Darum gehts
Kreislaufwirtschaft soll Abfall und die Verschwendung von Ressourcen vermeiden. Dazu forscht Karolin Frankenberger, Professorin für Strategie und Innovation an der Universität St. Gallen. Im Beobachter-Interview beleuchtet sie die Hürden in der Schweiz und erklärt, wie die Transformation gelingen kann.
Eine neue Studie der Berner Fachhochschule zeigt: 27 Prozent der Schweizer Unternehmen haben die Kreislaufwirtschaft in ihrer Strategie verankert – doch nur 10 Prozent setzen sie tatsächlich um. Woran liegt das?
Karolin Frankenberger: Eine Veränderung zu wollen und eine Strategie zu formulieren, ist das eine – sie jedoch konsequent umzusetzen, ist weitaus schwieriger. Das zeigt sich nicht nur bei der Kreislaufwirtschaft, sondern auch bei der digitalen Transformation oder bei Entwicklungen rund um künstliche Intelligenz. Die Herausforderung besteht darin, die gesamte Organisation und das Geschäftsmodell neu zu denken. Eine gute Kooperation mit Partnern ist zentral. Und häufig steckt der Teufel im Detail.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Sind die strategischen Absichten denn überhaupt ernst gemeint, oder ist das nicht eher Greenwashing?
Ich sehe viele Unternehmen in der Schweiz, die sich ernsthaft mit Kreislaufwirtschaft auseinandersetzen. Erfreulicherweise halten viele auch in Zeiten geopolitischer Unsicherheiten an ihren Vorhaben fest. Sie kehren nicht auf den alten Pfad zurück, weil sie überzeugt sind, dass der neue langfristig der richtige ist.
Welche konkreten Beispiele aus der Schweiz machen Ihnen Hoffnung?
Der Haushaltsgerätehersteller V-Zug, der Waschmaschinen nun auch im Leasingmodell anbietet, ist ein gutes Beispiel. Die Geräte bleiben im Besitz des Herstellers, ebenso die Verantwortung für Wartung und Reparatur. Er sorgt auch dafür, dass die Geräte am Ende ihres Lebenszyklus ersetzt und fachgerecht recycelt werden. Eine Waschmaschine hält im Schnitt 20 Jahre – aber längst nicht alle Materialien und Teile müssen weggeworfen werden. Die Trommel beispielsweise hält bis zu 120 Jahre und kann problemlos ausgebaut und in ein neues Gerät eingesetzt werden. Für Verwaltungen ist das Modell attraktiv, da sie sich nicht um Service, Reparatur oder Entsorgung kümmern müssen und jederzeit Zugang zu funktionierenden Geräten haben. Neben Leasingmodellen gibt es auch Abomodelle, bei denen der Kunde monatlich für die Nutzung zahlt – auch dort ist das Recycling gewährleistet.
Fensterglas könnte zu 100 Prozent recycelt werden, doch es wird einfach entsorgt, weil das billiger ist. Kürzlich wurde ein Pilotprojekt zum Recyceln von Fensterglas lanciert – hier kam die Initiative von einer jungen Forscherin der ZHAW.
Auch das ist ein ermutigendes Beispiel. Viele Forschende suchen nach Wegen, Materialkreisläufe zu schliessen. Das ist ja der Kern der Kreislaufwirtschaft: möglichst wenig Primärrohstoffe zu verbrauchen und stattdessen bereits genutzte Ressourcen im Umlauf zu halten. Auch bei Matratzen gibt es Fortschritte: Die niederländische Firma Auping hat kreislauffähige Modelle entwickelt. Sie werden am Ende ihres Lebenszyklus gereinigt und recycelt statt weggeschmissen. In der Schweiz hingegen wird ein Grossteil der Matratzen aktuell noch verbrannt. Doch es gibt eine Allianz, die das ändern und ein Matratzenrecycling aufbauen möchte.
Aktuell wirken diese Projekte noch wie Einzelfälle. Glauben Sie wirklich, dass sich die Wirtschaft vollständig zur Kreislaufwirtschaft transformieren wird?
Ja, ich glaube daran, aber ich bin auch realistisch: Das wird noch dauern. Und eigentlich ist es keine Frage des Glaubens. Wir haben schlicht keine andere Wahl. Unser Planet leidet zunehmend, der Klimawandel ist Realität. Wir müssen unsere Denkweise ändern. Allerdings wird sich das Thema nicht flächendeckend durchsetzen, solange der Druck nicht grösser wird. Im Moment gehen die Pioniere freiwillig voran.
Profitieren die Pioniere am Ende von ihrem Engagement, oder bleiben sie auf den Entwicklungskosten sitzen?
