Mein Lieblingskorrespondent berichtet aus Paris: «Da man in der ersten Bestürzung an Ansteckung glaubte und die älteren Gäste des Hôtel-Dieu ein grässliches Angstgeschrei erhoben, so sind jene Toten, wie man sagt, so schnell beerdigt worden, dass man ihnen nicht einmal die buntscheckigen Narrenkleider auszog, und lustig, wie sie gelebt haben, liegen sie auch lustig im Grabe. Nichts gleicht der Verwirrung, womit jetzt plötzlich Sicherungsanstalten getroffen wurden.»
Ein Bericht zur aktuellen Corona-Krise? Nein, ein Artikel vom 19. April 1832 in der Augsburger «Allgemeinen Zeitung», dem damals bedeutendsten Tagblatt im deutschsprachigen Raum. Geschrieben hat ihn der deutsche Dichter Heinrich Heine (1797–1856). Er war seit 1831 Frankreich-Korrespondent der Zeitung und setzte mit seinen Reportagen «Meilensteine der deutschen Literatur- und Pressegeschichte», wie Heine-Experte Christian Liedtke (56) schreibt, «mit ihnen beginnt die Geschichte des modernen politischen Journalismus und des deutschen Feuilletons».
Tim Jung (48), Geschäftsführer von Heines Hausverlag Hoffmann und Campe, gibt nun aus gegebenem Anlass diesen Pandemie-Bericht in einem Sonderdruck heraus. «Heinrich Heines Beobachtungen zu den Auswirkungen eines unsichtbaren Krankheitserregers sind im Frühjahr 2020 frappierend aktuell», schreibt Jung. Die anfängliche Sorglosigkeit, die schon bald folgende Verwirrung, die Zeit der ernsten Gesichter, die leeren Plätze und Strassen, das Hadern mit den Todesfallzahlen: «Heines wachem Auge entging nichts, was die Welt nun mit Corona nicht erneut erfährt.»
Es ist die Cholera, die in Russland ausbricht, sich 1830 im Baltikum und Polen ausbreitet und 1831 in Deutschland wütet. 1832 tötet die Seuche in den Metropolen London und New York täglich Dutzende Menschen, in Paris übers ganze Jahr 20'000. «Das Volk murrte bitter, als es sah, wie die Reichen flohen und, bepackt mit Ärzten und Apotheken, sich nach gesünderen Gegenden retteten», schreibt der standhaft in Paris ausharrende Heine. «Mit Unmut sah der Arme, dass das Geld auch ein Schutzmittel gegen den Tod geworden ist.»
Und Heine berichtet auch, welche Folgen Fake News haben – damals nicht über Social Media, sondern von Mund zu Mund verbreitet: «Gift, hiess es, habe man in alle Lebensmittel zu streuen gewusst, auf den Gemüsemärkten, bei den Bäckern, bei den Fleischern, bei den Weinhändlern», schreibt Heine. «Je wunderlicher die Erzählungen lauteten, desto begieriger wurden sie vom Volk aufgegriffen.» Mit fatalen Folgen: Der Mob meuchelt zwei Menschen auf offener Strasse, die ein weisses Pulver auf sich tragen – ein harmloses Schutzmittel gegen Cholera.
Heinrich Heine, «Ich rede von der Cholera – ein Bericht aus Paris von 1832», Hoffmann und Campe