Darum gehts
- Armasuisse-Chef verteidigt Rüstungsprojekte und fordert Stärkung der Schweizer Verteidigungsindustrie
- Loher sieht Bedarf für Schwerpunkte bei hybriden Bedrohungen und Luftabwehr
- Er erklärt, warum man sich keine Luxuslösungen leisten kann
Er hält regelmässig seinen Kopf hin: Armasuisse-Chef Urs Loher (58) musste in den letzten Monaten gleich mehrere Problem-Beschaffungen verteidigen – vom Kampfjet F-35 bis zu israelischen Drohnen, die nicht geliefert werden. Dabei waren sie alle noch vor seiner Zeit aufgegleist worden. Loher hat aber keine Mühe, hinzustehen und Klartext zu reden.
Ihre Vorgänger haben Ihnen einige Desaster hinterlassen: den Fixpreis beim F-35-Kampfjet, israelische Drohnen mit Problemen. Haben Sie sie nicht verflucht?
Urs Loher: Nein, denn die meisten Projekte laufen sehr gut, und unsere Mitarbeiter machen einen guten Job. Ich bin zudem nicht jemand, der zurückschaut. In der aktuellen geopolitischen Situation sollten wir dringend nach vorne schauen und rasch klären, wie wir mit der Bedrohungslage umgehen, in der wir sind.
Dennoch der Blick zurück: Warum gibt es immer wieder Probleme bei Rüstungsprojekten?
Wir haben 4000 Beschaffungsprojekte, die am Laufen sind. Sie funktionieren problemlos. Es gibt nur ganz wenige Projekte, bei denen es nicht so gut läuft.
Wo hapert es da?
Eine Kollegin aus dem Ausland sagte mir kürzlich, eine Lösung, die zu 50 Prozent klargeht, sei besser als keine Lösung. Wir haben eine komplett andere Philosophie. Eine Sache muss schon von Anfang an perfekt sein.
Urs Loher (58), ETH-Ingenieur mit Doktortitel, blickt auf eine lange Karriere in der Rüstungsindustrie zurück. Er arbeitete viele Jahre für das Verteidigungsdepartement, 2012 wechselte er in die Privatindustrie und arbeitete für Rheinmetall Air Defence. Zuletzt war er Schweiz-Chef des französischen Rüstungskonzerns Thales. Seit August 2023 steht der Oberst im Generalstab an der Spitze von Armasuisse, dem Bundesamt für Rüstung.
Urs Loher (58), ETH-Ingenieur mit Doktortitel, blickt auf eine lange Karriere in der Rüstungsindustrie zurück. Er arbeitete viele Jahre für das Verteidigungsdepartement, 2012 wechselte er in die Privatindustrie und arbeitete für Rheinmetall Air Defence. Zuletzt war er Schweiz-Chef des französischen Rüstungskonzerns Thales. Seit August 2023 steht der Oberst im Generalstab an der Spitze von Armasuisse, dem Bundesamt für Rüstung.
Die Schweiz soll ihre Ansprüche senken?
Ich sehe nicht ein, warum ein Produkt, das anderswo funktioniert, bei uns versagen sollte. Dieses Denken stammt aus Zeiten, als der Rüstungsmarkt viel mehr Kapazitäten hatte – und man sich Luxuslösungen leisten konnte.
Ausländische Armeen sind weniger anspruchsvoll?
Die Briten haben gerade 500 links gesteuerte Lastwagen ab Band gekauft. Schlicht, weil sie aufgrund der geopolitischen Lage so schnell wie möglich Lastwagen haben wollen. Litauen und Estland kaufen nicht die Artilleriegeschütze, die sie am liebsten hätten, sondern diejenigen, die 2027 erhältlich sind. Stellen Sie sich vor, was in der Schweiz passieren würde, wenn wir rechts gesteuerte Lastwagen kaufen!
Die Schweiz ist zu kompliziert?
Das würde ich nie behaupten. Aber die Wahrnehmungen klaffen auseinander. Im Osten nimmt man die Bedrohung ganz anders wahr. Dort rechnet man mit einem Angriff 2028 oder 2029. Die Schweiz lebt in einer Heidi-Welt. Wir spüren diese Gefahr nicht oder wollen sie nicht spüren.
Die Schweiz müsste sich stärker der Bedrohung stellen?
Schauen Sie, wie viel Geld andere Staaten jetzt in die Verteidigung investieren und wie sie Produktionsstrassen in der Rüstungsindustrie aufbauen. In der Schweiz wird in der Rüstungsindustrie Personal abgebaut, es herrscht Kurzarbeit und die Produktion wandert ab.
Vernachlässigt die Schweiz die Bedrohung – und ihre Rüstungsindustrie?
Wir fühlen nicht den gleichen Druck, schnell zu handeln. Und wo ist unsere Industrie geblieben? In den letzten 36 Jahren ging es nur bergab. Früher hatten wir Oerlikon – einen Konzern, der sogar die USA belieferte. Heute produziert die Schweiz Rüstungsgüter im Wert von 4,4 Milliarden Franken pro Jahr. Allein der US-Konzern Lockheed Martin macht 63 Milliarden Franken Umsatz. Die Frage ist: Wie weiter?
Ihr Vorschlag?
Ich gehe nicht davon aus, dass wir eigene Kampfjets oder Panzer in der Schweiz bauen werden. Zentral ist für mich aber, dass wir eine eigene Rüstungsindustrie in jenen Technologien aufbauen können, die künftig relevant werden.
In welchen ist das?
Beschaffungen sollten gezielt jene Industrie stärken, die Zukunft hat. In Drohnen, Robotik, Quantentechnologie und KI sind unsere Hochschulen stark. Dort müssen wir verhindern, dass Firmen abwandern – wie Auterion, die ihre Drohnensteuerung in die USA verlegte.
