Darum gehts
In zehn Jahren hat Europa eine komplette Kehrtwende vollzogen: Allein 2015 hat die EU über eine Million Flüchtlinge willkommen geheissen, 2025 wird der Grundstein dafür gelegt, dass viele wieder gehen. Zur verschärften Asylpolitik gehören auch die umstrittenen Ausschaffungen in Drittländer.
Ob es nach dem Entscheid von Vertretern der EU-Mitgliedsländer und des Europaparlaments zur grossen Abschiebungsoffensive kommt, ist allerdings fraglich. Denn beim neuen, diese Woche initiierten Modell stehen so viele Steine im Weg, dass am Schluss doch nur eine andere Lösung bleibt.
Die neue Asylpolitik zur Abschreckung und Ausschaffung von Migranten umfasst zwei Hauptpunkte.
Mehr sichere Länder: Die EU will Länder, die als EU-Kandidaten gelten, als sicher einstufen. Dazu gehören Albanien, Montenegro und die Türkei. Auf die Liste der sicheren Staaten kommen auch Marokko, Tunesien, Ägypten, der Kosovo, Kolumbien, Indien und Bangladesch. Wer aus diesen Ländern einen Asylantrag stellt, wird kaum mehr Chancen auf eine Aufnahme haben.
Abschiebung in Drittstaaten: Eines der grössten Probleme bei Rückschaffungen ist, dass Herkunftsländer ihre Leute gar nicht aufnehmen wollen oder die Herkunft wegen fehlender Papiere nicht geklärt werden kann. Aus diesem Grund will die EU die Grundlage dafür schaffen, dass Flüchtlinge auch in Drittstaaten abgeschoben werden können, in denen sie keine familiäre, kulturelle oder sonstige Bindung haben.
Drittstaaten kassieren Geld
Mit der Drittstaaten-Option öffnet die EU den Weg zum sogenannten Ruanda-Modell, das Israel während einiger Zeit umgesetzt hatte und das Grossbritannien zum Vorbild nahm. Im Vereinigten Königreich scheiterte die Durchführung allerdings an Gerichtsentscheiden. Das Modell sieht vor, Asylbewerber nach Ruanda zu bringen, wo sie bei Gewährung des Schutzstatus auch bleiben sollten.
Als Gegenleistung werden Drittstaaten für Dienstleistungen im Migrationsbereich fürstlich honoriert. Israel bezahlte an Ruanda pro abgeschobenen Flüchtling rund 4000 Franken. Grossbritannien hatte Ruandas Regierung laut der ehemaligen Innenministerin Yvette Cooper (56) umgerechnet sogar 310 Millionen Franken überwiesen, obwohl keine Ausschaffung vollzogen werden konnte.
Auch Länder, die Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa zurückhalten, bekommen grosse Summen. So kassierte Mauretanien für die Blockierung von Migranten im vergangenen Jahr rund 200 Millionen Euro. Oder die Türkei: In den vergangenen Jahren flossen aus Brüssel über 10 Milliarden Franken für die Unterstützung von Flüchtlingen nach Ankara.
Gescheiterte Modelle
Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück (D) ist skeptisch, dass das geplante EU-Modell funktionieren wird. «Bisher sind Versuche, Drittländer zu finden, die Nicht-Staatsbürgerinnen und -bürger aufnehmen, nicht sehr erfolgreich gewesen.» So seien das Modell Ruanda sowie das italienische Asylzentrum in Albanien gescheitert.
Auch ist eine Abschiebung in Drittstaaten oft weder menschenwürdig noch nachhaltig. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass Migranten in überfüllte Gefängnisse gesteckt oder an der Landesgrenze oder in Wüstenregionen ausgesetzt worden seien.
Zudem haben laut Oltmer Fälle gezeigt, dass viele Zurückgeführte das Land selber rasch verlassen hatten. Oltmer: «Im Fall des Abkommens Israels mit Ruanda gibt es Erkenntnisse, dass abgeschobene Menschen schliesslich in Europa landeten.»
Für den Experten gibt es nur eine Lösung
Die Asyl-Offensive muss noch vom EU-Parlament und den EU-Mitgliedstaaten abgesegnet werden. Doch das dürfte Formsache sein. Noch ist offen, ob sich die Schweiz dem Entscheid anschliessen wird. Es dürfte aber wahrscheinlich sein: Schon im Herbst hatte sich das Parlament auf EU-Kurs begeben und zugesagt, am EU-Migrationspakt teilzunehmen, Asylsuchende aufzunehmen und beim EU-Aussengrenzschutz mitzuwirken.
Trotz der Verschärfung der Asylpolitik der EU rechnet Oltmer nicht mit einer grossen Abschiebungswelle. Und das aus drei Gründen: Eine Drittstaatenlösung ist schwer umsetzbar, Herkunftsländer wollen ihre Bürger oft nicht zurücknehmen, und die Zahl der Menschen, die überhaupt rechtlich abgeschoben werden dürfen, bleibt weiterhin gering.
Für Oltmer gibt es nur eine Lösung für erfolgreiche Rückführungen: «Es braucht weitere Abkommen mit Herkunftsstaaten, die allerdings nur mit teuren und umfangreichen Gegenleistungen zu erreichen sind.»