«Die Schweiz hat immer wieder einen Sturm erlebt»
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Keller-Sutter kämpferisch:«Die Schweiz hat immer wieder einen Sturm erlebt»

Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart klärt auf
So wirkt sich der Mega-Zollhammer auf unsere Firmen aus

39 Prozent – die Nachricht, die die ganze Schweizer Wirtschaft nicht hören wollte. Doch was bedeuten die hohen Zölle für unsere Firmen überhaupt? Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart klärt im Gespräch mit Blick die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 02.08.2025 um 16:29 Uhr
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Aktualisiert: 02.08.2025 um 17:53 Uhr
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Donald Trump hatte für die Schweiz an ihrem Nationalfeiertag nur schlechte Nachrichten übrig.
Foto: IMAGO/ZUMA Press Wire

Darum gehts

  • Strafzölle von 39 Prozent treffen Schweizer Firmen hart
  • Wirtschaftsprofessor Brülhart: Situation ist historisch einzigartig und ökonomisch unsinnig
  • KOF rechnet mit BIP-Rückgang von 0,7 Prozent, jeder Schweizer verliert 700 Franken
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Robin WegmüllerRedaktor Wirtschaft

Zollzampano Donald Trump (79) hat in den letzten Stunden einige Sympathisanten in der Schweiz verloren. 39 Prozent Strafzölle – das Worst-Case-Szenario ist für hiesige Firmen eingetroffen. Am härtesten trifft es unsere KMU. Ohne Produktion in den USA oder der EU stehen sie auf verlorenem Posten.

Doch was bedeuten die Zölle für unsere Firmen konkret? Marius Brülhart (58), Wirtschaftsprofessor an der Universität Lausanne, klärt im Gespräch mit Blick auf. Seine erste Reaktion: «Ich habe vor allem Mitleid mit den Schweizer Firmen, die gut arbeiten, erfolgreich exportieren und jetzt völlig unverschuldet ausgebremst werden.»

0,6 Prozent BIP-Rückgang – was heisst das für die Wirtschaft?

Es hat nicht lange gedauert, bis sich die Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich am 1. August mit einer neuen BIP-Prognose meldete. Durch die neuen Strafzölle rechnet das KOF mit einem scharfen Rückgang von bis zu 0,6 Prozent. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr ist das BIP um 0,8 Prozent gewachsen.

«Die Prognose musste sehr schnell erstellt werden, die Unsicherheit ist gigantisch», bilanziert Brülhart. «Es tönt nach einer kleinen Zahl, aber im Schnitt würde damit jeder Schweizer Einwohner jährlich bis zu 600 Franken verlieren». Viele würden es persönlich zwar kaum spüren. «Verliert aber jemand den Job, geht es um Zehntausende Franken.» Falls die US-Regierung auch die Pharmabranche in die Mängel nimmt, wären die Einbussen noch grösser.

Für Brülhart ist klar: «So ein abrupter Einschnitt ist in unserer Handelsgeschichte einzigartig. Darauf zu bestehen wäre ökonomisch völlig unsinnig, übrigens auch aus Sicht der USA.»

Wie wirken die Zölle auf die Firmen konkret?

Brülhart erklärt anhand eines Beispiels, wie sich die Strafzölle auf die Schweizer Firmen auswirken. «Nehmen wir an, ein US-Unternehmen möchte eine Maschine kaufen. Die Schweizer Maschine würde mit den angekündigten Zöllen 39 Prozent teurer, die Französische aber nur 15 Prozent.»

Unter Umständen könnte das Schweizer Unternehmen seinen Verkaufspreis senken und somit den Zoll-Unterschied zulasten der Gewinnmarge bezahlen. «Dann bluten in erster Linie die Aktionäre.» Wenn die Firma den Preis nicht senken kann oder will, werden US-Kunden vermehrt Maschinen aus anderen Ländern beziehen, auch wenn diese qualitativ nicht ganz Schweizer Niveau erreichen. «In diesem Fall blutet auch die Belegschaft, denn es können Kurzarbeit oder sogar Entlassungen folgen.»

Wie schnell spüren wir die Folgen?

Auch hier gibt es verschiedene Szenarien. «Die Schweiz exportiert viele Produkte, die man nicht heute im Onlineshop bestellt und morgen geliefert werden», so Brülhart. Darum existieren längerfristige Lieferverträge. «Ob die Zölle auch auf bereits unterschriebene Verträge gelten, ist nicht vollends klar. Das hätte bestimmt juristisches Streitpotenzial.» 

«Greifen die Zölle auch auf diese Verträge, dürften einzelne Lieferanten die Konsequenzen bereits am 8. August spüren – sofern sich bis dahin nichts ändert.» Was nicht bereits verschifft ist, könnte dann storniert werden. Wären bereits laufende Lieferverträge ausgenommen, würde es etwas länger dauern. «Doch auch dann sprechen wir höchstens von ein paar Monaten, bis die Zölle spürbar greifen würden», befürchtet Brülhart.

Kurzarbeit und Entlassungen – in welchem Ausmass?

Swissmem-Präsident Martin Hirzel (55) sprach im Blick-Interview von einem «rabenschwarzen Tag». Es seien «mehrere Zehntausend Stellen gefährdet». 

Für Wirtschaftsprofessor Brülhart ist eine allgemeine Prognose noch verfrüht. «Das wäre abenteuerlich. Wir wissen ja noch nicht genau, wie das Resultat aussieht.» Immerhin: «Mit der Kurzarbeit haben wir ein bewährtes Mittel, um den Firmen unter die Arme zu greifen.»

Was können Firmen noch machen?

Brülhart sieht drei Massnahmen, wie sich Schweizer Unternehmen jetzt selber helfen können. «Im Moment ist es das Wichtigste, dass die Firmen die Diplomatie unterstützen. Sie müssen Argumente liefern, um bis zum 7. August doch noch bessere Konditionen oder zumindest eine Fristerstreckung auszuhandeln.»

Ansonsten müsse man dann noch stärker, alternative Märkte bearbeiten. «Das jetzt einfach so zu sagen, ist aber etwas billig. Die Firmen schauen sich natürlich ständig um, ob es in gewissen Ländern noch Verkaufspotenzial gibt.» Schlussendlich könnte es gewisse Möglichkeiten geben, die Zölle zu umgehen. «Hier sprechen wir beispielsweise von umgelenkten Handelsrouten über ausländische Zwischenhändler», so Marius Brülhart, «da fänden Firmen manchmal pragmatische Lösungen».

Die Devise für nächste Woche ist aber klar: «Oberste Priorität haben die Gespräche mit der US-Regierung, denn noch ist nichts in Stein gemeisselt.»

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