Darum gehts
- 82-jährige Mieterin muss aus ihrer Mietwohnung in Zürich-Schwamendingen raus
- Hesta Immobilien kündigt 15 Mietparteien und baut dafür 28 neue Wohnungen
- Für Seniorinnen und Senioren haben Leerkündigungen besonders dramatische Folgen
Brigitte Hasler (82) empfängt Blick im Wohnzimmer ihrer kleinen 2,5-Zimmer-Wohnung. Die Überbauung in Zürich-Schwamendingen ist 70 Jahre alt. Die Wohnung ist klein und in die Jahre gekommen. Dafür ist die Miete tief – darauf ist die Seniorin angewiesen, deswegen ist sie vor eineinhalb Jahren in diese Wohnung gezogen. Hasler bezahlt lediglich 1300 Franken pro Monat. Mehr kann sie sich nicht leisten. Denn Geld ist knapp. Ihre Rente reicht nicht, um über die Runden zu kommen. Sie benötigt Ergänzungsleistungen.
«Ich habe hier alles, was ich brauche», sagt Hasler. Die Seniorin sprüht vor Energie und erzählt stolz von ihrem bewegten Leben. Bis zur Pension arbeitete sie als Operationsschwester – mehrere Jahre sogar in Afrika. Ihre Einrichtung ist ein Spiegel davon. Die Wände sind vollgehängt mit bunter Kunst aus aller Welt. Überall stehen Erinnerungsstücke und Fotos von ihren Reisen.
Kündigung kam im Februar
Einrichtungsstücke, die bald aus der Wohnung geräumt werden müssen. Denn im Februar erhielt Hasler die Kündigung. Es handelt sich um eine Leerkündigung der ganzen Liegenschaft – 15 Mietparteien müssen raus. «Es war ein Schock», sagt sie zu Blick. Die Kündigung kam für sie unerwartet. «Beim Einzug wurde mir noch versichert, dass nichts dergleichen geplant sei.»
Hasler ist verzweifelt auf der Suche nach einer neuen Bleibe. «Ich habe grosse Angst, nichts Bezahlbares zu finden», sagt sie. Die 82-Jährige lässt nichts unversucht. Sie durchforstet seit neun Monaten die Wohnungsinserate und ist bei Stiftungen und der Stadt Zürich für Alterswohnungen auf den Wartelisten. Bisher ohne Erfolg.
Die Seniorin möchte gern in der Umgebung bleiben – oder zumindest in Zürich. Denn hier hat sie ihr soziales Umfeld. Auch ihr Ex-Mann wohnt in Schwamendingen. «Wir teilen uns den Hund», sagt Hasler.
Wohnungsnot trifft Senioren
Seit über zwölf Jahren ist Hasler auf der Warteliste für Alterswohnungen der Stadt Zürich. In dieser Zeit konnte sie nur zweimal eine Wohnung besichtigen. Geworden ist daraus nichts. «Ich weiss nicht, was ich noch machen kann», sagt die Seniorin. «Die Situation ist für mich sehr belastend.»
Wie prekär die Lage für Seniorinnen und Senioren in der Schweiz ist, zeigen auch Zahlen des Immobilienberaters Wüest Partner. Müssen alleinstehende Rentner heute umziehen, finden sie in kaum einer Region der Schweiz etwas Bezahlbares – also eine Wohnung, deren Mietzins nicht mehr als ein Drittel ihres Einkommens auffrisst. Senioren, die aufgrund einer Kündigung umziehen müssen, kommen deshalb oft in eine Notlage.
Noch nicht bereit fürs Altersheim
So auch Hasler. Sie hat Existenzängste. «Wo soll ich wohnen, wenn ich in Zürich nichts Bezahlbares finde?», fragt sie sich. Sie hat Angst vor der Einsamkeit, wenn sie aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen wird.
Die Rentnerin ist bei bester Gesundheit. Ins Altersheim will sie noch lange nicht. «Auch wenn mir das schon vorgeschlagen wurde», so Hasler. Eine Alterswohnung wäre schön – müsse aber nicht unbedingt sein. Die Seniorin ist auch nach wie vor mobil. Mit ihrer Vespa kommt sie in der Stadt überallhin. Ihr Hund darf im Korb mitfahren.
Schattenseiten der Verdichtung
Die Liegenschaft in Schwamendingen gehört einer Zürcher Pensionskasse. Sie will die alte Überbauung abreissen und mit einem Neubau zur Verdichtung der Stadt beitragen. «Wir schaffen zusätzlichen Wohnraum, was die Stadt dringend braucht», sagt die Verwaltung Hesta Immobilien auf Anfrage von Blick. Der neue, hybride Holzbau soll höher und breiter werden. Künftig werden 28 statt nur 15 Mietparteien dort wohnen können.
Dass neuer Wohnraum geschaffen wird, ist erfreulich. Die Kehrseite der Medaille: Die neuen Wohnungen werden weniger erschwinglich sein als die alten. Wie hoch der Mietzins genau sein wird, weiss die Immobilienfirma noch nicht. Die Preise werden aber den Marktmieten angepasst. «Sie werden teurer sein als die jetzigen. Aber es sollen keine Luxuswohnungen entstehen», heisst es.
Hesta hat die Mieterinnen und Mieter frühzeitig über den Abriss informiert. Die Betroffenen haben 18 Monate Zeit, um etwas Neues zu finden. «Wir bieten auch Hilfe an bei der Wohnungssuche», sagt ein Sprecher des Unternehmens. Für Hasler ein schwacher Trost. «Mir konnten sie bisher nicht helfen», sagt sie und zuckt traurig mit den Schultern.