Darum gehts
- Fehlgeburten: Männer sprechen offener darüber, Trauer bekommt mehr Raum
- Experten betonen Wichtigkeit, der Trauer einen Platz zu geben
- Jährlich erleben etwa 20'000 Frauen in der Schweiz eine frühe Fehlgeburt
«Meine Frau war das zweite Mal schwanger, und wir haben es leider verloren.» Mit diesen Worten hat Nati-Star Kevin Fiala (28) der Öffentlichkeit vor wenigen Tagen erklärt, weshalb er verspätet an die Eishockey-Weltmeisterschaft angereist ist. Für seinen Mut und seine Offenheit wird er gefeiert. Von Teamkollegen. Von Eltern. Von der Schweiz.
Hierzulande kommt es schätzungsweise bei jeder vierten bis sechsten Schwangerschaft zu einer frühen Fehlgeburt. Früh bedeutet in den ersten drei Monaten. Das sind circa 20'000 betroffene Frauen jährlich. Im späteren Verlauf einer Schwangerschaft nimmt das Risiko ab. Dennoch verlieren nach dem zweiten Drittel jeden Tag ein bis zwei Paare ihr ungeborenes Kind.
Das sind viele, doch das Thema bekommt nicht viel Raum. Meist sind es die Frauen, die davon erzählen. Auf ihnen liegt auch der Fokus. Aber wie geht es den Männern mit so einem Verlust? Wie trauern sie? Und spricht «der Mann von heute» offener darüber? Alltäglich ist es noch nicht, das zeigen die Reaktionen auf Fialas Offenheit.
«Wir sehen eine Tendenz, dass sich etwas mehr Männer bei uns melden», sagt Anne Siegenthaler. Die 41-Jährige ist Hebamme und Trauerbegleiterin bei der Fachstelle kindsverlust.ch. Sie berät Fachpersonen und vor allem Betroffene. Im Schnitt machen sie und ihr Team 14 Beratungen in der Woche. Die heutigen Väter würden ihre Rolle als Vater leben wollen – und dies fange schon in der Schwangerschaft an.
Die Fachstelle kindsverlust.ch ist seit 2003 das schweizerische Kompetenzzentrum für nachhaltige Unterstützung beim Tod eines Kindes in der Schwangerschaft, während der Geburt und in der ersten Lebenszeit. Sie bietet kostenlose Beratung für betroffene Familien und Fachpersonen.
Wer im Netz sucht, stösst auf viele weitere Hilfsangebote. Es gibt zahlreiche Selbsthilfegruppen, auch Stammtische für betroffene Väter in mehreren Regionen. Sowie Vereine und Organisationen, die sich für Betroffene einsetzen.
Die Fachstelle kindsverlust.ch ist seit 2003 das schweizerische Kompetenzzentrum für nachhaltige Unterstützung beim Tod eines Kindes in der Schwangerschaft, während der Geburt und in der ersten Lebenszeit. Sie bietet kostenlose Beratung für betroffene Familien und Fachpersonen.
Wer im Netz sucht, stösst auf viele weitere Hilfsangebote. Es gibt zahlreiche Selbsthilfegruppen, auch Stammtische für betroffene Väter in mehreren Regionen. Sowie Vereine und Organisationen, die sich für Betroffene einsetzen.
Siegenthaler glaubt, dass künftig immer mehr Männer über das Thema Fehlgeburt sprechen. Wie Kevin Fiala. «Früher hätte ein Sportler nicht den wahren Grund für sein Fernbleiben genannt – es wäre wohl nicht mal akzeptiert gewesen, dass er deswegen zu spät kommt», vermutet sie.
«Es ist wichtig, der Trauer einen Platz zu geben»
Generell war der Umgang mit Fehlgeburten ein anderer. Siegenthaler erzählt, noch vor einigen Jahren sei man davon ausgegangen, dass möglichst wenig Konfrontation mit dem verlorenen Kind am besten ist. Nicht darüber sprechen, nicht daran denken. Heute wisse man, das Gegenteil ist der Fall. «Es ist wichtig, dem Kind und der Trauer einen Platz zu geben.»
Väter trauern eher handelnd, sagt die Expertin. Sie übernehmen oft die Rolle des Organisierens, sie funktionieren, sie wollen etwas tun. Siegenthaler erzählt von einem Mann, der einen Marathon plante als Hommage für sein Kind, der Gedanke daran gab ihm Kraft. Ein anderer hatte bereits ein Babybett aus Holz gezimmert. Weil das leer bleiben würde, funktionierte er es um und machte eine Art Schrank daraus. Mit Erinnerungen an das Kind.
