Darum gehts
- Experte: Russland plant keine unmittelbaren Kriegsvorbereitungen gegen die Nato
- Moskau versucht, Schwächen der Nato-Verteidigungsfähigkeiten aufzuzeigen
- Ukrainer greifen wichtige Pipelines an, auch Ziele tief in Russland
Wie sehen die Nato-Pläne von Kreml-Chef Wladimir Putin (72) wirklich aus? Diese Frage stellen sich derzeit so manche im Westen. Vor ein paar Tagen sorgte ein Bericht des renommierten Institute for the Study of War (ISW) für Aufsehen. Analysten legen in dem Dokument dar, dass der Kreml gezielte Vorbereitungen innerhalb seiner Militärstruktur treffe, die auf einen potenziellen Krieg mit der Nato hindeuten. Darunter finden sich unter anderem verdeckte Angriffe, gezielte Provokationen sowie hybride Kriegsführung. Diese Vorbereitungen werden als Phase 0 bezeichnet.
Fasst der Kreml tatsächlich einen potenziellen Krieg mit der Nato ins Auge? Geopolitik-Experte Klemens Fischer (61) sagt: «Ein Satz über Putins Phase 0 ist ganz entscheidend.» Die Ausführungen über Phase 0 seien zwar inhaltlich ausgezeichnet, doch ein Detail gehe unter. «Es findet nur am Rande eine Erwähnung», so Fischer.
Ein entscheidender Satz
Er zitiert: «Das ISW hat keine Anzeichen dafür festgestellt, dass Russland sich derzeit aktiv auf einen unmittelbar bevorstehenden Konflikt mit der Nato vorbereitet.» Es gebe also keinen einzigen belastbaren Beweis dafür, dass Putin einen Krieg starten möchte, so Fischer.
Dennoch ist die momentane Situation ernst zu nehmen: «Ziel dieser militärischen Planspiele ist es, die eigenen Fähigkeiten derart zu gestalten, dass sie abschreckend auf den Gegner wirken.»
Blickt man auf die Reaktionen im Westen, ist dies Russland auch teilweise gelungen. Die Verunsicherung in vielen Staaten ist gross.
Diese Probleme hat Moskau
Fischer sagt aber auch: Russland hat es in mehr als drei Jahren nicht geschafft, die Ukraine im Gefechtsfeld zur Kapitulation zu zwingen. «Eine direkte Auseinandersetzung mit der Nato würde Moskau keinesfalls siegreich durchstehen, sie würde im Gegenteil mit einer absehbaren Niederlage für Russland enden.»
Auch an der Front ist zuletzt nicht alles perfekt gelaufen. Den Ukrainern gelangen beispielsweise grosse Angriffe auf wichtige Pipelines – auch Ziele tief im russischen Hinterland sollen schon getroffen worden sein. «Spürbarer Widerstand gegen den Ukraine-Krieg hat sich in Russland jedoch nicht breitgemacht, was sicherlich auch der immer noch flächendeckend funktionierenden ‹message control› durch den Kreml zuzurechnen ist», merkt Fischer an.
«Nato soll gezwungen werden, eigene Mittel zu brauchen»
Der Geopolitik-Experte glaubt: «Russland wird vermehrt versuchen, die Schwächen der Nato-Verteidigungsfähigkeiten öffentlichkeitswirksam aufzuzeigen. Damit soll die Nato gezwungen werden, die vorhandenen Mittel für die eigene Aufrüstung zu verwenden, anstatt sie der Ukraine zur Verfügung zu stellen.»
Und weiter: «Russland könnte damit der Nato und der Ukraine einen Verteilungskampf aufzwingen, der für die Ukraine sehr gefährlich wäre, wenn sie nur mehr diejenigen Gefechtsmittel bekommt, die die Nato nicht unmittelbar selbst für die eigene Aufrüstung benötigt.»
Krieg mit Russland? «Letztlich wird es an der Nato selbst liegen»
Die aktuellen Aufrüstungsvorhaben des Westens werden laut Fischer einen entscheidenden Faktor darstellen.
«Letztlich wird es an der Nato selbst liegen, ob diese Phase 0 von einer Zustandsbeschreibung in einer realen Kriegsvorbereitung mündet – also dann, wenn die Nato sich passiv verhält und das eigene Abwehr- und Abschreckungspotenzial nicht zeitnah ausreichend hochschraubt.»