weltwirtschaft vor einer massiven Krise.

2025 sollte die Krönung werden, ihr Präsidialjahr. Als Bundespräsidentin sollte sie um die Welt jetten, die Schweiz bei den Treffen der Mächtigen vertreten, den magistralen Höhepunkt ihrer politischen Karriere geniessen. Wäre da nur nicht Donald Trump (79) dazwischengegrätscht, der Keller-Sutter diese Woche – unvermittelt – eine gewaltige Zollklatsche verpasste.

39 Prozent! So hoch sind die Strafzölle, die der US-Präsident am 7. August gegen die Schweiz verhängen will. Härter trifft es nur wenige Länder. Selbst die Europäische Union, Trumps Erzfeind, kommt mit 15 Prozent vergleichsweise glimpflich davon. Dabei hatte Keller-Sutter noch im Juli im Blick stolz erklärt, sie habe «den Zugang zu Trump gefunden».

Ein unheilvolles Telefonat

Aus welchem Grund straft Trump die Schweiz jetzt derart ab? Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, der Präsident habe sich gekränkt gefühlt, eine Eskalation sei die Folge gewesen. Am Donnerstag, beim Telefonat mit Keller-Sutter, forderte er demnach «bedeutende Zugeständnisse bei Handelshemmnissen» – sonst werde es für ein «sehr wohlhabendes Land» kein Abkommen geben. Die Bundespräsidentin habe sich geweigert – was Trump derart in Rage versetzte, dass er sie mit dem 39-Prozent-Tarif mehr oder weniger willkürlich bestrafte.

Recherchen von SonntagsBlick indes ergeben ein anderes Bild.

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Eine Person – aus dem Umfeld der Bundespräsidentin – beschreibt die Geschehnisse des 31. Juli wie folgt: Bei ihrem Telefonat mit Trump habe Keller-Sutter über eine bereits länger ausgehandelte Vereinbarung mit den USA sprechen wollen – über einen Zoll von 10 Prozent. Der Präsident aber habe sofort klargemacht, dass er einen höheren Tarif fordert. Der Handelsüberschuss der Schweiz sei viel zu gross. Schon früh nannte Trump eine Zahl von mehr als 30 Prozent. Er habe dabei nicht den Eindruck erweckt, er wolle über diese Zahl verhandeln. Zwar sei das Gespräch nicht eskaliert, dennoch habe Keller-Sutter rasch gespürt, dass es da nichts zu gewinnen gebe. Also zählte sie beharrlich ihre altbekannten Argumente auf – wie wichtig die Schweiz als Handelspartnerin sei. Bis zum Schluss, 35 Minuten lang.

Keller-Sutter stand also, wie der Insider betont, vor vollendeten Tatsachen. Doch selbst wenn Trump verhandlungsbereit gewesen wäre, hätte die Bundespräsidentin ihm nichts anbieten können. Denn dazu wäre eine Rücksprache mit dem Bundesrat nötig gewesen, oder mit dem Parlament. In der Schweiz funktioniert Politik langsamer, träger – jedenfalls nicht so, wie Trump seine Deals abzuschliessen pflegt. Als Keller-Sutter den Hörer auflegte, so heisst es, war ihr klar: Der Zollsatz wird über 30 Prozent liegen.

Die zentrale Figur im Zolldrama

Wenige Wochen zuvor war die Welt noch eine andere, zumindest für die Finanzministerin. Sie hatte sich weit aus dem Fenster gelehnt, weil sie glaubte, den Zampano aus Washington gebändigt zu haben. Sie war es, die Kontakt mit ihm pflegte, mit ihm telefonierte, die Öffentlichkeit informierte. Keller-Sutter erklärte das Zolldossier zur Chefsache. Schliesslich geht es um die Beziehungen zum wichtigsten Handelspartner der Schweiz, gleich nach der EU.

Die Bundespräsidentin preschte vor – und avancierte zur zentralen Figur des Schweizer Zolldramas. Wie werden Historiker über sie urteilen, sollten demnächst Abertausende Arbeitsplätze verschwinden? In der Schweiz wäre das ein realistisches Szenario, warnen Wirtschaftsexperten. Oder wendet sich für die Schweiz doch noch alles zum Guten? Ein Deal in letzter Minute, ein hollywoodreifes Ende? Noch ist die letzte Szene nicht gedreht.

Der Zollstreit könnte Keller-Sutters grösste Niederlage werden. Doch es fragt sich, was sie anders hätte tun können.

Unmittelbar nach Trumps Zollankündigung im April hatte der Bundesrat zur Klausur gerufen. Martin Dahinden (70), Berater und ehemaliger Schweizer Botschafter in den USA, war mit dabei. Er nimmt die Bundespräsidentin in Schutz: «Sie hat alles richtig gemacht.» Sie habe Daten und Fakten genannt, die Bedeutung der Schweiz als Handelspartnerin der USA hervorgehoben, jegliche Konfrontation vermieden, kurz: einen konstruktiven Dialog gepflegt.

Was will Mr. President?

