Darum gehts
Hans Zimmer (68) ist auf Konzerttournee und spielte Mitte November auch zweimal im ausverkauften Hallenstadion in Zürich. Der Uhrenhersteller IWC Schaffhausen, mit dem er zusammenarbeitet, mietete für ihn im «Dolder Grand» eine Suite und lud einige Kunden zu einem Get-together ein – und BILANZ zu einem Interview.
Hans Zimmer, reden wir Deutsch oder Englisch?
Bei Deutsch bleibe ich immer stecken. Wir machen es so, dass ich auf Englisch wechsle, wenn ich muss.
Einverstanden. In der Dezember-Ausgabe von BILANZ bringen wir jeweils die 300 Reichsten der Schweiz. Da gehörten Sie rein, wären Sie Schweizer oder lebten Sie in der Schweiz.
Ich ging hier ein paar Jahre zur Schule.
Das reicht nicht, um sich zu qualifizieren. Was halten Sie von solchen Listen?
(Wechselt auf Englisch und bleibt dann dabei.) Wir Deutschen und ihr Schweizer reden ja nicht über Geld. So bin ich aufgewachsen, so halte ich es.
Gemäss einer internationalen Liste besitzen Sie ein Vermögen von 180 Millionen Euro. Richtig?
Nein, weniger.
Was bedeutet Ihnen Ihr Geld?
Ich habe im jungen Alter entschieden, möglichst viel Geld zu verdienen. Inzwischen weiss ich, dass nichts über ein schönes Leben geht – und dass das nicht viel mit Geld zu tun hat und man sich dafür keinesfalls zu Tode arbeiten sollte.
Sagt ein Unermüdlicher, der für über 100 Filme die Musik gemacht hat und immer wieder Konzerte gibt.
Das ist nicht Arbeit. Musik spielt man, und das Spielerische prägt auch, wie ich und die meisten Leute, die mir nahestehen, mit dem Leben umgehen. Ich hatte immer genug Sicherheit, um das Spielerische aufrechtzuerhalten.
Themawechsel: Sie machen nicht einfach Musik, sondern schaffen ganze Soundwelten. Wie entstehen diese?
Es beginnt mit Gesprächen. Der Regisseur des Films liefert mir Geschichten, und ich weiss dann, was ich erzählen möchte. Mein Zutun braucht es dort, wo Worte, Bilder und Schauspieler nicht ausreichen. Ich liefere den Subtext. Meine Arbeit ist ein bisschen wie die von einem Küchenchef: Er heckt ein Menü aus, rüstet stundenlang Gemüse, schält Kartoffeln, bereitet alles vor, weiss, die Gäste kommen um acht. Dann schmeisst er alles in die Pfanne, und wenn die Gäste kommen, ist alles frisch und fein. Aber es beginnt nicht immer so. Im Fall von Chris Nolan zum Beispiel war am Anfang ein Brief.
Ein Brief?
Er schickte mir einen Brief, in dem er beschreibt, wie es ist, wenn ein Vater zum ersten Mal in die Augen seines neugeborenen Sohnes blickt. Er sagte, mach, was immer du willst. Es entstand ein kleines, sehr zerbrechliches Stück Musik. Als ich fertig war, kam er vorbei und sagte, jetzt machen wir den Film. Und ich fragte, was ist der Film? Und er begann über Weltraum, Metaphysisches und Liebe zu reden – es war «Interstellar».
Und wie haben Sie reagiert?
Ich habe ihn gefragt, warum hast du mich erst diese kleine Geschichte vertonen lassen? Er sagte, ich musste wissen, was der Kern dieser Story sein würde. So was funktioniert nur, wenn man auf der gleichen Welle ist. Ein anderes Beispiel: Als Teenager las ich das Buch «Dune» von Frank Herbert. Irgendwann viel später stand ich bei Warner Bros. und wartete auf meinen Wagen. Neben mir stand aus dem gleichen Grund der Regisseur und Drehbuchautor Denis Villeneuve. Er fragte mich, hast du einmal vom Buch «Dune» gehört? Ich reagierte aufgeregt wie ein kleiner Hund – und wurde die erste Person, die er für den Film angestellt hat. Auch er hatte das Buch als Teenager gelesen und war wie ich geflasht. Und so begannen wir beide den Film zu machen mit dem Spirit von zwei Teenagern und dem Know-how von zwei Männern, die schon viele Filme gemacht haben. Das war wirklich gut.
Beginnen Sie immer bei null?
Ja. Ich beginne immer mit einem leeren Papier, und das Blatt scheint nach so vielen Filmen immer leerer zu werden. Es erscheint immer schwieriger, die nächste neue Idee zu entwickeln, etwas zu machen, das wir noch nie gemacht haben.
