Aufseherin des Nachrichtendiensts
Warum hat die Schweiz keinen James Bond, Frau Fischer?

Prisca Fischer kontrolliert Schweizer Spione. Ein Gespräch über Direktor Dussey, das Versagen bei einem antisemitischen Angriff – und James Bond.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Prisca Fischer leitet die unabhängige Aufsichtsbehörde des Nachrichtendiensts.
Foto: Thomas Meier

Darum gehts

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Raphael RauchBundeshausredaktor

Frau Fischer, Sie haben früher als Risk Profilerin Personensicherheitsprüfungen für Topkader durchgeführt. Was ist spannender: das Sexleben von Spitzenbeamten – oder der Nachrichtendienst des Bundes (NDB)?
Prisca Fischer: Beide Jobs sind spannend und leben davon, dass ich in Gesprächen auf Probleme stosse und Hinweisen nachgehe.

Als Aufsicht des Geheimdiensts müssen Sie Spione ausspionieren.
Ich bin keine Spionin, sondern eine brave Juristin (lacht). Es macht keinen Spass, wenn meine Mitarbeitenden unangekündigt beim NDB auftauchen und Material beschlagnahmen. Das passiert aber nur selten. Wir stellen jeden Tag unangenehme Fragen – und zwar nicht nur dem NDB, sondern auch dem militärischen Nachrichtendienst. Die meisten Mitarbeitenden wollen eine gute Arbeit machen und kooperieren mit der Aufsicht.

Sie sehen Schwächen bei der Aufklärung im linksextremistischen Milieu. Ist der NDB auf dem linken Auge blind?
Nein, der NDB ist auf dem linken Auge nicht blind. Er beobachtet, zusammen mit den Kantonen, die Entwicklung der gewalttätigen linksextremen Szene. Wir haben in einer Prüfung festgestellt, dass die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichen, um diesen Auftrag optimal zu erfüllen und alle gesetzlich vorgesehenen Mittel wirksam und zweckmässig einzusetzen.

Warum hat die Schweiz keinen James Bond?
Der Gesetzgeber setzt dem NDB klare Grenzen. Trotzdem darf der NDB verdeckt arbeiten und Informationen beschaffen. Er darf dafür auch mit Kriminellen zusammenarbeiten. Allerdings heissen die Mitarbeitenden des NDB nicht James Bond.

Ausser zu foltern: Darf ein Schweizer Agent so ziemlich alles?
Nein. Gerade bei den höchsten Eingriffen in die Privatsphäre sieht der Alltag im NDB weniger spektakulär aus. Eine genehmigungspflichtige Beschaffungsmassnahme muss vom Bundesverwaltungsgericht genehmigt werden.

Der NDB ist seit Jahren mit einer internen Umstrukturierung beschäftigt. Ist er überhaupt leistungsfähig?
Der NDB stösst an seine Grenzen. Aber wir haben noch nie festgestellt, dass er deshalb seinen Auftrag nicht wahrnehmen kann oder komplett versagt.

Diplomaten erzählen mir, dass NDB-Vertreter sich mit angeblichen Geheim-Infos aufplustern, die längst in den Zeitungen standen. Welche Erfahrungen machen Sie?
Ich kann diese Kritik teilweise nachvollziehen. Die Arbeitsweise im NDB unterscheidet sich von jener im Aussendepartement (EDA). Bevor der NDB etwas kommuniziert, braucht es viele Bestätigungen. Das EDA kann besser mit Hypothesen arbeiten. Die Kultur des NDB könnte aber offener werden.

Was meinen Sie mit «offener Kultur»?
Der NDB tauscht sich nicht gern mit Dritten aus. Geheimdienstler bleiben am liebsten unter sich. Sie haben gelernt, jedes Wort genau abzuwägen. Das hindert manchmal den Informationsfluss – sogar gegenüber der Aufsicht. Wir müssen manchmal dreimal eine Frage stellen, bis ich eine Antwort erhalte.

Pälvi Pulli, Vize-Chefin des Staatssekretariats für Sicherheitspolitik, soll intern gesagt haben, dass die meisten NDB-Berichte unbrauchbar seien.
Ich weiss nicht, was Sie über Frau Pulli gehört haben. Mein Eindruck ist, dass nicht alle Produkte des NDB einen nachrichtendienstlichen oder punktuellen Mehrwert haben. Der NDB hat sehr viele Kunden und kann nicht alle jederzeit zufriedenstellen. Wir hören von mehreren Kunden, dass der Output des NDB besser werden muss. Wir sehen hier Handlungsbedarf und möchten bald eine Prüfung machen.

Christian Dussey hört als NDB-Direktor auf. War er eine Fehlbesetzung?
Der NDB hatte bereits vor Christian Dussey viele Probleme. Er hat eine sehr fragile Organisation vorgefunden, die Ursachen sind nicht seine Schuld. Fakt ist, dass die Organisation unter Dussey nicht zur Ruhe kam. Der NDB muss solider werden.

Bedauern Sie es, dass VBS-Kadermann Marc Siegenthaler nicht NDB-Chef wird? Er leitet die Umstrukturierung des NDB und kennt dessen Probleme bestens.
Ich hoffe, dass Marc Siegenthaler dem VBS weiterhin erhalten bleibt. Seine Führungserfahrung hat dazu geführt, dass seine Interventionen beim NDB zu konkreteren Reformen geführt haben. Ich erwarte, dass der NDB professioneller und solider wird. Wir haben in mehreren Prüfungen fehlendes juristisches Fachwissen bemängelt. Wer sich einer roten Linie nähert, braucht schnelle Antworten vom Rechtsdienst. Auch das Personalmanagement muss besser werden – hier hat sich einiges getan. Neue Mitarbeitende werden besser integriert.

Sind die Forderungen des NDB nach mehr Personal berechtigt?
Ja. Wenn die weltweiten Gefahren zunehmen, dann braucht es mehr Menschen, die diese analysieren.

Die Schweiz gilt als Nest für Spione – etwa aus Russland oder China. Macht der NDB zu wenig?
Wir gehen aktuell der Frage nach, wie genau die neuen NDB-Mitarbeitenden durchleuchtet werden. Aufgrund der hohen Fluktuation gibt es ja viele neue Mitarbeitende – das ist ein Risiko, denn ausländische Geheimdienste könnten versuchen, einen Doppelagenten in den NDB zu infiltrieren. Der Prüfbericht liegt noch nicht vor.

Welchen Tipp geben Sie dem neuen NDB-Direktor Serge Bavaud?
Pflegen Sie die Organisation, dann werden die Menschen auch zufriedener sein!

Was meinen Sie genau?
Es ist eine Illusion zu glauben, dass alles besser wird, wenn man zu den Menschen geht und sie fragt, was sie wollen. Die Organisation muss funktionieren, denn eine funktionierende Organisation sorgt für eine gute Atmosphäre, für Zufriedenheit, Enthusiasmus und Kreativität.

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