Dabei agierte Keller-Sutter nie allein. Fernab der Öffentlichkeit, im Schatten des Bundeshauses, verteidigt seit Monaten eine Anti-Zoll-Armee die Schweizer Interessen, angeführt von Helene Budliger Artieda (60). Die Staatssekretärin aus dem Wirtschaftsdepartement (Seco) reiste zig Mal für Sondierungsgespräche in die USA. So häufig, dass man im Seco zu scherzen begann, Budliger Artieda werde wohl demnächst ihren Wohnsitz nach Washington verlegen.

Die Schweiz drückte aufs Tempo: Keller-Sutter gehörte zu den ersten Staatsoberhäuptern, die im April mit Trump telefonieren konnten – 25 Minuten lang. Die Strategie war klar: Je rascher ein Deal zustande komme, desto besser. Zunächst aber musste man zu begreifen suchen, was Mr. President eigentlich wollte. Und Trump zu verstehen, ist wie Nebel zu greifen. Mal hiess es, er verlange Investitionen. Also versprach der Bundesrat 150 Milliarden Dollar. Dann interessierten sich die Amerikaner für das duale Bildungssystem. Kurz darauf beschuldigte Trump die Schweiz, ihre Währung zu manipulieren. Schliesslich waren es Agrarzölle, die fallen sollten.

Falsche Hoffnungen – und eine Lüge?

Die Schweiz blieb unbeirrt – und hielt Kurs. Anfang Mai, nach einem Treffen mit US-Finanzminister Scott Bessent, zeigte sich Keller-Sutter optimistisch. «Ein bis zwei Wochen», sagte sie, dann werde man eine Grundsatzvereinbarung haben. Allenthalben waren Freudengesänge zu hören. Edward McMullen (61), der ehemalige US-Botschafter in Bern, frohlockte bereits, der ursprüngliche Zoll von 31 Prozent sei «Geschichte». Er sollte recht behalten. Nun gilt der neue Wert von 39 Prozent.

Ende Juni keimte erneut Hoffnung auf, als Staatssekretärin Budliger Artieda verkündete: «Die Gespräche befinden sich auf den letzten Metern.» Tatsächlich einigten sich die Unterhändler auf einen Zollsatz von 10 Prozent. Ab dem 4. Juli lag die Vereinbarung auf Trumps Tisch. Finanzminister Scott Bessent und Handelsbeauftragter Jamieson Greer hätten bereits zugestimmt, heisst es aus Schweizer Regierungskreisen. Es fehlte nur noch eine Unterschrift – die von Trump. Doch dann geschah: nichts. Keller-Sutter erhielt keinen Anruf und auch sonst kein Signal aus den USA.

Nun, da alle wissen, dass da kein Deal zustande gekommen ist, behauptet Jamieson Greer in den US-Medien, es sei «übertrieben» zu behaupten, es habe ein unterschriftsreifes Abkommen vorgelegen: «Wir konnten uns überhaupt nicht darauf einigen, wie wir dieses Handelsdefizit am besten reduzieren können», so der Handelsbeauftragte. Von Schweizer Seite hingegen ist zu vernehmen, Greer lüge – nun, da Trump seinen Entwurf radikal vom Tisch gefegt habe, wolle Greer bloss noch das Gesicht wahren.

Der letzte Anlauf

Wochenlang war niemandem klar, ob sich Trump überhaupt mit der Schweiz befasst hatte. Dann, kurz vor Ablauf der Frist, gab es in Bern lange Diskussionen: Sollte man sich beim US-Präsidenten melden? Oder besser den Kopf einziehen? Trumps Leute hätten vor weiteren Kontakten gewarnt. Jede Interaktion mit dem Boss sei riskant. Wer auf sich aufmerksam mache, laufe Gefahr, abgestraft zu werden. Also wartete Keller-Sutter zu – bis sie am Donnerstag zum Hörer griff und einen kompromisslosen Trump am anderen Ende der Leitung hatte.

Noch in derselben Nacht stellte das Staatssekretariat für Wirtschaft eine Krisen-Taskforce auf. Das Team, einmal mehr unter der Leitung von Staatssekretärin Budliger Artieda, arbeitete von Donnerstag auf Freitag durch. Binnen weniger Tage will man dem Bundesrat eine Analyse vorlegen.

In den Amtsstuben von Bundesbern herrscht Hektik, aber auch Verwirrung. Pokert Trump nur? Hochrangige Beamte sprechen von einem Powerplay, das der US-Präsident in letzter Minute aufzieht, um der Schweiz weitere Zugeständnisse abzupressen.

Der Madman

Ist das der Grund für den demonstrativen Optimismus der Regierung? Albert Rösti gibt sich beruhigt: «Es ist noch nicht aller Tage Abend.» Und Martin Pfister tröstet: «Ich bin sicher, dass wir eine Lösung finden werden mit Präsident Trump.» Doch einmal mehr bleibt die zentrale Frage: Was will der Madman im Oval Office? Gut möglich, dass keiner die Antwort kennt.

Karin Keller-Sutter ist nicht dafür bekannt, vor Alphatieren einzuknicken. Sogar UBS-Chef Sergio Ermotti bot sie bei der Bankenregulierung die Stirn. Und wenn sich andere im Kollegialitätsnebel verstecken, schärft sie ihr Profil. Doch Trump könnte sich als ihr Endgegner erweisen – ein Mann, der nach seinen eigenen Regeln spielt. Oder nach gar keinen.

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