Ex-Bankier Hummler zu US-Zöllen
«Die USA kritisieren die Geldpolitik unserer Nationalbank zu Recht»

Als Chef der Bank Wegelin war er für seine Analysen berühmt. Anders als viele denkt Konrad Hummler, dass US-Präsident Donald Trump mit seiner Zollpolitik nicht zufällig handelt. Wo die Schweiz nun ansetzen kann.
Publiziert: 10.08.2025 um 18:24 Uhr
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Aktualisiert: 10.08.2025 um 22:57 Uhr
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Von diesem Sitzungszimmer an der Museumstrasse in St. Gallen aus musste Konrad Hummler 2012 einen Grossteil der Bank Wegelin an die Amerikaner verkaufen.
Foto: Fabienne Bühler
Text: Max Fischer, Fotos: Fabienne Bühler
Schweizer Illustrierte

Er ist einer der besten Kenner der Schweizer Finanz- und Wirtschaftswelt: Der 72-jährige Konrad Hummler wechselte nach einem Engagement bei der Schweizerischen Bankgesellschaft zur ältesten Schweizer Bank, der Privatbank Wegelin. Dort war er geschäftsführender Teilhaber. In Zusammenhang mit dem Steuerstreit USA-Schweiz 2012 drohte Amerika mit einer Strafanzeige. Diese hätte die Bank an den Rand der Existenz gebracht. Wir treffen ihn im altehrwürdigen Haus an der Museumstrasse 1 in St. Gallen im Sitzungszimmer.

«Hier war die Kommandozentrale, als wir innert drei Wochen den Grossteil unserer Bank auf Druck der Amerikaner verkaufen mussten», so Hummler. Das Haus hat schon viel mitgemacht: Es war das erste Casino im Jahr 1802 in St. Gallen. Später war es auch Pfarrhaus. Heute ist darin Hummlers Thinktank M1 und die von ihm präsidierte Bach-Stiftung untergebracht. Er hat sich zum Ziel gesetzt, sämtliche Kantaten des Komponisten Johann Sebastian Bach aufzuführen. Nach 100 Tagen Amtszeit von Donald Trump hat Hummler die Schrift «Vom Umgang mit Amerika» herausgegeben.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

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Die Schweiz steht wegen des US-Zollhammers unter Schock. Sie kennen diese Situation. Sie zeigt, wie viel Macht die Vereinigten Staaten haben. Was empfehlen Sie?
Konrad Hummler: Man muss die Situation so nehmen, wie sie ist. Die Zollpolitik eines Landes ist eine Möglichkeit, um zu Geld zu kommen. Die Trump-Regierung hat zwei Ziele: Sie möchte wie jede Regierung den Wohlstand fördern – und sie will die Basisindustrien zurückholen. Das kostet. Und das wollen die Amerikaner nicht selber tragen. Das ist die Situation. Das kann man als gescheit oder nicht gescheit beurteilen. Das bringt nichts. Es ist einfach so. Das ist die Grundvoraussetzung, um darüber nachzudenken, was man als Schweiz jetzt machen könnte. Sich lächerlich machen und Aussagen, wie Trump sei psychopathisch, helfen nicht.

Was denn?
Wenn man in einer schwierigen Situation steckt, muss man die Gegenseite à fonds verstehen. Damals bei Wegelin haben wir wirklich von Grund auf kapiert, was die Gegenseite will. Man kann diese Rechnerei mit Prozenten und Handelsbilanzdefizit als absurd bezeichnen. Aber man muss sich in diese Absurdität hineindenken, um eine Lösung zu finden. 

Woran denken Sie?
Einen Punkt haben die Amerikaner zu Recht immer kritisiert: Das ist die Geldpolitik unserer Nationalbank. Diese war ausgerichtet auf den Schutz und die Förderung unserer Exportindustrie. Das ist nicht ihre Aufgabe, sie muss die Kaufkraftstabilität sicherstellen. Als Folge davon waren und sind die Zinsen auch jetzt wieder grundlos tief. Die Nationalbank hat so versucht, den Schweizer Franken zu schwächen. Mit der Folge, dass sich in der Bilanz der Nationalbank enorme Risiken angehäuft haben. Diesen sehr valablen Punkt könnte die Schweiz in die Waagschale werfen und sagen, wir kehren zurück zu einer kaufkraftorientierten Geldpolitik. Das wäre lediglich die Erfüllung ihres Gesetzesauftrags. So könnte die Schweiz sehr viel Wind aus den Segeln nehmen. 

Gibt es weitere Punkte?
Die Schweiz gehört mit durchschnittlich 25 Prozent Agrarzöllen zu den strengsten Märkten weltweit. Die Importbeschränkungen im Pharmabereich bewirken einen Teil der exorbitanten Gewinnen dieser Firmen. Man muss sich fragen, ob die Innovation auch tatsächlich dem entspricht. Diese Bereinigungen haben wir selber in der Hand. Wir müssen die Hausaufgaben machen, ein striktes Regierungsprogramm auf die Beine stellen und den Amerikanern sagen: Schaut, das machen wir, das ist unser Plan. 

Unsere Goldschmelzen im Tessin belasten die Handelsbilanz übermässig.
Diese Goldtransaktionen sind eine Ausnahmeerscheinung in den Jahren 2024 und 2025. Diese Geschäfte sind nicht zuletzt emporgeschnellt, weil die Regierung Trump diesen Goldrun ausgelöst hat. Und weil sich das Londoner Gold für die Amerikaner nicht eignet, weil diese lustigerweise in Kilo rechnen. Deshalb wird in der Schweiz umgeschmolzen. Das müsste in der Handelsbilanz abgezogen werden. Auch Präsident Trump könnte sich dieser Logik kaum entziehen. 

