Raus aus diesem Hochhaus – 144 Mietparteien in Bern-Bümpliz unter Schock
«Wir bekommen die Wohnungsnot am eigenen Leib zu spüren»

Ein 20-stöckiges Hochhaus in Bern-Bümpliz muss saniert werden. Die 144 Mietparteien haben letzten Monat die Kündigung erhalten. Nächsten Sommer müssen sie raus. Betroffene Familien und Senioren sind verzweifelt und wissen nicht, wohin.
Publiziert: 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 10:21 Uhr
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Familie Fässler: Mutter Jasmin (38) und Vater Sulaiman (40) mit den Söhnen in ihrer 4-Zimmer-Wohnung. Sie suchen dringend etwas Neues.
Foto: Nathalie Benn

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Der Himmel in Bümpliz erscheint an diesem Montagmorgen so grau wie der grosse Betonblock an der Abendstrasse 30 im Westen von Bern. Einzig die vielen orangen Sonnenstoren, von denen abgerissene Fetzen im Wind wehen, verleihen der grauen Landschaft etwas Farbe.

Das triste Bild spiegelt den Gemütszustand der Anwohner im 20-stöckigen Hochhaus im Berner Arbeiterquartier wider. Ihnen ist das Lachen unlängst vergangen: Vor ein paar Wochen erhielten die insgesamt 144 Wohnparteien die Leerkündigung von der Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz, der die Liegenschaft gehört. Bis zum 30. Juni 2026 müssen alle Mieter eine neue Bleibe finden. «Nach 52 Jahren Betrieb haben das Hochhaus und dessen Einrichtungen das Ende ihrer Lebensdauer erreicht», heisst es im Leerkündigungsschreiben, das Blick vorliegt. Der Bau wird ab Juli 2026 totalsaniert.

Kündigung war für viele ein Schock

Ein Augenschein vor Ort zeigt: Der Block ist in die Jahre gekommen. Trotzdem ist die Leerkündigung für viele Bewohner ein Schock. Besonders für jene, die das Hochhaus schon über ein halbes Jahrhundert ihr Zuhause nennen und jetzt umziehen müssen.

Viele Mieterinnen und Mieter, mit denen Blick spricht, sind schon über 80 Jahre alt. Für sie bedeutet ein Wegzug aus der gewohnten Umgebung enormen Stress. «Wir hoffen sehr, dass wir etwas hier im Quartier finden, weil wir hier Wurzeln geschlagen haben», sagt ein Rentnerehepaar, das anonym bleiben möchte. «Unsere Kinder sind hier geboren und aufgewachsen, unsere langjährigen Freunde leben alle hier. Aber es ist im Moment einfach enorm schwierig, etwas zu finden», fügen sie traurig hinzu.

Der Innenausbau der in den 1970er-Jahren errichteten Wohnungen ist nicht mehr zeitgemäss. Die Wohnungen sind schlecht isoliert, die Wände dünn. In den Gängen hört man den Wind heulen. Nur acht der insgesamt zwanzig Stockwerke sind mit einem der drei Lifte zu erreichen. Wer nicht auf einem dieser Stockwerke wohnt, erreicht die Wohnung nur über die Treppe – Barrierefreiheit sieht anders aus.

«Wir wohnen gerne hier»

Im Hochhaus leben neben zahlreichen Senioren und Seniorinnen auch viele Familien. Eine davon ist Familie Fässler*, die Blick kurz vor Aufbruch in die Sommerferien in ihrer 4-Zimmer-Wohnung trifft. Das Ehepaar Sulaiman (40) und Jasmin Fässler (38) hat drei Söhne und lebt seit 11 Jahren im Hochhaus. «Wir wohnen gerne hier. Unsere Kinder verstehen sich gut mit den anderen Kindern und die Anwohner lassen einen in Ruhe», sagt Jasmin. «Man hat auch Verständnis, wenn es mit unseren drei Buben mal etwas lauter wird.»

Für ihre Wohnung zahlt die fünfköpfige Familie netto 1500 Franken. «So günstig finden wir nichts mehr», befürchtet der Vater. «Wir bekommen die Wohnungsnot in der Schweiz jetzt am eigenen Leib zu spüren», fügt er an. Es sei schon krass, wie wenig freie Wohnungen ausgeschrieben seien. Die Stimmung unter den Bewohnern sei bedrückt.

«Der Schock bei den Betroffenen ist gross»
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Blick-Reporterin in Bümpliz:«Der Schock bei den Betroffenen ist gross»

Günstiger Wohnraum geht verloren

Wer hier wohnt, ist auf günstigen Wohnraum angewiesen. Das Hochhaus wurde vom Berner Architektenehepaar Hans (†88) und Gret Reinhard (†85) realisiert, das den Siedlungs- und genossenschaftlichen Wohnungsbau im damaligen Bern prägte. Einst für den Mittelstand gedacht, wird der Wohnblock heute von Menschen mit kleinem Budget bewohnt.

Die Wohnungsmiete liegen aktuell zwischen netto 410 Franken für ein Studio bis 1600 Franken für eine 5,5-Zimmer Wohnung. Die neuen Mietpreise verteuern sich um mindestens 300 Franken. Statt bisher 144 Wohnungen entstehen mit dem Umbau 150 Wohnungen.

Blick trifft auch Studierende, die erst im Februar 2025 eingezogen sind. Zum Zeitpunkt des Einzugs habe keiner von ihnen von der geplanten Sanierung Kenntnis gehabt, erzählen sie.

Umbau in bewohntem Zustand nicht möglich

Verantwortlich für die Totalsanierung ist das Unternehmen Dr. Meyer Immobilien. «Bei einer Sanierung in diesem Umfang müssen die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsstandards bei Hochhäusern in Bezug auf Brandschutz und Erdbebensicherheit erfüllt werden, was erhebliche Eingriffe in die Bausubstanz erfordert», sagt Geschäftsführer Marc Balsiger (45). «Aufgrund der Eingriffstiefe und der Gebäudestruktur können die Arbeiten leider nicht im bewohnten Zustand ausgeführt werden.»

Neben einer verlängerten Kündigungsfrist erhalten die Betroffenen Hilfe bei der Wohnungssuche. Eine Übergangslösung gibt es laut den Verantwortlichen nicht. Doch wer zurückkommen wolle, erhalte ein Vorrecht. «Ein möglicher Rückzug in die Liegenschaft wird ausdrücklich begrüsst», sagt Balsiger.

Eine alleinstehende Anwohnerin – sie möchte ebenfalls anonym bleiben – hat Glück und bereits eine neue Wohnung gefunden. Zwar ausserhalb von Bümpliz, trotzdem sei es eine enorme Erleichterung: «Davor gab es Nächte, in denen ich deswegen kein Auge zugetan habe», gesteht sie.

*Name geändert

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