Es ist beides möglich. Sie investieren viel in die Entwicklung, sichern sich aber auch einen strategischen Vorsprung. Wer die Umstellung frühzeitig schafft, kann sich als Innovationsführer positionieren. Und wenn er es klug anstellt, kann er seine Kosten früher als die Konkurrenz runterbringen. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen Pioniere letztlich nur die Kosten getragen haben – während andere später kamen und sie aus dem Markt verdrängt haben.
Was sind die grössten Herausforderungen für Unternehmen bei der Umstellung auf Kreislaufwirtschaft?
Die grösste Hürde ist, dass alle vier Dimensionen eines Geschäftsmodells überdacht werden müssen. Zuerst das Wertversprechen: Verspreche ich dem Kunden lediglich einen günstigen Preis – oder eben auch gute Qualität und eine nachhaltige Produktion? Zweitens die Lieferketten: Globale, komplexe Strukturen erschweren es, die Produktion bei Zulieferern zu kontrollieren. Oft fehlt auch ein System, das Materialien am Ende des Produktlebenszyklus erfasst und zurück in die Lieferkette bringt. Diese Rückführung müsste viel stärker mitgedacht werden.
Das würde sich vermutlich auf den Preis auswirken?
Ja. Die Preisgestaltung ist die dritte Dimension. Unternehmen müssen sich überlegen, ob sie den Mehrpreis an die Kundschaft weitergeben oder ob es andere Möglichkeiten wie das erwähnte Leasing gibt. Der letzte Aspekt ist der Kunde selbst. Auch er muss sich verändern. Solange einzig der günstigste Preis zählt, wird es nicht funktionieren.
Gibt es Branchen, die Ihnen besonders Sorgen bereiten?
Die Textilbranche ist mit Abstand die schwierigste Branche. Fast Fashion ist kaum zu bremsen. Ich habe selbst Teenager zu Hause: Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist in dieser Generation zwar vorhanden, doch wenn es um Mode geht, ist die Umsetzung oft ernüchternd. Da stellt sich schon die Frage, wie weit wir als Gesellschaft sind. Hinzu kommt, dass die Branche aufgrund der eingesetzten Chemikalien besonders problematisch ist. Es gibt zwar vielversprechende Ansätze, etwa unser gemeinsames Projekt mit BASF: eine Recyclinganlage, die Textil-zu-Textil-Recycling ermöglicht – auch bei Mischgeweben mit Elasthan. Solche Projekte machen bis jetzt aber nur einen geringen Teil der Produktion aus.
Warum verbietet man gewisse Mischgewebe, die kaum recycelbar sind, nicht einfach?
Ich bin überzeugt: Daran führt kein Weg vorbei. Es braucht klare gesetzliche Vorgaben. Doch da wir in einer globalen Wirtschaft leben, müsste das idealerweise auf internationaler, mindestens aber auf EU-Ebene geregelt werden.
Werden Kreislaufwirtschaft und Wiederverwertung nicht manchmal überschätzt? Gerade bei Kleidung wäre es nachhaltiger, weniger zu konsumieren und Sachen länger zu nutzen. Wo ergibt «reduce» mehr Sinn, wo «reuse»?
Wir alle wissen, dass wir viel zu viele Kleidungsstücke besitzen. Ein Teil wird durchschnittlich nur fünfmal getragen und dann entsorgt. Weniger kaufen – das wäre ein wichtiger Schritt. Bei Haushaltsgeräten oder Autos hingegen ist es häufig ökologischer, ein neues, energieeffizientes Modell zu wählen, als ein altes weiter zu nutzen. Das konnten wir in Studien belegen.
In der EU gelten seit kurzem neue Regeln, die Reparaturen vereinfachen. In der Schweiz dagegen hat die Migros angekündigt, nur noch Geräte mit Garantie zu reparieren. Das wirkt rückschrittlich. Wo steht die Schweiz beim Thema Reparatur?
In der Schweiz gibt es hier tatsächlich noch einiges zu tun. Der Staat sollte Anreize schaffen – wie etwa in Österreich, wo jeder Bürger einen Reparaturgutschein nutzen kann. Momentan lohnt sich Reparieren bei uns oft nicht, weil ein Neukauf günstiger ist. Hinzu kommt: Viele Produkte sind nicht reparaturfreundlich designt. Beim iPhone etwa kann man den Akku kaum auswechseln – also kauft man ein neues Gerät. Eigentlich sollte man die Teile eines Handys, die am schnellsten kaputtgehen, reparieren können. Da müsste man Druck auf die Industrie ausüben. Immerhin gibt es mit dem USB-C-Standard bereits einen kleinen Fortschritt – man muss nicht mehr für jedes Gerät ein neues Kabel kaufen.
Braucht es also mehr Regulierung?
Es braucht ein Zusammenspiel aus Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Auch die Konsumentinnen und Konsumenten müssen Verantwortung übernehmen. Am Ende funktioniert es nur, wenn alle mitziehen. Ich finde es nicht fair, alles dem Gesetzgeber aufzubürden. Veränderung muss auf allen Ebenen stattfinden.