US-Präsident Donald Trump bei der ersten Ankündigung der Zölle im April 2025. Nun hat er diese in vielen Ländern – wie etwa der Schweiz – noch erhöht.
Foto: IMAGO/Andrew Leyden

Die meisten Ökonomen halten die Zollpolitik von Trump für schädlich – vor allem auch für die amerikanische Bevölkerung selber.
Man kann die Reindustrialisierung als politisches Ziel haben. Doch wenn die eigene Wirtschaft wegen dieser Zoll- und Handelspolitik nicht gut läuft, ist fraglich, ob man das Ziel erreicht. Zumal sich die Frage der Investitionssicherheit stellt. Hat jemand wirklich Lust, irgendwo in New Jersey eine neue Maschinenfabrik aufzustellen? Das braucht dann wirklich viel Vertrauen.

Und alle wissen, dass 2028 wieder Wahlen in den USA sind.
Diese versteckte Hoffnung hat man vor allem in Europa. Aber vor dem warne ich sehr. Da ist in den USA eine stärkere, eine nachhaltigere Kraft am Werk, die ein deutlich anderes Amerika will. Das will man hier nicht anerkennen, das wird bei uns unterschätzt. Ich bin auch mit vielem nicht einverstanden. Aber verstehen und einverstanden sein ist etwas anderes.

Sie gehen von einer neuen Weltordnung aus?
Ich sehe drei Szenarien. Die Welt wird in zwei oder drei Machtblöcke aufgeteilt. Typischerweise wird Europa dabei keine wesentliche Rolle spielen. Und die Schweiz auch nicht. Die zweite Möglichkeit ist die Rückkehr zu einer geregelten multilateralen Ordnung. Da würde sich die Schweiz zurechtfinden. Drittes Szenario ist ein Chaos, das nicht unwahrscheinlich ist. Das würde grosse Verwerfungen mit militärischen Auseinandersetzungen mit sich bringen. Die grosse Frage ist: Wird Europa weiterhin von den USA protegiert? Würden die USA New York opfern bei einem nuklearen Konflikt, um Paris zu schützen? Wenn nicht: Würde Europa Paris opfern, um Riga zu retten? Diese Fragen treiben mich enorm um. Was ist das für ein Europa, das diese Fragen löst?

Und die Rolle der Schweiz?
Die Schweiz ist in Europa strategisches Schlüsselgelände. Wir sind mittendrin, sitzen quasi auf den Alpen. Die wesentlichen Transfers in der Luft und auf dem Boden gehen durch unser Land. Entweder halten wir das Steuer selber in der Hand in einer chaotischen Welt – oder es wird für uns gehalten. Da müssen wir uns auf die Socken machen, um das zu beantworten.

Was müsste die Schweiz mehr ins Spiel bringen?
Wir sind enorm stark darin, mit vielen Seiten umgehen zu können. Wir sind das vielfältigste Land in Europa. Und diese Stärke müssen wir aufrechterhalten. Dass die Schweiz nicht deindustrialisiert ist, ist unglaublich gut. Der Grund sind viele äusserst fähige und top ausgebildete Leute aus ETH und Universitäten. Diese Skills braucht es auch im sicherheitspolitischen Bereich. Wir müssen uns aufs modernste Schlachtfeld ausrichten mit Drohnen und allem. Das ist nicht unmöglich. Das zeigt das Wunder der Ukraine – unglaublich, was sie zustande bringt gegen diese Übermacht Russland.

Nach der Bank Wegelin hat Hummler die Denkfabrik M1 aufgebaut und seine Bach-Stiftung. Seit 2018 ist er Präsident der Private Client Bank.
Foto: Fabienne Bühler

Noch Zeit für Ihr grosses Hobby Musik?
Ja, klar, etwa ein Drittel meiner Zeit ist Bach, Bach, Bach. Es ist inzwischen ein kleines KMU. Ende Jahr verschicken wir 300 Lohnausweise. Von den 220 Kantaten haben wir 200 aufgeführt – jetzt geht es noch etwa zwei Jahre, dann haben wir unser grosses Ziel erreicht. Alles ist auf Ton und Bild eingespielt. Auf Youtube und Spotify vertreiben wir es gratis. Das Echo ist im Millionen-Views-Bereich auf Youtube. Vor allem in Brasilien, Mexiko und Kalifornien schätzen sie unsere Aufnahmen sehr. Ende Jahr treten wir am Bach-Festival in Montreal auf. Das ist toll. Lokal produzieren, über Social Media global. Glocal funktioniert bei uns tipptopp.

Was fasziniert Sie an Bach?
Er ist der kompositorische Ur-Meter. Er ist einfach unglaublich gut. Er hat so viele andere Komponisten beeinflusst – bis hin zu den Beatles. Es ist ganz wichtig, dass die Kenntnis über diese Kompositionskunst über Generationen weitergegeben wird.

Sie spielen selber Geige.
Für den Hausgebrauch. Etwas ernster betreibe ich die Appenzeller Streichmusik. Diese liebe ich über alles. Regelmässig spiele ich im Echo vom Notenstein – mit früheren Mitarbeitenden der Notenstein-Bank.

Kommen Sie noch zum Bergsteigen?
Ich komme gerade aus dem Engadin zurück. Vorher machte ich eine gröbere Biwak-Tour mit einem Pfadi-Kollegen. Es zieht uns regelmässig in die Wildnis. Diesmal wurden wir im Silvretta-Gebiet vom Wetter überrascht: Wir mussten zuerst Schnee räumen, bevor wir unser Zelt aufstellen konnten. Solche Touren möchte ich so lange wie möglich machen. Man kann sagen: Kindskopf. Aber das ist einfach toll, in der Natur draussen, etwas Einfaches aus dem Kochtopf essen. Das ist Lebensqualität.

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