Darum gehts
- Europa verliert Einfluss im Ukraine-Konflikt, USA und Russland dominieren Verhandlungen
- Politikberater Reginold: Europäische Staatschefs reagieren nur, statt Strategien zu entwickeln
- Neuer 19-Punkte-Friedensplan für Ukraine vorgestellt, Russland lehnt ab
Europa schien für einen Moment zurück auf der weltpolitischen Bühne. Nach den Verhandlungen in Genf vom Sonntag präsentierten die USA und die Ukraine eine angepasste Version des ursprünglichen 28-Punkte-Plans für die Ukraine. Die Details sind unklar, jedoch waren die Europäer massgeblich daran beteiligt, dass der neue 19-Punkte-Plan die Interessen Kiews stärker berücksichtigt.
Nur wenige Stunden später reagierte Moskau empört auf die Änderungen. Der Kreml lehnt die neue Version ab und signalisiert, den Europäern keine weitere Chance für Vermittlungsversuche geben zu wollen. «Leute, ihr habt es vergeigt», sagte der russische Aussenminister Sergej Lawrow (75) am Dienstag vor Journalisten.
Wie steht es wirklich um Europas Einfluss – und kann der Kontinent noch zu einer nachhaltigen Friedenslösung beitragen? Geopolitikexperte und Präsident des Swiss Institute for Global Affairs (SIGA) Remo Reginold (40) ordnet ein: «Europa ist schon seit geraumer Zeit in einer schlechten Verhandlungsposition. Die europäischen Staatschefs reagieren meist nur, anstatt eigene Strategien zu entwickeln.»
«Russland geht ‹all in›»
Reginold erklärt, dass diese Zurückhaltung von anderen Akteuren gezielt ausgenutzt werde. «Die Trump-Administration nutzt die Hektik Europas aus, um Druck auf die Ukraine auszuüben und gegenüber Russland flexibel zu erscheinen», sagt er.
Dadurch befinde sich Russland in einer guten Verhandlungsposition. «Trump will Frieden zu seinen Gunsten. Das ist keine gute Kombination für Europa. Russland geht ‹all in›, hat den globalen Süden
hinter sich und ist vorbereitet.»
US-Sondergesandte Steve Witkoff reist nächste Woche nach Moskau. Die Europäer werden bei diesen Gesprächen wohl nicht mitreden. «Es wird über Europa verhandelt und Europa ist nicht dabei», sagt Reginold. «Realpolitisch müssten die Europäer militärisch und strategisch etwas zu bieten haben. Das haben sie nicht.»
Trump habe Europa erneut unter Zugzwang gesetzt
Reginold verweist auch auf eine Aussage des französischen Generalstabschefs Fabien Mandon, die jüngst für Aufsehen gesorgt hat. Mandon sagte: «Wir müssen akzeptieren, unsere Kinder zu verlieren.» Was er meint: Die Sicherheitslage in Europa verschärft sich weiter. Nicht alle Armeen seien auf mögliche Gefahren vorbereitet. Seine Aussagen hätten dazu gedient, «Alarm zu schlagen».
Reginold sieht einen solchen Satz als ein klares Zeichen. «Er ist symptomatisch für die undefinierte und nervöse Position Europas.» Mit der Idee, massiven Druck auf die Ukraine auszuüben und gegenüber Putin unberechenbar zu erscheinen, habe Trump den Kontinent erneut unter Zugzwang gesetzt. «Trump hat den alten Kontinent einmal mehr überrumpelt.»
«Ihnen fehlt Verhandlungsmasse»
Im März formierten sich einige europäische Staaten zur «Koalition der Willigen», um die Ukraine in Friedensverhandlungen zu unterstützen. «Die Koalition war ein guter Schachzug. Damit der Zug aber auch Wirkung hat, müssen Taten folgen», betont Reginold. «Die entsprechenden symbol- und realpolitischen Aktionen fehlten.
Grossbritannien, Frankreich und Deutschland konnten sich nicht inszenieren und auch kein Powerplay aufziehen, welches Trump beeindruckt hätte. Ihnen fehlt schlicht wirtschaftliche, militärische oder strategische Verhandlungsmasse.»
«Die Welt dreht sich nicht mehr um uns»
Laut Reginold werden die Beziehungen zwischen Russland und Europa angespannt und widersprüchlich bleiben. Russland werde das «strategische Ausprobieren» weiterführen. «Das Problem ist, dass Russland uns damit Positionen aufzwingen wird, die uns in eine Ecke drücken könnten.» Ungeachtet dessen hält Moskau eine Beteiligung der Europäer an Gesprächen über die Sicherheitsarchitektur in Europa für nötig. Auf «irgendeiner Etappe» sei das nötig, so Kremlsprecher Dmitri Peskow (58).
Was kann Europa tun, um wieder stärker zu werden? «Wir müssen uns im Bereich der militärischen und zivilen Verteidigung sowie geopolitisch besser aufstellen, die Vielfalt nutzen und endlich ernst nehmen, dass die Welt sich dreht, aber nicht mehr um uns.» Europa müsse aufhören, sich mit sich selbst zu beschäftigen, betont Reginold.