Ist das wichtig?
Ja, und der Prozess ist inzwischen sehr kollaborativ, weil es nach so vielen Filmen immer schwieriger wird, eine völlig neue Idee zu entwickeln. In meiner Firma Remote Control Productions in Santa Monica beschäftigen wir 80 Mitarbeitende, 20 weitere dienen mir als Ghost Composers zu.
Aber Sie bleiben im Lead. Wie gehen Sie vor?
Das mit dem Papier ist metaphorisch, ich schreibe ja nichts nieder. Sondern ich sitze erst einmal auf meinen Händen vor meinem Keyboard, bis ich alles im Kopf bereithabe. Erst dann greife ich in die Tasten. Wenn ich es davor mache, kommt nur heraus, was ich schon einmal gemacht habe. Ich komponiere also in meinem Kopf und gehe dann davon aus, dass es, wenn ich mich am nächsten Tag nicht mehr erinnere, auch nicht gut gewesen ist.
Wann haben Sie gemerkt, dass Sie von Ihrer Kunst leben können?
Ich erinnere mich exakt daran. Es gab ein Studio, das ich jeweils in der Nacht nutzen konnte für meine eigenen Stücke. Tagsüber wurden dort vor allem Werbejingles hergestellt in einer Firma, die George Martin [1926–2016, britischer Musikproduzent und Arrangeur für die Beatles, Anm. d. Red.] gehörte. Eines Tages suchten sie jemanden, der sich mit Synthesizers auskennt, und da hiess es, es gibt da diesen Youngster, der bei uns im obersten Stock arbeitet. So kam es, dass ich meinen ersten Job von George Martin bekommen habe. An den Job selbst erinnere ich mich nicht mehr, aber an den Check. Der sagte mir, dass es möglich ist, davon zu leben und die Miete zu bezahlen.
Was hat das ausgelöst?
Einige Dinge in meinem Leben haben einiges klargestellt. Ich hatte zum Beispiel eine Nummer-1-Platte, noch bevor ich 31 Jahre alt war. Damals habe ich realisiert, wie das Plattenbusiness funktioniert – nämlich gar nicht, Geld bringt das nicht. Auch ein Oscar hat nichts Nachhaltiges. Als ich den ersten bekommen und daraufhin die Nacht durchgefeiert hatte, war ich am nächsten Tag im Studio, um ein neues Stück für einen Film zu produzieren, und es lief einfach überhaupt nicht.
Der Oscar ist immerhin die grösste Auszeichnung, die es in Ihrem Geschäft zu holen gibt.
Die grösste Auszeichnung ist für mich, dass ich immer noch gebeten werde, Filmmusik zu schreiben und dass ich immer noch relevant bin.
Gab es auch Misserfolge?
Klar. «Blade Runner 2949» zum Beispiel war finanziell ein totales Desaster. Daraufhin haben wir «Dune» gemacht, ein Riesenerfolg, und alle haben das Desaster vergessen. Aber ich nicht. Ich vergesse Erfolge, aber keine Misserfolge, die stecken wie Dornen in meinem Fleisch.
Gerade sind Sie auf Tournee mit «Hans Zimmer Live – The Next Level». Ihr Tourplan wäre auch für einen 20-Jährigen tough. Warum machen Sie das?
Vor etwa zehn Jahren haben zwei Freunde von mir [Johnny Marr von The Smiths und Pharrell Williams, Anm. d. Red.] auf mich eingeredet und gesagt, du kannst dich nicht für den Rest deines Lebens hinter dem Bildschirm verstecken, du musst den Leuten zeigen, dass du existierst. Ich sagte, ich kann das nicht, ich habe Angst vor der Bühne. Sie sagten nur, das haben alle, da musst du durch. Mach es.
Ist die Angst überwunden?
Nein, aber ich habe mich damit abgefunden. Ich bin 68 Jahre alt. Ich habe während 50 Jahren in einem fensterlosen Raum gesessen und erlebe es nun als sehr bereichernd, vor 20'000 anwesenden Menschen zu spielen.
Ihre Shows sind gigantische Veranstaltungen.
Ja, stimmt, es ist alles ein bisschen over the top – 24 LKWs, 10 Busse –, und die Reiserei ist verrückt und anstrengend. Wenn ich auf Tour bin, versuche ich deshalb vor allem, genug zu schlafen. Die ausufernden After-Show-Partys der 1960er- und 1970er-Jahre sind passé. Alle Stars, die ich kenne, machen es so: Sie liefern die Show, gehen duschen und dann so schnell wie möglich ins Bett. Eine Tour ist physisch sehr anstrengend.
