Darum gehts
Es geht um Waffen, Munition und die Frage, wer sie bekommen soll. Viele Länder sind ausgeschlossen, da die Schweiz eines der strengsten Kriegsmaterialgesetze der Welt hat. Erst vor wenigen Jahren wurde es auf Druck der Bevölkerung verschärft. Doch das war vor dem Angriff auf die Ukraine, der in Europa eine sicherheitspolitische Wende eingeläutet hat. Seither ringt das Parlament um eine Lockerung. Nun ist diese Woche ein wegweisender Entscheid gefallen.
Im Ständerat wie im Nationalrat setzte sich eine Mitte-rechts-Mehrheit durch. In Zukunft sollen Käuferländer grundsätzlich frei bestimmen, wie sie Schweizer Kriegsmaterial weiterverwenden. Zudem will das Parlament 25 westliche Staaten selbst dann beliefern, wenn sie in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind. Weiterhin tabu bleiben Exporte in Länder, die systematisch Menschenrechte verletzen oder bei denen ein erhebliches Risiko besteht, dass sie die Waffen gegen die eigene Bevölkerung einsetzen.
Ohne Deutschland geht es nicht
Der Bundesrat hat bislang alle Gesuche abgelehnt, in denen eine Weitergabe von Kriegsmaterial an die Ukraine gefordert wurde. Mehrere europäische Länder haben daraufhin signalisiert, Schweizer Rüstungsgüter zu meiden, sollte Bundesbern an seiner restriktiven Praxis festhalten. Selbst Deutschland, der grösste Abnehmer, hat mehrfach angedeutet, die Schweizer Industrie künftig zu umgehen. Für die hiesigen Hersteller wäre das ein herber Schlag. Fast die Hälfte aller Waffenexporte geht nach Deutschland. Im ersten Halbjahr 2025 war es ein Volumen von 160 Millionen Franken. Danach folgen die USA mit 50 Millionen.
Soll die Schweizer Rüstungsindustrie eine Perspektive haben, muss in erster Linie Berlin als Kunde überzeugt sein. SonntagsBlick hat deshalb bei zentralen Stimmen der deutschen Sicherheitspolitik nachgefragt, wie sie die geplante Lockerung beurteilen. Ihre Antworten fallen zwiespältig aus – und dürften in Bundesbern noch zu reden geben.
Verhalten optimistisch äussert sich Thomas Röwekamp (59), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag. «Die geplante Lockerung ist aus meiner Sicht ein sinnvoller Schritt», sagt der CDU-Politiker. Das schaffe mehr Planbarkeit für Partnerländer und stärke die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Rüstungsindustrie. «Grundsätzlich würde das die Beschaffung erleichtern.» Vieles spreche dafür, die Zusammenarbeit mit der Schweizer Industrie «wieder stärker zu nutzen», sofern die Rahmenbedingungen verlässlich seien.
Die Gefahr des Vetos
Eher skeptisch ist hingegen der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter (62). Der Oberst ausser Dienst der Bundeswehr und ehemalige Präsident des Verbandes der Reservisten ist ein Schwergewicht in der deutschen Sicherheitspolitik. Zwar bezeichnet er die Lockerung als «überfällig» und «sehr sinnvoll» angesichts der Bedrohungslage. Es sei wichtig, dass auch ein neutrales Land wie die Schweiz rüstungspolitisch zumindest einen kleinen Beitrag zum Aufbau der Verteidigungsfähigkeit in Europa leiste.
Aber es bleibe abzuwarten, «wie sich die Gefahr des Vetos auf die tatsächliche Bestellpraxis auswirkt», so Kiesewetter. Damit spricht er den entscheidenden Bremsklotz aus Sicht der Käuferländer an. Selbst wenn das gelockerte Kriegsmaterialgesetz in Kraft treten sollte, hat der Bundesrat die Möglichkeit, Waffenlieferungen zu unterbinden. Dies aufgrund von aussen-, sicherheits- oder neutralitätspolitischen Interessen. Wirtschaftsminister Guy Parmelin hat in der Debatte betont, dass die Schweiz auch künftig jedes Exportgesuch einzeln prüfe – und gegebenenfalls ablehne.
Doch kein Auftragsregen?
Kiesewetter befürchtet, das Vetorecht könnte ähnliche Folgen haben wie die deutsche Endverbleibklausel. Diese verbietet Abnehmern, deutsche Waffen ohne Zustimmung Berlins weiterzugeben. Das habe zu einer internationalen «German free»-Produktion geführt und würde deutsche Firmen behindern, sagt der CDU-Politiker. Einerseits, weil jede Lieferung geprüft werden müsse. Andererseits, weil die Rüstungspolitik damit von der politischen Ausrichtung abhängig werde, «was für internationale Partner häufig ein Unsicherheitsfaktor ist».
Gefragt, ob Deutschland infolge der Exportlockerung vermehrt Schweizer Rüstungsgüter kaufen sollte, antwortet Kiesewetter ausweichend – und ohne die Schweiz zu erwähnen: «Deutschland sollte versuchen, eigene oder EU-Fähigkeiten zu entwickeln. Das gilt auch für die Rüstungspolitik.»
Das deutsche Verteidigungsministerium lässt durchblicken, dass es die Entwicklungen in der Schweiz genau verfolgt, wenn auch diplomatisch formuliert: «Wir haben den parlamentarischen Prozess im Zusammenhang mit dem Kriegsmaterialgesetz zur Kenntnis genommen», schreibt ein Sprecher des Bundesministeriums. «Souveräne Entscheidungen der Schweiz» kommentiere man aber grundsätzlich nicht.
Die neuen Bestimmungen könnten dazu führen, dass Schweizer Waffen in Bürgerkriegen landen, warnen linke Politikerinnen und Politiker. Die Befürworter halten dagegen und argumentieren, es gehe darum, die Schweizer Rüstungsindustrie zu retten. Denn die heimischen Waffenproduzenten stehen unter Druck. Ihre Auftragsbücher sind nicht so voll, wie sie sein könnten. Und das in einer Zeit, in der Europa massiv aufrüstet.
Das Schweizer Parlament erhofft sich, dass erleichterte Exportregeln die Rüstungsindustrie stärken. Doch die nun beschlossene Abschwächung dürfte manchen Staaten zu wenig weit gehen. Damit bleibt das Risiko bestehen, dass der ersehnte Auftragsregen für Schweizer Firmen ausbleibt. Zunächst aber entscheidet das Volk über die Lockerung. Eine breite Allianz der Linken hat das Referendum angekündigt. Voraussichtlich im nächsten Sommer oder Herbst dürfte es zur Abstimmung kommen.