Darum gehts
- Milena Moser erlebt eine harsche Reaktion, nachdem sie einem Mann ein Kompliment macht
- Dies erinnert sie daran, wie schwierig es ist, Komplimente anzunehmen
- Doch sie gibt nicht auf und achtet weiterhin auf Schönes und verteilt Nettigkeiten
«Das weiss ich dänk!», blaffte mich der Mann im Zug an. So laut, dass ich zurückwich. «Hat ja auch genug gekostet!» Was hatte ich getan? Ich hatte ihm ein Kompliment gemacht für den auffälligen Silberring, den er trug. Ich sank ein wenig in den Sitz zurück und versteckte mein Gesicht im Mantelkragen, als hätte ich etwas falsch gemacht. Doch dann musste ich kichern. Das war schon eine fortgeschrittene Form des Komplimente-Zurückweisens! Eine Unart, die mir selbst aber auch nicht fremd ist.
Dabei freue ich mich ehrlich über jedes Kompliment. Im ersten Moment. Doch dann setzt gleich eine seltsame Abwehr ein. Als hätte ich das gar nicht verdient. Und ich kann den Impuls nicht unterdrücken, es abzuschmettern: «Ach, da war das Licht grad so schmeichelhaft.» «Das Tuch gehört nicht mal mir.» Sobald ich mich höre, ärgere ich mich schon wieder über mich, und manchmal gelingt es mir dann, ein schnelles «Danke, wollte ich sagen!» nachzuschieben. Denn ich weiss ja umgekehrt, wie ich mich fühle, wenn ein gut gemeintes Kompliment so schnöde zurückgewiesen wird. Zurückgewiesen, im Regen stehengelassen, mit hängenden
Armen.
Komplimente sind eine Form der Selbstfürsorge
Komplimente zu verteilen, ist viel einfacher, als sie anzunehmen. Und es ist nicht nur ein Ausdruck von Freundlichkeit, sondern eine Form der Selbstfürsorge. Ich fühle mich einfach besser, wenn ich meine Umgebung auf das Schöne absuche statt, wie das früher oft der Fall war, automatisch auf Abwehr zu schalten. Als seien meine Mitmenschen potenzielle Feinde. Ich habe mich manchmal dabei ertappt, gereizt durch die Welt zu gehen, andere als Ärgernis wahrzunehmen: Die hat sich jetzt aber eindeutig vorgedrängelt! Oh nein, muss der sich ausgerechnet auf den letzten freien Platz setzen. Geh mir aus dem Weg. Lass mich in Ruhe. Dabei ist das doch gar nicht meine Art. Es ist anstrengend, so durch die Welt zu gehen. Zermürbend. Und so hab ich irgendwann meinen Fokus geändert. Ich halte nach schönen Dingen Ausschau, nach besonderen Einzelheiten, die mir sonst entgehen. Anfangs hab ich mir noch vorgenommen, jedes Mal, wenn ich das Haus verlasse, mindestens ein Kompliment zu machen. Auch wenn ich nur die paar Schritte bis zum Eckladen gehe. Bald musste ich mir das gar nicht mehr bewusst vornehmen. Mein Blick hat sich verändert, er hat sich geschärft, ich sehe das Spezielle, das Erwähnenswerte, zuerst.
«Bisschen wie Pokémon Go», sagte eine Freundin, die diesem Spiel eine Zeit lang absolut verfallen war. Sie beschrieb, wie sie sich auf ihren Spaziergängen ganz auf diese kleinen Wesen ausrichtete, darauf, sie zu finden. Wie sie ganz in dieser Welt aufging. «Ja», sagte ich. «Ungefähr so.»
Gerade in einer Zeit, wo ich manchmal an der Menschheit verzweifeln möchte, tut es mir gut, zu sehen und auch auszusprechen, zu bestätigen, wie viel Schönes da ist. Überall. Und so gab ich auch an diesem Tag, als ich im Zug von einem fremden Mann so angefahren wurde, nicht gleich auf. Beim Aussteigen fiel mir ein buntgemusterter Mantel auf, ich sagte etwas dazu und es entwickelte sich ein freundliches kurzes Gespräch. Geht doch, dachte ich.
Der gereizte Mann wollte mir vielleicht nur eine Lektion erteilen. Mich daran erinnern, wie unnötig unfreundlich es ist, ein Kompliment zurückzuweisen. Das nächste Mal, wenn ich eins bekomme, denke ich an ihn.