Darum gehts
- Zoë Më erzielte beim ESC einen zweiten Platz bei der Jury
- Krasse Diskrepanz zwischen Jury- und Publikumsvoting beim Schweizer ESC-Beitrag
- Zoë Më landete trotz null Publikumspunkten auf dem 10. Gesamtplatz
Ein Wechselbad der Gefühle am Samstagabend für Zoë Më (24): Mit ihrem Titel «Voyage» erntete sie bei der Vergabe der Punkte der professionellen ESC-Jury ein sensationelles Resultat und landete auf dem zweiten Platz hinter dem österreichischen ESC-Gewinner JJ (24). Zwischendurch führte sie das Ranking sogar an. Trotzdem dann die Ernüchterung: Von den TV-Zuschauern gab es keinen einzigen Punkt für die Schweizer ESC-Hoffnung. Eine solche krasse Diskrepanz zwischen Jury- und Publikumsvoting ist beim ESC seit Einführung des aktuellen Votingsystems höchst selten.
«Es war verrückt, während des Votings zu den letzten drei Nationen zu gehören, die den ESC-Sieg nach Hause nehmen könnten», sagt Zoë Më gegenüber Blick rückblickend über den Samstagabend. «Der Kontrast war nachher aber umso stärker, als die null Punkte des Publikumsvotings für meinen Beitrag verkündet wurden.»
Im Auswahlverfahren zeichnete sich Diskrepanz nicht ab
In Fankreisen war schon länger klar, dass «Voyage» ein Beitrag ist, der vor allem bei der professionellen Jury punkten wird. Üblicherweise stimmt das Publikum eher für die Beiträge mit grosser Inszenierung und viel Tamtam, die Jury setzt den Gegenpol und belohnt die ruhigeren, tiefgründigeren Beiträge. Am Ende gewinnt der Song, der beide Welten am besten vereint. So in diesem Jahr der Österreicher JJ mit «Wasted Love».
Allerdings habe es sich im Vorfeld beim Auswahlverfahren nicht abgezeichnet, dass Zoë Mës Song für eine derartige Diskrepanz zwischen Jury- und Publikumsvoting sorgt, sagt Pele Loriano (56), der musikalische Leiter der Schweizer ESC-Delegation. «Klar wusste ich, dass der Song wohl eher bei den Jurys punkten wird, weil er auch kein Halligalli-Titel ist», sagt er. Im Auswahlverfahren, das SRF seit 2019 mit einem Marktforschungsunternehmen anwendet, habe sich aber nicht ein derartiger Graben gezeigt.
Österreicher hatten 2015 gleich doppelte Null-Punkte-Schmach.
«Mitglieder der österreichischen Delegation erinnerten mich daran, dass sie im Jahr nach dem Sieg von Conchita Wurst auch keine Stimmen vom Publikum bekamen. Vielleicht ruft man weniger für den Vorjahressieger an», gibt er zu bedenken. Tatsächlich holte 2015 in Wien die Band The Makemakes mit dem Lied «I Am Yours» keinerlei Punkte, weder von der Jury, noch vom Publikum. 2019 bekam der Israeli Kobi Marimi (33) mit dem Titel «Home» in Tel Aviv keine Punkte von der Jury, der Niederländer Jeangu Macrooy (31) sang 2021 mit «Birth Of A New Age» am Publikum vorbei, auch er bekam keine Punkte. Aber: In beiden Fällen war der Unterschied zwischen Jury- und Publikumsstimmen nie so frappant wie bei Zoë Më.
Das Abstimmungsverfahren wird immer wieder kritisiert. Stefan Raab (58) forderte letzte Woche beim Empfang der deutschen und österreichischen Botschaft in Basel die Abschaffung der Jury am ESC. Die Entscheidung solle voll und ganz beim Publikum liegen. Gleichzeitig kritisiert Yves Schifferle (50), der die Schweizer Delegation ab nächstem Jahr wieder leitet, im Blick-Interview die Abschaffung der Jury-Stimmen im Halbfinale. «Meiner Meinung nach leidet die Qualität der Songs längerfristig, wenn immer mehr Länder Spass-Beiträge schicken, weil nur noch die Zuschauer voten. Es braucht eine Jury», sagte er vor dem ESC 2025.
Zoë Më gewann Composer Award
Die Schweiz schickte zuletzt jeweils Beiträge zum ESC, die vor allem bei der Jury gut ankamen. In den letzten Erfolgsjahren der Schweiz holte als einziger Luca Hänni (30) mit «She Got Me» mehr Punkte beim Publikum als bei der Jury. «Ich hätte gerne wieder so einen Beitrag. Die stechen total raus», sagt Pele Loriano. «Für mich ist es aber einfacher abzuschätzen, was den Jurys gefallen könnte.»
Zoë Më muss sich wegen der null Punkte nicht schämen. Für ihren ESC-Beitrag bekam sie den Composer Award der diesjährigen Marcel Bezençon Awards. Alle teilnehmenden Komponistinnen und Komponisten stimmten untereinander ab, wer den besten Titel geschrieben hat. Sie entschieden sich für «Voyage» und setzten damit Zoë Më eine Krone auf. Und auch ein Platz zehn ist eine solide Platzierung. «Unter die besten zehn zu kommen, war immer ein Ziel von mir. Ich bin zufrieden», sagt sie.