Darum gehts
Es ist so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Die Uhrmacherin beugt sich über das feine Uhrwerk. Durch die Lupe an ihrer Brille sieht sie jede Schraube, jedes Zahnrädchen. Mit der Spitze einer Zange setzt sie den winzigen Zeiger ein – ruhig, präzise, sicher.
An den Werkbänken sitzen fast ausschliesslich Frauen. «Uhrmacherei braucht Feingefühl. Das haben Frauen oft mehr», sagt Christopher Bitterli (67) zu Blick. Er ist Chef der Uhrenmarke Grovana, eine der letzten unabhängigen Schweizer Uhrenfirmen. Er steht in seiner Fabrik in Tenniken BL, zwischen Werkbänken, Lupen und winzigen Schrauben. Doch in diesen Tagen kreisen seine Gedanken weniger um Zeiger und Federn, sondern um Zölle.
«Die Zölle waren ein Schock für uns. Wir hätten nie damit gerechnet», erzählt Bitterli. Vor dem Zollhammer im August machte Grovana einen Fünftel ihres Umsatzes in den USA. Nun liegen die Geschäfte auf Eis. «Am Ende geht es nicht nur um 40 Prozent Zoll – da reden wir eher von 50 oder sogar 60 Prozent, um welche die Produkte in den USA teurer werden», stellt Bitterli fest. Neben den Zöllen kommt noch die massive Abwertung des Dollars dazu. Unter diesen Umständen sei der Handel in den USA unmöglich.
Im Büro neben der Werkhalle stapeln sich Aktenordner. Der Importeur in den USA drängt auf Nachschub, die Lager dort sind fast leer. Bitterli schüttelt den Kopf. «Ich zahle das nicht allein. Ich will, dass wir die Kosten aufteilen. Auf Grovana, den Importeur und die US-Kunden. Schliesslich habe ich diesen Präsidenten nicht gewählt!» So will er den US-Markt vorerst offenhalten.
Dennoch sei es «schwierig geworden, überhaupt noch zu planen». Bitterli findet: «Die USA sind kein verlässlicher Partner mehr.» Kurzarbeit ist für Grovana, anders als für viele Schweizer Uhrenfirmen, kein Thema. «Die Mitarbeiter sind unser wertvollstes Kapital. Ohne sie läuft keine Uhr.» Die gegenseitige Wertschätzung ist greifbar: Die meisten Mitarbeiter sind seit über zwanzig Jahren bei Grovana.
100 Jahre Handwerk
«Krisen kommen immer wieder. Man muss einfach einen schlauen Plan haben, um die Zeit durchzustehen», sagt Bitterli. Diese Devise hat Grovana bereits durch die Quarz-, die Finanz- und die Corona-Krise gebracht und ist in der über 100-jährigen Geschichte des Unternehmens verwurzelt.
1924 wurde die Uhrenfirma von den Gebrüdern Gröflin gegründet. Da sie keine direkten Nachkommen hatten, verkauften sie die Firma 1970 an Werner Bitterli, den Vater von Christopher Bitterli. Er selbst stieg 1984 ins Geschäft ein – und übernahm vor 17 Jahren die Geschäftsleitung.
2001 kaufte er aus der Konkursmasse von Revue Thommen Tausende Werk- und Kleinteile. In der Werkstatt zeigt er eine Plastikkiste voller kleiner Schachteln mit winzigen Zahnrädern. Auf einer steht in verblasster Handschrift: «34'011 Stücke».
«Erst wollte ich das gar nicht kaufen», sagt Bitterli. «Aber die Leute von Revue Thommen meinten: Das brauchst du unbedingt.» Also griff er zu. Mit den alten Werkteilen kann Grovana eigene automatische Uhrwerke bauen – so wie andere hochwertige Manufakturmarken wie Rolex und Jaeger Le Coultre.
Flexibilität in unsicheren Zeiten
Während der Corona-Pandemie baute Bitterlis Sohn den Online-Shop auf. Die Nachfrage war plötzlich da. Für den Vater war das Neuland. «Mein erstes Meeting mit einer E-Commerce-Agentur war wie ein Buch mit sieben Siegeln», sagt er und lacht. «Ich verstand kein Wort, bis ich mich eingearbeitet hatte.»
Heute läuft der E-Shop glänzend. «Ich dachte, wir verkaufen an Leute über 40. Denkste! Die Hälfte ist jünger», erzählt er. Die Konkurrenz durch Smartwatches sieht er gelassen. «Das eine schliesst das andere nicht aus – Smartwatch fürs Training, Grovana-Uhr für den Alltag.»
Für Bitterli ist Langlebigkeit eine Frage des Handwerks, nicht des Marketings. Eine Uhr von Grovana soll lange leben, darum garantiert die Firma Ersatzteile für mindestens 20 Jahre. Neulich brachte ein Kunde eine 40 Jahre alte Grovana-Uhr zur Reparatur. «Wir haben in unserem Lager tatsächlich noch das Gehäuse, das Glas und das Werk für dieses alte Modell gefunden», erzählt Bitterli und lächelt stolz. Viele dieser alten Modelle, einst für rund 200 Franken verkauft, werden vererbt. Heute kosten Grovana-Uhren zwischen 190 und 1500 Franken.
Jetzt richtet Bitterli den Blick nach Süden: Lateinamerika soll den US-Markt zumindest teilweise ersetzen. Ausserdem sitzen seine beiden Söhne schon im Verwaltungsrat. Die dritte Generation steht also bereit. Doch der Chef denkt noch nicht ans Aufhören. «Wer rastet, der rostet», schmunzelt er. Und irgendwo in der Werkhalle klickt es wieder. Ganz leise – wie der Pulsschlag der Zeit.