Darum gehts
In Genf wird seit Sonntag über Frieden gesprochen – allerdings ohne jene zwei, die ihn eigentlich schliessen müssten. In Genf sind Vertreter der Ukraine anwesend, die Russen fehlen dort. Den Plan geschrieben hatten die USA jedoch in Absprache mit den Russen – ohne die Ukrainer.
Und genau hier stellt sich die drängendste Frage: Kann ein Verhandlungsprozess überhaupt funktionieren, wenn die Kriegsparteien nicht einmal im selben Raum sitzen?
Wieso nicht direkt verhandeln?
Matthias Schranner ist Verhandlungsexperte sowie Lehrbeauftragter an der Uni St. Gallen und aktuell in Genf. Er hat eher wenig Hoffnung. Auf die Frage, ob sich Russland und die Ukraine unter diesen Bedingungen überhaupt annähern können, sagt er schlicht: «Ich seh es nicht.» Es ist die klare Absage an ein Szenario, das politisch gerne herbeigeredet wird – aber praktisch kaum Realität werden kann.
Denn das Grundprinzip der Verhandlungen ist zurzeit völlig untypisch: Russland bringt seine Ideen ein, die Ukraine darf später über Vermittler ergänzen, streichen, umschreiben. Doch Streitpunkte lassen sich nicht wie Textbausteine verschieben.
Wieso also nicht direkt verhandeln? «Eine echte, ernstzunehmende Verhandlung ist zu risikoreich, weil das Scheitern einfach noch zu wahrscheinlich ist.» Ein direktes Treffen wäre gefährlich, weil es sofort platzen könnte – und das wäre ein diplomatischer Totalschaden. Aber genau deshalb fehlt die Dynamik, die direkte Verhandlungen eigentlich ausmacht.
Der Winter als stiller Verhandlungspartner
Warum finden die Gespräche dann überhaupt statt, wenn die Ausgangslage so schlecht ist? Schranners Antwort ist einfach: Die Fronten zwischen Russland und der Ukraine sind härter als alles, was übliche Diplomatie auffangen kann. Und: «Beide Parteien haben Angst, dass ein harter Winter schlecht für alle ist.»
Die Energieinfrastruktur in der Ukraine ist massiv zerstört, manche Regionen in Russland stehen kaum besser da. In beiden Ländern drohen Stromausfälle, Heizprobleme, humanitäre Notlagen. Schon in den Jahren zuvor froren auch die Kampfhandlungen grösstenteils ein. Der Winter wird zum unsichtbaren Druckfaktor – und damit zu einem Verhandlungspartner, der härter ist als jede diplomatische Formulierung.
Ein guter Startpunkt – aber ein wackliger
Trotz aller Zweifel sieht Schranner auch Chancen in dieser Woche. Er anerkennt, dass überhaupt wieder Bewegung in die Sache kommt: «Erfahrungstechnisch gesehen ist es ein guter Startpunkt.» Die USA haben den Prozess angeschoben, Genf ist als neutraler Ort zurück im Spiel, und zumindest liegen erste Dokumente auf dem Tisch.
Doch jetzt muss etwas passieren. Schranner formuliert es scharf: «Wenn in den nächsten zwei, drei Tage nichts Greifbares rauskommt, dann verpufft das Ganze wieder.» Diese Woche entscheidet also, ob die fragile Dynamik trägt – oder ob der US-Plan mit zuerst 28 Punkten und das Treffen in Genf rückwirkend nur als symbolische Geste gelten.
Aus Schranners Sicht fehlt vor allem eines: ein Enddatum, eine Art Verhandlungsspanne. «Man braucht jetzt eine Timeline, wo man sagt: Bis zu einem bestimmten Tag muss etwas passieren.» Ohne solche Taktung droht der Prozess wieder in endlosen Erklärungen, Nachbesserungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen zu versanden.
Ohne direkten Kontakt kein echter Fortschritt
Ein Frieden, der ohne direkte Gespräche entsteht, ist nicht unmöglich – aber extrem unwahrscheinlich. Schranner fasst die Lage nüchtern zusammen: «Es ist besser als nichts. Aber es ist auch nicht gut.»
Die Frage, ob so ein Prozess überhaupt Sinn macht, beantwortet sich damit fast selbst: Solange Russland und die Ukraine nicht direkt miteinander sprechen, kann es maximal ein Vorstadium von Verhandlungen geben – aber kaum einen echten Durchbruch.