Sie machen ja nicht nur Filmmusik und geben Konzerte, sondern machen auch anderes, etwa Sounds für IWC Schaffhausen. Wie kam es dazu?
Christoph Grainger-Herr, der CEO, kommt aus dem gleichen Dorf in der Nähe von Frankfurt wie ich. Das ist ein Riesenzufall, die Wahrscheinlichkeit beträgt etwa 1 zu 100 Millionen. Zudem haben wir uns spontan sehr gut verstanden. Eine gute Basis für eine Partnerschaft.
Sie haben für IWC unter anderem die Farben einer Big-Pilot’s-Kollektion vertont. Wie kam das?
Auch das entstand aus einem Gespräch. Bei IWC wussten sie, dass mich Farben sehr interessieren. Sie sind für mich sehr wichtig für den Klang, und der muss passen. Ein Aperçu: Der alte «Lion King» ist ein Trickfilm, handgezeichnet. Und es gibt eine Szene, die nicht eingefärbt war. Als ich sie schliesslich in Farbe gesehen habe, bin ich fast durchgedreht – und habe es bis heute nicht verdaut: Ich hatte die falschen Klangfarben verwendet. Das merkt niemand, mich schmerzt es bis heute, und es ist einer der Dornen in meinem Fleisch.
Sie tragen einen IWC-Zeitmesser. Teil des Vertrags?
Nein. Ich trage die Uhr, weil sie mir gefällt, und ich trage sie immer. Und zwar an der rechten Hand, weil ich inzwischen das Gewicht der Uhr kenne. Wenn ich ohne sie spiele, gehen die Finger immer etwas zu weit nach rechts. Die Uhr spielt quasi mit.
Apropos Ticken: Das Geräusch kommt immer wieder vor in Ihren Werken. Wofür steht es für Sie?
Ticken lässt alles offen. Solange es tickt, werden Sie nie wissen, wann das Monster angreift oder die Frau Sie küsst. Das ist das Geheimnis der Zeit. Sie werden nie wissen, wann Sie sterben, nie, wann Sie sich verlieben.
Scheint es nur so, oder machen Sie in letzter Zeit weniger Filmmusik?
Die Konzerte nehmen effektiv mehr Zeit ein in meinem Leben als das Komponieren. Ich mache weniger Filmmusik, aber es gibt auch weniger Filme, für die ich Musik machen will.
Was ist Ihr Ehrgeiz heute?
Ich strebe heute nicht mehr nach Brillanz, ich strebe nach dem Gefühl «Damit kann ich leben, es ist gut genug».
Sie haben die BBC Maida Vale Studios gekauft – warum?
Alle reden davon, wie teuer Orchester sind, fragen, ob wir heute wirklich noch Orchester brauchen mit künstlicher Intelligenz. Für mich ist das keine Frage, wir müssen die Orchester behalten, sie sind der fundamentale Beleg von Menschlichkeit. Und es ist wichtig, dass es Plätze gibt, wo Orchester aufnehmen können. Die BBC Maida Vale Studios sind fabulös für Klassik wie auch für Rock ’n’ Roll. Als es hiess, sie würden verkauft, war ich in Sorge, dass daraus ein weiterer Wohnblock gemacht wird. Drei Freunde – mein Partner Steve, der für mich alles Geschäftliche managt, und meine beiden Freunde, die meine Firma Working Title Films führen – und ich haben sofort reagiert und unseren Wunsch, die Studios zu kaufen, angemeldet. Es war der britischen Regierung und dem Bürgermeister von London absolut recht, dass wir das übernehmen.
Wie läuft das Vorhaben?
Wir haben die Studios vor über zwei Jahren gekauft, aber es gibt ein Problem: Das neue BBC-Studio ist noch nicht fertig. Wir haben eine Verlängerung um sechs Monate gewährt, nun bräuchten sie noch mehr Zeit.
Kommt es Ihnen auf ein paar Monate an?
Ich habe da so eine kleine, etwas giftige Stimme in mir. 1988 hat mich die BBC nämlich gefeuert, was im Nachhinein ja nicht schlimm war. Aber nun, jedes Mal, wenn ich an den Gebäuden, die wir gekauft haben, vorbeikomme, denke ich, jetzt sind die immer noch da. Und dann giftelt es, jetzt kündigst du ihnen. Das Problem ist, dass wir die Leute, die da arbeiten, sehr mögen. In diesem Sinne: Wir suchen eine Lösung und werden selbstverständlich auch eine finden.