Darum gehts
Gerade mal 33 Seiten dünn ist die «Nationale Sicherheitsstrategie der USA», die Donald Trumps (79) Regierung am Freitag veröffentlicht hat. Der knappe Platz reicht, um fast alle Grundsätze der amerikanischen Politik umzustossen. Das Papier, eine Art Handbuch für die US-Aussenpolitik, soll garantieren, dass die USA «das grossartigste Land der Menschheitsgeschichte» bleiben.
Trumps Rezepte sind für uns nur schwer verdaulich: Autoritäre Mächte wie China und Russland sind okay, solange sie mit den USA handeln. Afrika, Australien und Lateinamerika: interessieren keinen. Und Europa: Das soll nationalistischer und stolzer werden – und mehr Kinder kriegen. Sonst wendet sich Washington ab. So brutal das klingt: Gerade für die Schweiz bietet Trumps neue Strategie eine Chance.
Das Bild, das die Amerikaner von Europa zeichnen, könnte kaum düsterer sein. Die Überregulierung töte die Kreativität und den wirtschaftlichen Erfolg. Die Migration bedrohe das europäische Erbe. Die niedrige Geburtenrate führe dazu, dass Europa bald von Nicht-Europäern dominiert werde. «In 20 Jahren wird man den Kontinent nicht mehr wiedererkennen, wenns so weitergeht», steht auf Seite 25.
Ganz offen warnt das Papier davor, dass «bestimmte Nato-Mitglieder langfristig von einer nicht-europäischen Mehrheit bevölkert» sein werden. Ob diese Länder – entfremdet von ihrer nationalen Kultur und Geschichte – dann tatsächlich noch Teil der westlichen Allianz sein oder ganz andere Ideologien verfolgen wollen, sei unklar, warnt Trump. Die Grundidee ist klar: Fürs Überleben Europas garantieren könnten nur ethnische (also weisse) Europäer. Alle anderen seien eine Gefahr. Die Lösung: Das weisse Europa müsse mehr Kinder kriegen.
Verstecktes Lob für die AfD
Diese Töne kennt man von Trumps Social-Media-Kanälen und aus der berüchtigten Rede seines Vizepräsidenten J.D. Vance (41) im Februar an der Münchner Sicherheitskonferenz. Jetzt aber steht Trumps Verriss schwarz auf weiss in der Sicherheitsstrategie und wird damit automatisch zur Schablone, durch die Amerikas Diplomaten und Generäle Europa betrachten sollen.
Fallenlassen will Trump die Alte Welt (noch) nicht. Die wahren Gefahren, die Europa bedrohen, blendet er aber schamlos aus. Seine Idee, wie sich Europa gegen das im Papier mit keinem Wort kritisierte Russland wehren soll, zeigt, wie sehr sich Washington von Moskaus Propaganda hat einseifen lassen. Trump will:
- Eine «strategische Stabilität»: Europa und Russland müssten aufeinander zugehen und jede weitere Eskalation verhindern.
- Einen Stopp der «Ausdehnung der Nato»: Das ist reinrassiger Kreml-Sprech. Die Nato, mitgegründet durch die USA, ist kein aggressiv wachsendes Geschwür, sondern ein Verbund von souveränen Staaten, die sich aus freien Stücken um eine Mitgliedschaft beworben haben.
- Den «Widerstand innerhalb Europas» unterstützen: Das Erstarken «patriotischer Parteien» in Europa (gemeint sind wohl die AfD in Deutschland oder das Rassemblement National in Frankreich) mache Hoffnung, hält das Papier fest. Diese Parteien würden Europa von seinem eingeschlagenen Weg abbringen.
Amerika könne die Welt nicht weiter auf seinen Schultern tragen wie der mythologische Atlas, schreibt die Trump-Regierung. Dass die militärisch und wirtschaftlich dominanteste Nation der Menschheitsgeschichte sich in Zukunft primär um sich selber kümmern soll, davon ist Trump überzeugt.
Chance für die Schweiz
Allzu überraschend kommt die Klatsche für die Alte Welt allerdings nicht. Schon George W. Bush (79) sah in Europa primär einen (recht widerspenstigen) Partner für seine Anti-Terror-Kriege. Und der gebürtige Hawaiianer Barack Obama (64) setzte alles daran, den Fokus seines Landes weg von Europa und hin zum Indopazifik zu verschieben. So radikal wie Trump hat sich aber noch kein US-Präsident in die post-europäische Ära gestürzt.
Doch: Gerade für die Schweiz bieten sich Schlupflöcher zurück zu einer freundschaftlichen Partnerschaft. Trumps Strategiepapier hält klar fest, dass die Zukunft den eigenständigen Nationalstaaten gehöre. Die europäische Schweiz als Nicht-Mitglied der von Trump verachteten EU gefällt dem US-Präsidenten. In etwas mehr als einem Monat besucht er uns bereits wieder am WEF in Davos.
Dass die Schweiz amerikanische Kampfjets einkauft, macht sie in Trumps Augen zur natürlichen Alliierten: Internationale Freundschaften kittet man mit Cash, Zuwendung gibts für Zaster. Wenn der Bundesrat Trump im Januar im Bündnerland vor alpiner Kulisse auch noch verklickert, dass man sich im Verteidigungsdepartement jetzt überlegt, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um noch mehr Waffen kaufen zu können, dann wäre das genau nach dem Gusto des US-Präsidenten. Dass die Schweiz selbst dann noch meilenweit entfernt wäre von Trumps Fünf-Prozent-für-Verteidigung-Ziel, müssen wir ihm ja nicht allzu sehr unter die gebräunte Nase reiben.