Milena Moser über einen fürsorglichen Freund
«Wir hatten auch gute Zeiten»

Ein lang und sorgfältig, fast zu sorgfältig, geplanter Ausflug fand endlich statt. Und jedes einzelne E-Mail im Vorfeld hatte sich gelohnt.
Publiziert: 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2025 um 19:25 Uhr
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Mit einer Gruppe Freundinnen und Freunde traf sich Milena Moser zum Picknick im Park – nach einer aufwendigen Planung. (Symbolbild)
Foto: Getty Images

Darum gehts

  • Minutiös geplantes Picknick im Park sorgt für unvergessliches Erlebnis
  • Gentleman Jim zeigt Fürsorge durch sorgfältige Vorbereitung und Umsetzung
  • 27 E-Mails waren nötig, um das Picknick zu organisieren
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Milena MoserSchriftstellerin

Vor einiger Zeit habe ich hier, vielleicht ein kleines bisschen genervt, von einem geplanten Picknick erzählt, das sage und schreibe 27 E-Mails brauchte, um zustande zu kommen. Ich war schon nahe daran, die Sache aufzugeben.

Doch jetzt hat es stattgefunden. Und ich verstand endlich, worauf die minutiöse Planung abgezielt hatte.

Ein Bild wie aus einem französischen Film erwartete uns, als wir gegen Mittag im Park eintrafen. Einer der Picknicktische war mit einem grünen Tischtuch, mit weissem Geschirr und Weingläsern gedeckt. Und nicht irgendeiner der Tische, sondern der beste, ganz oben am Hügel, wo man über die ganze Bay sehen konnte. Das Wasser glitzerte im Sonnenlicht, es war einer dieser strahlenden, klaren Herbsttage, die einen mit dem Leben versöhnen. Gentleman Jim, wie wir ihn nennen, hatte den Tisch frühmorgens schon reserviert, war dann noch mal nach Hause geeilt, um die in den vielen E-Mails diskutierte und schliesslich von allen Seiten gutgeheissene Mahlzeit zuzubereiten, sachgerecht zu verpacken und wieder zurück in den Park zu transportieren.

Ich gebe zu, ich habe manchmal unwillkürlich die Augen verdreht, wenn ich wieder ein Mail von Jim öffnete. Doch jetzt, als ich vor diesem reich gedeckten Tisch stand, überkam mich eine seltsame Rührung. Ich schaute mich in der Runde um und sah, dass ich nicht die Einzige war. Für einmal waren alle einen Moment lang still und irgendwie ergriffen. Eine Freundin griff sich instinktiv ans Herz und seufzte.

Wir fühlten uns umsorgt, das war es. Wir fühlten uns gesehen und irgendwie auch gewürdigt, in all unseren kleinen Sonderwünschen und Eigenarten. Und genau dazu hatte es all diese endlosen Fragen und Nachfragen gebraucht, um all unsere Wünsche zu erfassen und aufeinander abzustimmen.

«Unglaublich, wie du das hingekriegt hast», sagte ich.

«Na komm, ich bin ja nicht erst seit gestern auf der Welt!»

Jim hat die Fürsorge hart trainiert: Seine Frau litt unter einer schweren psychischen Krankheit, die wenige Jahre nach der Hochzeit ausbrach und sie bis zu ihrem Tod quälte. Jede schwere Diagnose ist eine Belastung. Doch psychische Krankheiten werden bis heute weniger ernst genommen als physische, lösen weniger Anteilnahme aus, es gibt weniger Unterstützung, weniger Hilfsangebote, hierzulande auch weniger medizinische Hilfe oder Behandlungsmöglichkeiten. Aber Jim will nicht bemitleidet und schon gar nicht als Held gefeiert werden. «Das war einfach unser Leben, manchmal war es schwer, aber wir hatten auch gute Zeiten.»

Deshalb nennen wir ihn den Gentleman: Gentle heisst sanft, nicht nobel. Er ist ein sanfter Mann. Das ist selten – und irgendwie doch auch nobel. Er schnitt den gedünsteten Lachs in Scheiben und öffnete die Kühlbox, in der, gemäss unseren Wünschen, sieben verschiedene Getränke lagerten.

Wir assen den Lachs und die Salate, die Nüsse und den Kuchen. Tranken Apfelschorle oder Wein aus den langstieligen Gläsern, die in Wirklichkeit aus Plastik waren. Kinder spielten im Gras, Hunde jagten Bällen nach, ein vollkommen verschwitzter Mann bat uns keuchend um Hilfe: Seit einer Stunde suchte er verzweifelt eine Geburtstagsparty, die, wie wir gemeinsam herausfanden, in einem ganz anderen Park stattfand.

Wir sassen, bis es kühl wurde, bis einer von uns aufsprang: «Oh, Mist, wie spät ist es eigentlich?» Fast hätte er vergessen, seine Töchter vom Fussball abzuholen.

Dann standen plötzlich alle auf, und Jim scheuchte uns mit beiden Händen weg, nein, er wollte keine Hilfe beim Aufräumen. Auf dem Weg nach Hause und auch in den nächsten Tagen hörte ich immer wieder seine Stimme in meinem Ohr: «Wir hatten auch gute Zeiten.»

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