«Viele in Israel haben Angst, dass es wieder beginnt»
2:23
Danielle traut Frieden nicht:«Viele in Israel haben Angst, dass es wieder beginnt»

Blick bei Gaza-Grenzanwohner – sie misstrauen dem Frieden
«Ich habe eine Waffe und lasse mir nichts gefallen!»

Die Waffen schweigen am Gazastreifen, doch die Fronten bleiben verhärtet. Während Tel Aviv feiert, glauben die Bewohner der angrenzenden Kibbuze noch nicht an den Frieden.
Publiziert: 14.10.2025 um 21:05 Uhr
|
Aktualisiert: 14.10.2025 um 22:36 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/8
Der Grenzübergang Kerem Schalom im Süden Israels ist geschlossen.
Foto: Helena Graf

Darum gehts

  • Waffenruhe am Gazastreifen, aber Misstrauen und Spannungen bleiben hoch
  • Israelische Anwohner fühlen sich in einem Schwebezustand
  • 72-jährige Danielle kehrte als eine der ersten in ihr Kibbuz zurück
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
RMS_Portrait_AUTOR_235.JPG
Helena GrafReporterin

Am israelischen Grenzposten Kerem Schalom herrscht Totenstille. Zu hören ist nur das Surren der Fliegenschwärme, die sich über zwei zurückgelassene Kartonkisten mit Sandwiches hermachen. Ein zugemüllter Vorplatz und ein Unterstand aus Wellblech, mit Gittern zugesperrt. 100 Meter weiter hinten: der Gazastreifen.

Die Ruhe ist hier neu. Seit Ende letzter Woche zieht sich die israelische Armee zurück. Es fallen keine Bomben mehr, die Panzer haben aufgehört zu schiessen. «Lasst euch nicht täuschen», mahnt Danielle (72) gegenüber Blick. «Es ist noch längst nicht vorbei!» 

Dienstagmittag: Ein schwacher Wind bläst durch die wüstenähnliche Landschaft am Gazastreifen. Danielle sitzt auf einem Sessel im Wohnzimmer ihres kleinen Hauses in Gevim – einem Kibbuz, wenige Kilometer östlich von Gaza-Stadt. «Die Geiseln sind zwar zurück», sagt sie. «Aber ich traue unseren arabischen Nachbarn nicht.»

Müde Soldaten

Die Gefahr, findet Danielle, sei längst nicht gebannt. Sie schlummere weiter hinter dem Grenzzaun. Die Hamas patrouilliert wieder im Gazastreifen, kämpft gegen andere lokale Gangs. Videos zeigen Exekutionen und Feuergefechte. Wie genau der 20-Punkte-Plan von Donald Trump (79) umgesetzt werden soll, ist aktuell völlig offen.

Vor der Militärbasis Nahal Oz direkt an der Grenze sitzen zwei Soldaten auf Plastikstühlen. «Unsere Einheit wurde aus dem Gazastreifen zurückbeordert», sagt einer von ihnen zu Blick. «Nun sitzen wir hier und warten.»

Worauf – das wüssten sie nicht. Der zweite Soldat zündet eine Zigarette an. Er sei seit sieben Monaten im Dienst und habe auch zuvor gekämpft, sagt er. «Ich bin nur noch müde.»

«Die Fenster zitterten»

Während Tel Aviv die Geiselfreilassungen feiert, fühlen sich viele Israelis am Gazastreifen wie in einem Schwebezustand. Danielle kehrte nach dem 7. Oktober als eine der Ersten wieder in ihren Kibbuz zurück. Zwischenzeitlich hielt sie sich in Jerusalem auf. Sie erinnert sich an die Raketeneinschläge in Gaza: «Die Fenster und Türen zitterten.»

Tag und Nacht habe es geknallt. «Ich bin fast durchgedreht», sagt die 72-Jährige. Dennoch habe sie bleiben wollen. «Wir sind eine so enge Gemeinschaft hier», erklärt sie. «Jeder andere Ort fühlt sich fremd an.»

Hier zu leben, während Gaza bombardiert wurde, habe sie vor ein Dilemma gestellt. «Ich fühlte mich schlecht, weil Zivilisten ums Leben kamen. Gleichzeitig spürte ich meine eigene Angst und meinen eigenen Schmerz», sagt Danielle.

Kibbuz blieb verschont

Ihr Kibbuz war eines der wenigen am Gazastreifen, in das die Terrormiliz Hamas vor zwei Jahren nicht eindringen konnte. Das Tor war geschlossen. Versuche, es einzutreten, scheiterten. Dennoch hat Danielle viele Freunde verloren. Menschen, die sie ihr Leben lang kannte.

An diesem Feiertag haben sich viele Bewohner der Kibbuze in ihre Häuser zurückgezogen. Es sind oft einfache Bauten, mit kleinen Gärten. Kindervelos lehnen an einem Zaun mit Stacheldraht. Die Betonbunker sind farbig bemalt.

Ein Foodtruck verkauft Salate und Sandwiches. An einem der Tische davor sitzen Yael (58) und Doron (69). Sie kommen aus dem benachbarten Karmia. Yael arbeitete jahrelang als Polizistin in der Gegend. Für die Menschen im Gazastreifen empfindet sie keine Empathie: «Die einen wollen den Krieg, die anderen laufen wie dumme Schafe mit», sagt sie.

«Sie fielen uns in den Rücken»

Ihr Mann Doron, ehemaliger Soldat, pflichtet ihr bei. «Wir haben immer versucht, den Menschen im Gazastreifen zu helfen. Und sie fielen uns in den Rücken.»

Ein friedliches Zusammenleben steht für die beiden ausser Frage. «Sobald wir uns umdrehen, werden sie uns von hinten angreifen», sagt Doron. Und Yael: «Ich habe eine Waffe und lasse mir nichts gefallen!»

Die Sonne senkt sich über dem Gazastreifen. In der Luft summen Kampfdrohnen. Die Soldaten warten, die Zivilisten misstrauen – und jenseits des Zauns formieren sich die Feinde neu. Die Waffen schweigen. Doch der Frieden scheint hier noch nicht angekommen zu sein.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen
      Meistgelesen