Darum gehts
- Milena Moser fährt mit ihrem Mann Victor zu seinem Geburtstag nach Dillon Beach
- Victors positive Einstellung ermöglicht die Reise trotz eines Infekts
- Milena Moser ist im Nachhinein besorgt, dass die Reise doch zu viel für Victor war
Victors Geburtstag feierten wir in Dillon Beach, einem schrägen kleinen Ferienort an der Küste, der Ende des 19. Jahrhunderts als eine Art Ferienkolonie für Arbeiterfamilien aus Sacramento gegründet wurde. Der Dorfkern besteht aus identischen kleinen Strandhäuschen, die heute als Tiny Houses vermarktet werden. Damals wurden ganze Familien in ihnen untergebracht. Das Häuschen, das wir mieten konnten, war einst das Studio einer exzentrischen und reichen Künstlerin, einer der Entdeckerinnen dieser charmanten Bucht.
Dillon Beach ist nur eineinhalb Stunden von San Francisco und somit der Uniklinik entfernt. Viel weiter reisen wir nie zusammen, ausser in der Fantasie. In unseren Gesprächen. Da waren wir schon mehrmals in Paris, in Japan und natürlich, zuallererst und vor allem, in der Schweiz. Aber wir halten uns nicht lange damit auf, was alles nicht möglich ist, wir geniessen unsere kleinen Fluchten aus dem Alltag. Wir haben unsere Rituale, unsere Lieblingslokale, Ausflugsziele, den Fischmarkt, wo wir immer etwas extra bekommen, ein paar Austern, einen Krebsschwanz, und uns einbilden, wir seien die einzigen so Bevorzugten.
Kurz vor der Abreise wurde Victor krank. Ein hässlicher Infekt breitete sich erschreckend schnell in seinem Körper aus. Doch er hatte Glück, das richtige Medikament war für einmal schnell gefunden, verschrieben und vor allem bewilligt.
«Ich freu mich so auf unsere Reise», murmelte er im Halbschlaf, während seine Zähne aufeinanderschlugen.
Das ist typisch Victor. Wenn ich denke, «das können wir vergessen», und mich schon frage, ob wir wohl einen Teil des Geldes zurückverlangen können, hält er stur an unserem Vorhaben fest. «Manifestieren», nennt man das auch. Man kann es in Kursen lernen, in Büchern nachlesen. Die Kraft des positiven Denkens und so weiter. Oder man kann mit einem kranken Menschen zusammenleben. Mit einem Victor.
Victors Körper kämpfte, er bäumte sich gegen die Krankheit auf, ich beobachtete ihn beunruhigt und beeindruckt zugleich. Endlich, am Tag vor unserer geplanten Abreise, begann er sich besser zu fühlen.
«Wir fahren», bestimmte er. «Im Bett liegen kann ich auch an der Küste.»
Ich hingegen zögerte. Er war doch noch schwach, mochte noch gar nicht richtig essen.
«Dann fahr ich aber», stellte ich ihn auf die Probe. Victor ist der unwilligste Beifahrer der Welt, schwitzt Blut und Wasser neben mir, schnappt alle paar Minuten hörbar nach Luft, schimpft, wenn ich nicht gleich überhole, und auch, wenn ich es tue.
«Kein Problem.» Das gab den Ausschlag.
Das Studio stand etwas erhöht am Hang. Vom Bett aus konnte man über die Dächer auf den weiten Ozean hinaus sehen, in den grauen Himmel. Pelikane zogen vorbei und Wolken.
Jeden Morgen ging ich kurz an den Strand hinunter und dann zum Laden, um frische Brötchen zu kaufen. Den Rest der Tage verbrachten wir zusammen, er im Bett, ich am Tisch, in der Küche, auf dem Sofa. Es gab keine Wände, die uns trennten. Wir schliefen, redeten, lasen. Ich kochte, wir assen, sogar ein Stück Kuchen an seinem Geburtstag.
Als wir nach Hause zurückfuhren, wirkte er deutlich erholt. «War das nicht grossartig?»
«Beste Ferien ever», sagte ich und meinte es auch so.
Zwei Tage später wachte der Infekt wieder auf. Diesmal führte kein Weg am Krankenhaus vorbei.
«War es vielleicht doch zu viel?», hinterfragte ich mich, während wir in den unbequemen Plastikstühlen im Warteraum sassen. «Hätten wir nicht, hätte ich, sollte ich ...»
Victor nahm meine Hand: «Bist du nicht froh, dass wir noch weggefahren sind? Diese Tage kann uns niemand nehmen.»