«Viele sagten einfach, ich sei zu alt»
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Christina Petermann (82):«Viele sagten einfach, ich sei zu alt»

Wohnungsnot im Alter – hart vor allem für Seniorinnen
«Nicht alle haben so viel Glück wie ich»

Alleinstehende Seniorinnen können sich Schweizer Marktmieten kaum mehr leisten. Christina Petermann hat die Wohnungsnot am eigenen Leib erlebt. Sie musste ihre Wohnung in Zürich räumen. Nur dank einer Stiftung fand sie wieder eine bezahlbare Wohnung.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Aktualisiert: vor 4 Minuten
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Christina Petermann vor ihrer alten Wohnung in Zürich-Witikon.
Foto: Sammuel Walder

Darum gehts

  • Alleinstehende Seniorinnen besonders stark von Wohnungsnot betroffen
  • Bezahlbare Wohnungen für Rentner in vielen Regionen kaum verfügbar
  • Bis 2040 werden 393'000 zusätzliche altersgerechte Wohnungen benötigt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Dorothea VollenweiderRedaktorin Wirtschaft

Christina Petermann (82) hat, wofür viele Seniorinnen und Senioren wohl ihr letztes Hemd geben würden: eine bezahlbare Alterswohnung in der Stadt Zürich. Sie wohnt seit drei Jahren in einer 2,5-Zimmer-Wohnung der Rohn-Salvisberg-Stiftung – die Miete wird ihrem Einkommen angepasst. Weil die Rente von Petermann nicht hoch ist, ist ihr Mietzins deutlich tiefer als ortsüblich.

«Ich hatte grosses Glück», sagt Petermann. Der Seniorin ist bewusst, wie schwer es für viele Menschen ihrer Generation ist, etwas Bezahlbares zum Leben zu finden. Sie weiss: «Nicht alle haben so viel Glück wie ich.»

Sie suchte 1,5 Jahre – erfolglos

Doch auch für Petermann war der Weg dahin steinig. Vor drei Jahren musste sie aus ihrer Mietwohnung in Zürich-Witikon ausziehen. Die Überbauung wurde saniert – alle Anwohner mussten raus. Für die heute so fröhliche Seniorin hatte das dramatische Folgen. Über 1,5 Jahre suchte sie eine neue Bleibe im Quartier. Ohne Erfolg. Ihre Umgebung und ihr soziales Umfeld verlassen zu müssen, wäre für sie undenkbar gewesen. «Ich wäre vereinsamt», sagt sie. Doch in Zürich-Witikon gab es keine Mietwohnung, die sich Petermann leisten konnte. 

Wie prekär die Lage für Seniorinnen und Senioren in der Schweiz ist, zeigt eine neue Studie von Wüest Partner. Müssen alleinstehende Rentner heute umziehen, finden sie in kaum einer Region der Schweiz etwas Bezahlbares – also eine Wohnung, deren Mietzins nicht mehr als ein Drittel ihres Einkommens auffrisst. 

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In den Kantonen Zürich und Zug sowie am Genferseebogen ist die Lage besonders ernst. Genauso wie in den touristischen Regionen Graubündens. 

Altersgerechte Wohnungen fehlen

Erschwerend kommt hinzu, dass die Zahlen der Studie das allgemeine Wohnungsangebot abbilden. Senioren sind jedoch auf barrierefreie Objekte angewiesen – also ohne Stufen, mit Lift und funktionalen Badezimmern. «Ab 75 Jahren suchen Menschen altersgerechte Mietwohnungen in gut angebundenen Lagen», sagt Robert Weinert (45), Leiter Research von Wüest Partner. 

Genau für diese Personen sei das Angebot aber besonders knapp. Senioren, die aufgrund einer Kündigung oder ihres Gesundheitszustands umziehen müssen, kommen deshalb oft in eine Notlage. «In einer solchen Situation hat man Existenzängste. Es ist schlimm», sagt Petermann.

Als sie auf Wohnungssuche war, liess sie nichts unversucht. Die Stadt führt eine Warteliste für subventionierte Alterswohnungen. Petermann war rund fünf Jahre auf der Liste. «Aber in dieser Zeit konnte ich nie etwas besichtigen.» 

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«Es kommt vor, dass die Leute mit Tränen in den Augen bei mir im Büro stehen»
Sylvia Keller (58), Geschäftsleiterin Rohn-Salvisberg-Stiftung
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Stiftung wird überrannt

Die Warteliste der Rohn-Salvisberg-Stiftung, wo Petermann heute wohnt, ist ebenfalls lang. «Allein in Witikon sind es aktuell sicher 160 Personen», sagt Sylvia Keller (58), Geschäftsleiterin der Stiftung. Sie vermietet rund 140 gemeinnützige Alterswohnungen verschiedener Grösse in Bülach ZH, Küsnacht ZH und Zürich-Witikon. «In Witikon haben wir pro Jahr im Schnitt zwei bis vier Wechsel», sagt Keller. So gesehen ist ein Platz auf der Warteliste nur ein kleiner Hoffnungsschimmer in einer sonst ausweglosen Lage.

Was diese Wohnungsnot mit den Menschen im Alter macht, sieht Keller in ihrem Job täglich. «Es kommt vor, dass die Leute mit Tränen in den Augen bei mir im Büro stehen», sagt sie. Das sei besonders schwer, weil sie Senioren in ihrer Notlage keine unmittelbare Anschlusslösung aufzeigen könne. «Alles, was ich machen kann, ist zuhören.»

Die Lage spitzt sich zu

Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Denn der Bedarf an altersgerechten Wohnungen wird in den nächsten Jahren rasant wachsen. Laut Wüest Partner werden 393'000 weitere altersgerechte Wohnungen bis zum Jahr 2040 benötigt. 

Die Zahl variiert von Region zu Region stark. Im Kanton Genf werden mit über 20'000 Wohnungen am meisten benötigt, gefolgt von der Region Aarau mit rund 16'000 Wohnungen und der Stadt Zürich mit etwa 11'000. 

Weinert betont jedoch: «Das müssen nicht alles Neubauten sein.» Ein grosser Teil könne durch Standardwohnungen abgedeckt werden, die sanft saniert werden, um sie barrierefrei zu machen.

Altersheime platzen aus allen Nähten

Alters- und Pflegeheimen müssen ebenfalls dringend ausgebaut werden. Bis 2040 sind landesweit über 25'000 zusätzliche Plätze nötig. Auch hier ist der Bedarf in Genf am grössten. In der Region Aarau und im Zürcher Oberland braucht es ebenfalls mehr. Umgekehrt reicht das Angebot in der Stadt Zürich und im Kanton Basel-Stadt bereits heute aus.

Für Petermann war die Wohnung der Stiftung wie Geburtstag und Weihnachten auf einmal. «Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen», sagt sie. Weil sie wisse, wie schwer es ist, wenn man im Alter um einen Platz zum Leben bangen muss.

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