Blutiger Machtkampf statt Frieden in Gaza
Hamas richtet öffentlich «Verräter» hin

Kaum sind die israelischen Bomben verstummt, fallen in Gaza wieder Schüsse – diesmal zwischen Palästinensern. Hamas kämpft um ihre Macht. Clans erheben sich, die Islamisten richten öffentlich «Verräter» hin. Der Krieg ist vorbei – und beginnt von vorn.
Publiziert: 00:51 Uhr
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Aktualisiert: vor 12 Minuten
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Hamas – lange waren die vermummten Kämpfer die unangefochtenen Herrscher im Gazastreifen.
Foto: IMAGO/NurPhoto

Darum gehts

  • Hamas kämpft um Macht in Gaza. Öffentliche Hinrichtungen und Schiessereien
  • Machtkampf zwischen Hamas und Clans eskaliert in instabilen Vierteln
  • Mehr als drei Dutzend Bewaffnete starben seit Ausrufung der Waffenruhe
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Daniel KestenholzRedaktor Nachtdienst

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg: In den zerstörten Strassen Gazas hallen nicht länger die Donner israelischer Angriffe. Nun sind es Schüsse zwischen Palästinensern selbst, die den Gazastreifen nicht zur Ruhe kommen lassen. Die Hamas ringt um ihre einst unbestrittene Macht in der Enklave – und im Gazastreifen fliesst weiterhin Blut.

Öffentliche Hinrichtungen

Nach dem Waffenstillstandsabkommen mit Israel versucht die Hamas, ihre Kontrolle über die Trümmer der Stadt wieder sichtbar zu machen. In mehreren Bezirken treten bewaffnete Kämpfer und «Polizisten» auf – eine Inszenierung der Macht, um zugleich Angst und Ordnung zu verbreiten.

Am Montag trommelte die Gruppe 7000 Terroristen zusammen, um den Gazastreifen zu «säubern». Hinter dem martialischen Auftritt verbergen sich eigene Angst und Nervosität: In Hamas-nahen Telegram-Kanälen ist von «Kollaborateuren und Verrätern» die Rede, die ins Visier genommen würden. Es gibt Gefechte und Exekutionen. Auch am Dienstag wollen die Islamisten erneut Verräter hinrichten. Öffentlich.

Makabres Schauspiel «im Zentrum des Gazastreifens»

«Hamas kündigt an, morgen (Dienstag) im Zentrum des Gazastreifens weitere mutmassliche ‹Agenten› zu erschiessen, die für Israel arbeiten», meldet das Newsportal Visegrád 24 auf X.

Auf sozialen Medien kursieren Videos von einer öffentlichen Hinrichtung mit Hunderten Zuschauern. Die Umstehenden halten ihre Handys hoch und filmen die Szenen. Mit auf dem Rücken gefesselten Händen knien sieben «Verurteilte» am Boden, Hamas-Kämpfer richten ihre Gewehre auf sie. «Allahu akbar»-Rufe hallen durch die Strassen – «Gott ist gross». Die Aufnahmen stammen vom Montag, berichtet die «Times of Israel».

Politische Ambitionen

Parallel ruft das selbst ernannte Innenministerium der Hamas zur Kapitulation auf und bietet Milizen sowie einflussreichen gegnerischen Clans Amnestie an. Gleichzeitig sucht Hamas eine politische Rolle und sei bereit, «ein neues Kapitel» in den Beziehungen zur Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) aufzuschlagen, meldet der arabischsprachige Fernsehsender Al Arabiya. Ein Hamas-Vertreter habe erklärt, man strebe keine Konflikte an. Auch die Frage einer möglichen Entwaffnung sei übertrieben. «Entwaffnung ist ein komplexes Thema. Aber wir werden eine Lösung finden. Wir besitzen nur einfache Waffen.»

Kampf um Kontrolle

Doch Hamas ist nicht mehr Hamas. In Gaza-Stadt eskaliert derzeit ein Machtkampf zwischen der Bewegung und der mächtigen Doghmush-Sippe. Bei heftigen Gefechten starben seit Ausrufung der Waffenruhe mehrere Dutzend Kämpfer beider Seiten. Hamas sprach von 32 getöteten Mitgliedern einer «Familiengang» und sechs eigenen gefallenen Kriegern.

Der Konflikt entlädt sich in ohnehin instabilen Vierteln, wo die Kontrolle der Hamas schon zuvor brüchig war. Die Doghmush-Gruppe spricht von einem Angriff auf ihre Autonomie. Hamas wiederum sieht darin eine Bedrohung ihrer einst unangefochtenen Autorität und geht hart gegen Gruppen vor, die ihren Einfluss gefährden.

Bei solchen Kämpfen wurde am Wochenende auch der bekannte Hamas-Influencer Saleh Aljafarawi (†28) getötet, im Netz unter dem Namen «Mr. Fafo» bekannt – «Fuck around and find out». Aljafarawis Leiche lag auf der Ladefläche eines Lastwagens. Er starb im Schusswechsel zwischen den verfeindeten Gruppen, meldete der TV-Sender Al Jazeera. Seine kugelsichere «Presse»-Weste konnte ihn nicht retten.

Der Tod des jungen Influencers wirkt wie eine Warnung: Zwar schweigen Israels Waffen, doch auch wer ins Kreuzfeuer innerpalästinensischer Konflikte gerät, riskiert sein Leben.

«Alle sind gegen die Hamas»

Kontrolle durch Gewalt statt Zustimmung – die Legitimität der Hamas im Konfliktgebiet des Machtvakuums schwindet. Clan-Banden, lokale Milizen und bewaffnete Gruppen fordern das einstige Macht- und Gewaltmonopol der Islamisten heraus.

Truppenaufmärsche vermummter Hamas-Kämpfer und öffentliche Exekutionen lassen die Bewegung zunehmend verwundbar, gespalten und isoliert erscheinen.

«Glauben Sie mir, jeder auf der Strasse ist jetzt gegen die Hamas», sagte Marwan Tarazi, Geschäftsmann und Vorsitzender des Gaza College, der «Times of Israel». Das Gaza College ist die älteste, 1942 gegründete Schule der Enklave. «Wenn Sie irgendjemanden in Gaza fragen, werden Sie feststellen, dass alle gegen die Hamas sind», so Tarazi. «Es entspricht nicht unserer Tradition, das zu tun, was am 7. Oktober passierte. Wir müssen in Frieden mit Israel und den Juden leben.»

Macron besorgt

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (47) hat nach der vereinbarten Waffenruhe in Gaza vor einer anhaltenden Bedrohung durch die Hamas gewarnt.

In den kommenden Wochen und Monaten drohten Anschläge und Destabilisierungen, sagte Macron in Scharm el-Scheich. «Eine Terrorgruppe mit Tausenden Kämpfern, Tunneln und solcher Bewaffnung zerschlägt man nicht über Nacht.» Die Islamisten gehörten international äusserst streng überwacht.

Deutliche Worte auch vom deutschen Aussenminister Johann Wadephul (62). Die Hamas bedeute «Terror pur». Es werde «die Aufgabe der Palästinenser sein, dass sie sich lossagen von dieser Organisation».

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