Karin Bertschi berichtet vom Ansturm auf ihre Sammelstelle
1:22
Leiterin Recycling-Paradies:«Vieles wäre funktionstüchtig, wird aber weggeworfen»

«Ein befreiendes Gefühl»
Bereit für 2026: Was die Menschen vor dem Jahresende alles noch entsorgen

Die Besucher des Recycling-Paradieses wollen vor dem Ende des Jahres noch ihren alten Ballast loswerden. Blick war in Spreitenbach AG vor Ort – und weiss, was alles in der Mulde landet.
Kommentieren
1/8
Izabela und ihre Tochter Alicia A. haben den Keller leergeräumt.
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • Im Recycling-Paradies in Spreitenbach werden vor Silvester viele Materialien entsorgt
  • Über 30 Stoffe wie Glas, Alu-Dosen und Sperrgut werden gesammelt
  • 2026 startet der Bau einer neuen Sammelstelle in Bülach ZH
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Es klirrt, rattert, hupt und piepst. Ein Auto nach dem anderen fährt vor, gefüllt mit Säcken voller PET-Flaschen und Kisten gefüllt mit Karton. Lieferwagen sind mit Matratzen, Spielsachen oder alten Möbeln vollgepackt. Alles landet in den verschiedenen Mulden der Sammelstelle – vor dem Jahresende besonders viel. 

Izabela A.* (38) und Tochter Alicia (12) sind am Montag nach Weihnachten im Recycling-Paradies in Spreitenbach AG zu Besuch. «Wir haben im Keller Platz für Neues gemacht – es ist ein befreiendes Gefühl», so die dreifache Mutter gegenüber Blick. Sie und ihre Tochter entsorgen unter anderem kistenweise altes Unterrichtsmaterial aus der Schulzeit der Mutter. Die roten Plastikstühle von Alicia erhalten sogar ein zweites Leben: Sie darf sie in die Spielecke des Recyclinghofs stellen. 

Rebekka D.* (47) aus Würenlos AG hat ihren Keller komplett umgebaut: Weichen musste deshalb ein altes Regal. Die zahlreichen Kartonschachteln von den vielen Weihnachtsgeschenken entsorgt die Mutter gleich mit: «Vor unseren Ferien in den Bergen wollte ich das unbedingt noch erledigen.»

Voller Einsatz vor Silvester

Karin Bertschi (34) leitet mit ihren drei Geschwistern die Firma Recycling-Paradies mit insgesamt fünf Standorten im Kanton Aargau. 2026 startet zudem der Bau einer neuen Sammelstelle in Bülach ZH, zwei weitere Filialen sind geplant.

Vor dem Jahresende geht es oft besonders turbulent zu und her. «Die Leute wollen befreit ins neue Jahr starten. Nach dem Festschmaus kommt da neben Glas, Karton und Geschenkpapier einiges zusammen», so Bertschi. Sie ist deshalb froh um jede helfende Hand: Über 50 Angestellte sind aktuell im Einsatz. 

Geschäftsführerin Karin Bertschi bietet auch Führungen für Schulklassen an.
Foto: Philippe Rossier

Im Recycling-Paradies werden über 30 verschiedene Stoffe gesammelt: neben Glas, Karton oder Alu-Dosen unter anderem auch Kork, Styropor, Batterien oder Sperrgut. Bertschi sammelt zudem Velos, Krücken und Rollstühle für verschiedene Hilfsorganisationen.

Auch Elektrogegenstände wie Wasserkocher oder Spielsachen finden hier ihr Ende. «Viele Dinge wären eigentlich noch funktionstüchtig – es tut etwas weh im Herzen, diese zu entsorgen», so Bertschi. Sie macht die Personen jeweils darauf aufmerksam, dass man die Güter auch weiterverschenken oder ins Brocki bringen könnte. 

Kinder helfen ihren Eltern

Bei Familie Cancela hilft der kleine Sohn beim Entsorgen des Billardtischs fleissig mit. «Wir misten jedes Jahr nach Weihnachten aus, dann haben wir immer freie Zeit», erklärt der Vater zu Blick. Dieses Jahr entsorgt er neben einem alten Fernseher auch einen Schlitten.  

1/7
Familie Cancela kommt gleich mit zwei Autos angefahren. Der kleine Sohn hilft beim Entsorgen des Billardtischs ...
Foto: Philippe Rossier

Emilie W.* (85) freut sich über die perfekte Infrastruktur. Da die Mulden tief sind, kann sie hier noch selber entsorgen. Im Detailhandel sind die Sammelstellen oft zu hoch für die Seniorin, die ihre Schulter nicht mehr richtig bewegen kann. Deshalb fährt sie einmal pro Woche ins Recycling-Paradies. 

Nexhmedin K.* (49) aus Mellingen AG kommt ebenfalls regelmässig hier vorbei. Da seine Familie vor kurzem neue Möbel bei einer Ikea-Aktion gekauft hat, muss das alte Bett samt Matratzen weichen. «Ich finde das Recycling hier einfach super. Andere Länder sollen sich die Schweiz zum Vorbild nehmen», schwärmt er. 

Jahr sauber abschliessen

Aber wieso quälen sich alle in der eh schon hektischen Weihnachtszeit noch zum Recyclinghof? «In der stressigen Weihnachtszeit ist es zwar unpraktisch, aber die Motivation ist durch die Symbolik des Datums am höchsten», erklärt Christian Fichter (54), Wirtschaftspsychologe an der Kalaidos Fachhochschule. Das Jahr gelte als abgeschlossene Einheit: «Wir wollen diese sauber beenden.»

«
«Ausmisten gibt uns das Gefühl von Kontrolle, Abschluss und Neubeginn.»
Wirtschaftspsychologe Christian Fichter
»

Vielen würde es zum Jahresende zudem einfacher fallen, sich von geliebten Gegenständen aus der Vergangenheit zu trennen. «Ausmisten gibt uns das Gefühl von Kontrolle, Abschluss und Neubeginn», so Fichter weiter.

Doch Achtung: Schnell landet auch mal etwas in der Entsorgung, das man im Nachhinein dann doch vermisst. «Man nennt das den Action Bias – den Drang, etwas zu tun, nur um das Gefühl von Fortschritt zu haben», so der Experte. Überstürzen sollte man es also nicht – doch Platz für das neue Jahr zu schaffen, kann durchaus befreiend sein. 

* Namen bekannt 

Was sagst du dazu?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen