Darum gehts
- Weinbestellung im Restaurant erhöht Erwartungen an das Trinkgeld
- Hohe Weinpreise steigern den Druck auf Gäste, grosszügig zu sein
- Seit 1974 ist Trinkgeld in der Schweiz freiwillig
Ein entspannter Abend im Restaurant, die Weinkarte ist bereits geöffnet. Höchste Zeit, sich endlich wieder mal etwas zu gönnen. Ein gereifter Spitzen-Barolo für 120 Franken? Bestellt. Und während die Flasche geöffnet, dekantiert und eingeschenkt wird, serviert das Personal mit einer Eleganz, als fände das Dinner in Versailles statt. Was viele nicht ahnen: Ab diesem Moment tickt eine unsichtbare Erwartungsuhr.
Denn wer in der Beiz Wein im dreistelligen Bereich Wein bestellt, gilt automatisch als Grosszahler. Und wer für viel konsumiert, soll auch grosszügig belohnen. Plötzlich steht man unter stillem Beobachtungsdruck: Die Sommelière, die sich an die perfekte Servicelinie hält. Der Kellner, der sich alle zehn Minuten nach dem Wohlbefinden erkundigt. Und der Blick vom Nebentisch, der beim Zahlen unauffällig über die Schulter wandert. Ein Gefühl wie im Schaufenster.
Seit 1974 ist Trinkgeld in der Schweiz freiwillig
Restaurants haben ein Interesse daran, hochpreisige Flaschen zu verkaufen. Denn die Marge auf edlen Tropfen ist in absoluten Zahlen deutlich attraktiver als beim Hauswein für 7.50 Franken das Glas. Je teurer der Wein, desto besser fürs Geschäft. Doch mit der exklusiven Wahl wächst auch der moralische Druck: Wer sich eine Flasche für 120 Franken gönnt, soll bitte nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit dem Servicepersonal grosszügig sein.
Dabei ist Trinkgeld in der Schweiz seit 1974 offiziell freiwillig. Es ist ein Bonus – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Gerade bei weintrinkenden Gästen sollten Serviceangestellte ihre Trinkgeld-Erwartung tief halten, um im besten Fall positiv überrascht zu werden. Genuss darf kein moralischer Spiessrutenlauf sein. Wer sich für einen edlen Tropfen entscheidet, soll ihn entspannt geniessen können – und nicht schon beim Einschenken ins Schwitzen geraten.