Viele Männer sagen auch, dass sie der Partnerin Halt bieten, dass sie stark sein müssen. Schliesslich hatte diese die körperliche Verbindung zum Kind, sie hat es geboren. «Die Partnerin ist dem Vater in den meisten Fällen näher als das Kind», sagt Siegenthaler. Zudem seien Männer so sozialisiert, dass sie ihre Gefühle weniger zeigen, oder zumindest kontrollierter.
Männer und Frauen trauern oftmals unterschiedlich, ein Paar muss das Verbindende finden und im Dialog bleiben. Das haben auch Luiz K. und Men Spadin so erlebt. Sie und ihren Partnerinnen haben je zwei Mal ein ungeborenes Kind verloren.
«Ich glaubte, dass es ein Zeichen ist»
Luiz K. erinnert sich, dass er zu weinen anfing und nicht sprechen konnte. Als er sich beruhigt hatte, erzählte er seinen Arbeitskollegen, was passiert ist. Seine Frau hatte angerufen, die Ärztin konnte bei ihrem ungeborenen Baby keinen Herzschlag mehr feststellen. Sie hatten es verloren. «Ich muss sofort nach Hause», sagte er seinem Vorgesetzten.
Der erste Verlust sei ganz schlimm für ihn gewesen. «Ich habe diesen Menschen nie kennengelernt, er war nie bei mir, und dennoch habe ich jemanden verloren, der mir ganz nah war», erzählt der 38-Jährige, der damals schon Vater eines Kindes war. Über den Verlust sprach er nur mit seiner Frau. Er sei generell nicht der Typ, der von seinem Kummer erzählt. «Ich hatte so viele Gefühle und Gedanken. Nachdem wir ein weiteres Mal ein Kind verloren hatten, dachte ich plötzlich, vielleicht ist das ein Zeichen, dass für uns kein zweites Kind in unserem Leben vorgesehen ist.»
Doch seine Frau wurde nach einigen Monaten wieder schwanger. Ende Dezember 2024 kam ein gesunder Junge auf die Welt.
«Ich möchte, dass wir über Fehlgeburten sprechen»
Bevor Men Spadin (39) und seine Partnerin Eltern von zwei Buben (6 und 4½ Jahre) wurden, hatten sie zwei Kinder verloren. Für Spadin ist es wichtig, dass über Fehlgeburten gesprochen wird, dass Männer darüber sprechen. Das tat er auch in seinem Podcast «väter_fragen». «Ich wünsche mir, dass es normal wird, über eine Fehlgeburt zu sprechen», sagt Spadin. «Sobald es um Tod geht, wissen die Leute nicht, wie reagieren.» Spadin wünscht sich, dass das Umfeld den Mut hat, nachzufragen, was man braucht. Dass Freunde und Bekannte zuhören oder ablenken. «Ich will gerade im Mittelpunkt stehen mit meiner Sorge.»
Den Verlust gar nicht anzusprechen, das sagt auch Fachperson Siegenthaler, sei oft verletzender. Man könnte etwa fragen: «Was beschäftigt dich am meisten?» Oder aber konkrete Angebote machen, wie auf einen Spaziergang oder eine Joggingrunde einladen.
«Ich habe meiner Trauer nicht viel Raum gegeben», sagt der 39-Jährige. Er sei am nächsten Tag zur Arbeit, wollte Alltag erleben. Da erzählte er es aber auch allen. Auch seinen engsten Freunden. Schliesslich wussten alle von seinem grossen Kinderwunsch. «Das hatte ich überall herumposaunt», sagt Spadin.
Er ist sich sicher, dass sich etwas gewandelt hat. Wenn er als Sexualpädagoge mit Klassen arbeitet und über Fehlgeburten spricht, hört er von den Buben immer wieder mal: «Meine Mama hatte auch eine» oder «Ich hätte eigentlich noch ein Geschwister». Das heisst, sie sprechen in der Familie darüber. Das war bei den Babyboomern noch anders. Das Schweigen grösser.
«Je aufgeklärter wir sind, desto einfacher können wir über das Thema Fehlgeburt sprechen, und das Trauern wird uns Buben und Männern zugestanden», sagt Spadin.