Der Bund als Investor?
Ja. Die Frage ist: Wie macht man es klug? Die Ruag gehört dem Bund. Sie sollte sich an Firmen beteiligen. Um sie herum braucht es ein Netzwerk relevanter Rüstungsfirmen – einen Campus. Wir müssen Produkte entwickeln, auf die andere nicht verzichten können.
Das kostet Geld, die Finanzierungsfrage ist aber im Parlament ein grosses Problem.
Natürlich hätte auch ich gern mehr Geld. Aber entscheidend ist, mit dem vorhandenen Budget das Beste für die Sicherheit des Landes zu machen.
Wie wollen Sie das machen?
Für mich ist entscheidend, klare Schwerpunkte zu setzen. Wir müssen bei hybriden Bedrohungen ansetzen: Sabotage, Terrorismus, Desinformation. Zentral ist der Schutz kritischer Infrastruktur – etwa wegen des Stromexports in ganz Europa.
Und danach?
Bei einem Konflikt müssen wir mit einem Luftangriff aus Distanz auf die Schweiz rechnen. Deshalb sollten wir bei den Abwehrsystemen Schwerpunkte setzen. Aktuell sind wir in der Lage, 8 Prozent der Fläche der Schweiz zu schützen. Künftig können wir mit den Patriot-Systemen 30 Prozent der Schweiz schützen. Das sind vier von zehn Agglomerationen.
Das ist nur ein Teil der Schweiz.
Umso entscheidender ist, wie wir unsere Mittel einsetzen. Die Luftabwehr ist entscheidend. Und dann brauchen wir Munition, sonst nützt ein Waffensystem nichts. Und wenn wir uns nicht mehr selbst schützen können, stellt sich die Frage: Wollen wir ein Bündnis? Werden Nachbarn helfen, wenn wir zuvor kaum etwas zum Schutz Europas beigetragen haben? Diese Fragen muss die Politik bald beantworten.
Sie haben die neue Rüstungsstrategie vorgestellt. Bei Beschaffungen wollen Sie stärker auf die Schweiz und Europa setzen.
Ja. Wir wollen 60 Prozent in der Schweiz beschaffen, um die heimische Industrie zu stärken. Denn im Ernstfall denkt jeder zuerst an sich – das hat die Corona-Krise gezeigt. Damals blieben Masken an den Grenzen hängen, obwohl sie uns gehörten. Deshalb müssen wir gewisse Güter wieder selbst herstellen. Das müssen wir jetzt aufbauen. Aber …
Bitte.
Es wäre eine Illusion, zu glauben, dass das, was man die letzten 36 Jahre abgebaut hat, in zwei oder drei Jahren wieder aufgebaut werden kann. Es dauert fünf bis zehn Jahre.
Die Schweiz streitet mit den USA über den F-35-Preis. Bei den Patriot-Systemen wird sie später beliefert. Sind die USA noch ein verlässlicher Partner?
Unterschiedliche Auffassungen bedeuten nicht fehlende Verlässlichkeit. Wir sind auf die USA angewiesen – und bleiben es. Es liegt in unserem Interesse, gute Beziehungen zu pflegen.
Kann Europa ein gemeinsamer Rüstungsraum werden?
Es gibt viele Initiativen – doch am Ende denkt jeder an seine eigene Industrie. Europas Verteidigungsausgaben sind zweieinhalbmal so hoch wie die Russlands. Eigentlich müsste es leicht sein, Russland in Schach zu halten. Und doch klappt es nicht. Frankreich baut seinen eigenen Panzer, ebenso England und Deutschland. Effizienz fehlt, weil jeder seine Schlüsseltechnologien hütet.
Doch noch zur F-35. Hand aufs Herz: Wie sehr glauben Sie noch, dass die Schweiz ihre Flieger für sechs Milliarden Franken bekommt?
Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass wir für sechs Milliarden Franken Flieger bekommen. Die Frage ist nur, wie viele. Aber man kann es auch ungeschönt sagen: Recht zu haben und Recht zu bekommen, ist nicht ganz gleich. Aktuell führen wir Gespräche mit den USA.
Wird die Schweiz weniger Flieger kaufen?
Ich bin schlecht mit Prognosen. Wir müssen verschiedene Varianten anschauen. Und am Schluss wird der Bundesrat entscheiden.
Wie naiv war die Schweiz, an den Fixpreis zu glauben? Sie waren bei Amtsantritt skeptisch.
Es fällt mir schwer, Entscheide zu beurteilen, die vor meiner Zeit fielen – ich konnte mit den Beteiligten nicht sprechen. Aber ja, ich war überrascht: Ausgerechnet die Schweiz soll einen Fixpreis erreicht haben? Einen solchen Fall kannte ich nicht.
Sie liessen Gutachten erstellen, um den Fixpreis zu prüfen.
Wir befinden uns derzeit in Gesprächen mit den USA, weshalb ich auf die Inhalte der Gutachten nicht näher eingehen kann. Die Frage war nicht: Fixpreis oder nicht? Was hätte ich mit der Antwort anfangen sollen, wenn es keiner war? Ich wollte wissen: Sind Preiserhöhungen möglich – und wenn ja, warum? Und was können wir dagegen tun? Darum ging es.
Sie laufen gern Marathon. Sind Sie im neuen Beruf zum Hürdenläufer geworden?
Nein, aber mein Schnauf reicht nicht mehr so weit – zum Trainieren komme ich kaum noch. Einen Ultramarathon würde ich mir im Moment nicht zutrauen. Ich muss schauen, mit meiner Frau mitzuhalten, wenn wir im August einen Marathon laufen.