Darum gehts
- Alpvision entwickelt Technologie zur Fälschungssicherung von Produkten
- Einfache Erkennung durch Smartphone-Kamera und einzigartige Oberflächenmuster
- Das Unternehmen schützt weltweit rund 30 Milliarden Produkte vor Fälschungen
«Hören Sie das?» Fred Jordan (57) fährt mit seinem Zeigefinger über den rauen Kunststoff eines Stromschutzschalters. Der Widerstand zwischen der unebenen Oberfläche und der Fingerkuppe erzeugt ein Summen. «Der Ton bedeutet, dass das Produkt fälschungssicher ist», sagt Jordan. Und dies ohne irgendwelche Sicherheitsmerkmale. «Das ist keine Magie, sondern reine Mathematik.»
Jordan und Geschäftspartner Martin Kutter (56) gründeten um die Jahrtausendwende das Start-up Alpvision. An der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL) entwickelten die beiden Mathematiker damals eine Technologie für digitale Wasserzeichen. «Wir wussten damals noch nicht so genau, was wir damit anfangen sollten», sagt Kutter. Mittlerweile schützen sie alle möglichen Produkte: Medikamente, Kosmetika, Spirituosen, Spielkarten, Goldbarren. Weltweit mache Alpvision rund 30 Milliarden Produkte fälschungssicher, so die beiden Gründer.
Bundesrat will Medikamentenfälschungen angehen
Die Schweiz ist nicht zwingend Dreh- und Angelpunkt der Fälscher. Der Bundesrat antwortete letztes Jahr auf einen Vorstoss von Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber (66, ZH), dass «bis dato keine gefälschten Arzneimittel in Schweizer Aufmachung entdeckt» worden seien. Dennoch muss sich der Bund immer wieder damit beschäftigen: Die Arzneimittelbehörde Swissmedic warnt regelmässig vor einer Zunahme gefälschter Abnehmspritzen. Zumeist geht es um bestellte Ware aus dubiosen Onlineshops.
Der Bund will sich im Kampf um gefälschte Medikamente bald dem EU-System anschliessen, das die Hersteller dazu verpflichtet, die Verpackungen zu nummerieren. Nur: Statt dieselben Erkennungsmerkmale einzusetzen, soll laut Bundesrat ein eigenes System für den Schweizer Markt entwickelt werden. Das sorgt für Kritik – besonders aus der Branche. Die Medikamentenpackungen der lokalen Hersteller würden mit der Vorschrift nämlich bis zu 60 Rappen teurer.
Dazu kommt: «Das EU-System funktioniert nicht», sagt Jordan. Sogar die EU-Kommission kam letztes Jahr in einem Bericht zum Schluss, dass die Bemühungen das Ziel verfehlten. «Die Einträge sind fehleranfällig», sagt Kutter. «Und auch auf eine gefälschte Packung können die Bösewichte korrekte Merkmale aufdrucken.»
Vieles in der Branche liegt im Verborgenen
Bösewichte. Der Begriff fällt oft, wenn Kutter und Jordan über das Geschäft sprechen. Er deutet an: Im Kampf um die Fälschungen liegt vieles im Verborgenen. Ihren Kundenstamm dürfen die Alpvision-Gründer nicht offenbaren – in der Branche gelten harte Geheimhaltungsvereinbarungen. Es seien jedoch Grosse, versichert Jordan. «Die kleinen Fische lohnen sich für uns nicht.»
Auch die Schweiz gilt als kleiner Fisch. Hierzulande zu lobbyieren, sei daher nicht geplant. Bei der EU hat man es aber schon probiert – etwa als es um ein Antifälschungssystem für Tabak- und Raucherwaren ging. Besonders bei den elektronischen Zigaretten gebe es eine besorgniserregende Entwicklung. Die Fälschungen sind oftmals nicht nur gesundheitsgefährdender, sondern könnten auch explodieren. «Leider fruchteten unsere Bemühungen nicht», so Kutter.
Fälschungserkennung durch iPhone-Kamera
Die Technologie des Unternehmens ist so einfach wie einzigartig: Mit Kamerasensoren werden typische Muster auf den Produkten erfasst. Geht es etwa um Medikamente, können die Hersteller die Verpackungen mit einem unsichtbaren Muster bedrucken. Bei Gold oder Kunststoff sind es Unebenheiten auf der Oberfläche, die bei der Herstellung anfallen. «Diese funktionieren wie Fingerabdrücke», sagt Jordan. Um sie zu erkennen, reicht ein handelsübliches iPhone.
Die Erfindung des Smartphones war für die beiden Unternehmer aber keineswegs ein Segen. «Wir fühlten uns gar nicht glücklich darüber», sagt Jordan. Zuvor passierte die Erkennung mit Dokumentenscannern oder fixierten Kameras. «Eine App zu programmieren, die auch mit verwackelten Handybildern zuverlässig funktioniert, ist deutlich schwieriger.»
Seit mehr als 20 Jahren erfolgreich
Die wichtigsten Kunden seien heute die Pharma- und Goldbranche. Den ersten Schritt in den Geldsegen schafften Kutter und Jordan aber mit Banknoten. «Jeder Schein beherbergt Dutzende Sicherheitsmerkmale.» Es sei also einfacher, einen Teil des Kuchens abzukriegen – aber auch schwieriger, damit viel zu verdienen. Noch heute macht Alpvision das Papiergeld verschiedener Länder sicherer.
Gefälschte Produkte, die gebe es aber überall, so Kutter. Sie sind ein internationales Milliardengeschäft. Daher ist es auch nicht überraschend, dass die Gegenwehr genauso lukrativ ist. Alpvision ist zwar weiterhin eine kleine Firma – sie beschäftigt 16 Menschen in Vevey VD, Singapur und New York (USA) –, doch ist sie bereits seit 2003 in den schwarzen Zahlen.
Vor rund zehn Jahren kauften sich die beiden Gründer von ihren Investoren frei – und zeigen sich dabei weitsichtig. «Wir müssen gut schlafen können», sagt Kutter. «Wenn alle unsere Verträge auf einen Schlag wegfielen, hätten wir genügend Geld auf der Seite, um weitere zwei Jahre zu überleben.»