Analyse – Warum Deutschland seine Badis zu Festungen ausbaut und neidisch auf die Schweiz blickt
Mit Stacheldraht, Security und Waffenkontrollen

Das Verbot für ausländische Tagesgäste in Pruntrut JU hat in Deutschland ein Beben ausgelöst. Tausende machen ihrer aufgestauten Wut in den sozialen Medien Luft. Eine Analyse zu einer Debatte, die auch auf politischer Ebene für einen heissen Sommer sorgen wird.
Publiziert: 10.07.2025 um 16:09 Uhr
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Aktualisiert: 10.07.2025 um 16:51 Uhr
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Zugang zu einem Gefängnis? Nein: Sicherheitsangestellte des Columbiabads in Neukölln durchsuchen an der Sicherheitstür Besucher nach Drogen und Waffen.
Foto: picture alliance/dpa

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Guido FelderAusland-Redaktor

«Vorbild Schweiz», «Die Schweiz ist Lichtjahre voraus», «Bravo Schweiz», «Die Schweiz steht zu ihrer Bevölkerung», «Ich komme sofort zu euch»: Allein der Facebook-Post der «Bild» zu den Massnahmen in der Badi von Pruntrut JU hat rund 230’000 Likes und 30’000 Kommentare mit Schweizer Fähnchen und Herzchen generiert. Kein anderer aktueller Artikel hat in der deutschen Boulevardzeitung so enorme Reaktionen ausgelöst.

Und die Stossrichtung könnte kaum deutlicher sein: 99 Prozent der Kommentatoren finden das Schweizer «Becken-Beben», wie die Zeitung titelt, einfach toll. Nur wenige geben zu bedenken, dass Sippenhaft gesetzeswidrig sei. Das Vorgehen der jurassischen Kleinstadt zeigt: Das Thema trifft die Deutschen an einem wunden Punkt.

Denn die deutschen Bäder haben mit massiven Problemen zu kämpfen. Im vergangenen Jahr registrierte das Bundeskriminalamt in Schwimmbädern 423 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Da viele Übergriffe gar nicht gemeldet werden, dürfte die Dunkelziffer viel höher liegen. Laut Statistik handelt es sich bei den Straftätern oft um Männer mit Migrationshintergrund.

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Das Sommerbad Wilmersdorf in Berlin wurde mit Nato-Stacheldraht gesichert.
Foto: BILD Fotoservice

Deutsche Bäder rüsten auf

Zwar haben auch die Deutschen Massnahmen ergriffen. Security-Patrouillen, Videoüberwachung, Durchsuchung auf Waffen, Stacheldraht gegen Eindringlinge, personalisierte Tickets und Polizeipräsenz sollen für mehr Sicherheit sorgen. Allein in Berlin wurden in den vergangenen beiden Saisons je rund 2,5 Millionen Euro dafür aufgewendet. Mit anderen Worten: Die Deutschen bauen ihre Freizeitanlagen mit Millionen zu bewachten Festungen aus.

Doch den Deutschen imponiert, dass die Jurassier das Problem mit den fehlbaren Ausländern beim Namen nennen und sich von Kritik nicht beirren lassen. Anders als in der Schweiz, wo man vor allem dank der direkten Demokratie über alles diskutieren kann und muss, herrscht in Deutschland wegen der geschichtlichen Vergangenheit Angst davor, bei Kritik an Ausländern schnell in Rassismus und Diskriminierung abzurutschen.

Zurzeit findet in Deutschland allerdings ein Umbruch statt. Druck zu einer restriktiveren Migrationspolitik kommt von der rechten AfD, für die die Schweiz in vielen Bereichen wie etwa der direkten Mitsprache als Vorbild dient.

Auch dem Thema Badi hat sich die Rechtspartei angenommen. So bezeichnet die bayerische Bundestagsabgeordnete Carina Schiessl (35) das Vorgehen der Jurassier als «Inspiration» und fordert «ein Verbot ausländischer Männer in deutschen Freibädern, wie es die Schweiz umsetzt». Gegenüber Blick sagt sie: «Die Realitätsverleugnung hat in der Bundesrepublik pathologische Züge angenommen. Wer ausspricht, was ist, wird kriminalisiert.»

Ihr gehe es darum, eine Debatte ins Laufen zu bringen. Schiessl: «Wir werden über dieses Thema aufklären und damit die Entscheidungsträger unter Zugzwang setzen.» Sobald ihre Partei in den Bundesländern und auf Bundesebene die notwendige Stärke erreicht habe, dürfe man mit «schnellen und spürbaren Veränderungen» rechnen.

Auch die Polizei fordert Konsequenzen

Mit dieser Meinung steht die AfD nicht alleine da. Auch Manuel Ostermann, stellvertretender Vorsitzender der deutschen Bundespolizeigewerkschaft, ist genervt. Gegenüber der «Schwäbischen Zeitung» sagt er: «Die Politik hat Angst, die Realität zu benennen. Politiker fürchten ansonsten, rechts verortet zu werden.»

Mit ihrem Vorgehen haben die jurassischen Lokalbehörden in Deutschland ungewollt den Deckel eines brodelnden Kessels angehoben. Wie sehr das Thema die Deutschen beschäftigt, zeigt allein die Rekordzahl an Kommentaren und deren Tonalität. Die Deutschen bedanken sich: Die Jurassier ermöglichen es ihnen, ihre aufgestaute Wut über die Missstände im eigenen Land sozusagen auf neutralem Boden rauszulassen.

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