Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Amerika, du hasst

«Benutzt die Gegenwart mit Glück!», schreibt Goethe vor 200 Jahren in seinem Gedicht «Den Vereinigten Staaten». Glück brauchen die USA, soll aus dem kalten Bürgerkrieg kein heisser werden, wie dieses Buch eindrücklich belegt.
Publiziert: 20.06.2020 um 15:29 Uhr
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ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Aufgetauten Apfelstrudel und Donauwelle von «Äldi» gibt es, dazu «O Tannenbaum» ab Spotify: Vor Weihnachten lädt der in Nashville (USA) lehrende deutsche Politikwissenschaftler Torben Lütjen (46) seinen Nachbarn Donald samt Freundin ein. Sie schwärmt von Deutschland, doch dort herrsche jetzt ja die Scharia, wie sie im Internet gelesen habe. Den USA gehe es allerdings nicht besser: «Es werde kommen wie in Namibia», zitiert sie Lütjen im Buch: «Die Schwarzen würden das Land zurückfordern, und dann gebe es Bürgerkrieg.»

«Mein Jahr mit Donald», wollte Lütjen dieses Buch ursprünglich betiteln. Doch der Professor of European Studies and Political Science an der Vanderbilt University in Nashville mochte keine «weitere USA-Reportage», keinen Bericht «aus dem Innern» und schon gar keine Exkursion in die «vermeintlich so exotische Lebenswelt des Trump-Wählers» vorlegen. Stattdessen veröffentlicht Lütjen mit «Amerika im kalten Bürgerkrieg» eine fundierte Analyse zu einem lange ausgeglichenen Land, das immer mehr in die Extreme abdriftet.

Was Europa seit dem 19. Jahrhundert kennt – jede Klasse lebt unter sich, hat ihre eigene Meinungszeitung –, ist in den USA spätestens mit dem Internet angekommen: Jeder lebt in seiner Blase und nimmt andere Ansichten nicht mehr wahr. Und mit dem «big sort», der Sortierung Amerikas in politisch-kulturell homogene Räume, sei auch die Zeit bald vorbei, in der ein liberaler Professor neben einem Trump-Wähler wohne und mit ihm Apfelstrudel esse. Demokraten und Republikaner hassen sich abgrundtief, wie Lütjen ausführt: «Über 18 Prozent der Demokraten und fast 14 Prozent der Republikaner sind der Auffassung, dass Gewalt gerechtfertigt sei, wenn die andere Partei 2020 die Präsidentschaftswahl gewinnen sollte.»

«Nicht Trump hat die Polarisierung geschaffen, sondern sie ihn», analysiert Lütjen. Trump sei lediglich der Verkehrsunfall am Strassenrand: «Alle wissen, dass es falsch ist, hinzuschauen. Aber kaum einer kann es lassen.» Und dabei sei es auch nicht hilfreich, wenn man den US-Präsidenten mit Nero, Caligula, Cäsar, Sonnenkönig Louis XIV oder gar Hitler vergleiche. Oder ihn als «Feuerteufel» bezeichnet wie jüngst «Der Spiegel».

«Amerika, du hast es besser», beginnt der deutsche Dichter Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) sein Gedicht «Den Vereinigten Staaten» und schreibt als Begründung: «Dich stört nicht im Innern / Zu lebendiger Zeit / Unnützes Erinnern / Und vergeblicher Streit.» Doch das ist lange her – mittlerweile sind die USA eine Kampfzone. Und Lütjen prophezeit eine noch schlimmere Ära nach Trump: «Vielleicht kommt nach ihm jemand mit der gleichen Skrupellosigkeit und Brutalität, den gleichen populistischen Instinkten – der aber viel disziplinierter ist, viel ideologischer agiert und strategischer vorgeht.» Das wäre dann wirklich ein neuer Hitler.

Torben Lütjen, «Amerika im kalten Bürgerkrieg – wie ein Land seine Mitte verliert», wbg Theiss

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