Darum gehts
- SBB vergeben 2-Milliarden-Auftrag an Siemens statt Stadler Rail
- Schweiz diskutiert Sinnhaftigkeit der Vergabe an ausländisches Unternehmen
- Doch der Spielraum der Schweiz ist sehr begrenzt
Das hat sich SBB-CEO Vincent Ducrot (63) wohl ganz anders vorgestellt: viel Applaus, weil die SBB mit dem teuersten Auftrag ihrer Geschichte die chronisch überfüllten S-Bahnen entlasten. Doch stattdessen streitet die Schweiz darüber, wie sinnvoll es ist, den Auftrag für 2 Milliarden Franken an ein deutsches statt ein schweizerisches Unternehmen zu vergeben.
Der Zuschlag für die Lieferung der 116 Doppelstockzüge geht an Siemens statt an Stadler Rail, was nicht nur den Stadler-Patron Peter Spuhler nervt. Denn es stellt sich die Frage, ob sich die Schweiz im Zeitalter von zunehmendem Protektionismus nicht zu brav verhält, ihre Haut zu wenig teuer verkauft.
«Die Schweiz verhält sich wie ein Musterknabe, weil sie es sich nicht anders leisten kann. Sie ist abhängig vom Funktionieren der Welthandelsordnung», sagt Peter Hettich (50), Professor für öffentliches Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen. Ähnlich argumentiert Desirée Klinger (37). Die Assistenzprofessorin für Verwaltungsrecht an der Universität St. Gallen setzt sich intensiv mit dem Thema öffentliche Beschaffungen auseinander: «Die entscheidende Frage ist, ob es sich die Schweiz überhaupt leisten kann, protektionistischer aufzutreten.»
Schweiz ist auf Regeln angewiesen
Also etwa so wie Frankreich, wo die Aufträge der Staatsbahnen häufig an Alstom gehen. Oder in Deutschland jene der Deutschen Bahn an Siemens. Das kann aber auch Nachteile haben, ist Hettich überzeugt: «Es besteht eine gewisse Gefahr, dass andere Anbieter sich gegen eine Offerte entscheiden könnten, falls ein Unternehmen eine Art Hoflieferanten hat.» Das heisst, würde sich im Markt herumsprechen, dass in der Schweiz meist Stadler Rail zum Zug kommt, bestünde die Gefahr, dass die Schweiz von einem einzigen Lieferanten abhängig wäre – mit entsprechenden Folgen für Qualität und Wettbewerb.
Immerhin: Stadler Rail kann auf eine lange Liste von Aufträgen im Ausland zurückblicken, hat sich immer wieder mal gegen die einheimische Konkurrenz durchsetzen können.
Deshalb der Ratschlag von Hettich: «Solange sich die EU an die Regeln hält, sollten wir das auch.» Das Problem der Schweiz ist ein anderes: «Wir sind in der dummen Situation, dass wir stark in andere Länder exportieren, aber die Regeln nicht mitbestimmen können.»
Schweizer Protektionismus sei keine Lösung
Dabei sind die Regeln – sofern sich alle daran halten – recht klar. «Zuschlagskriterien sind etwa der Preis, die Qualität, die Nachhaltigkeit und Referenzprojekte», so Klingler. Ihr Fazit: «Im öffentlichen Beschaffungsrecht gibt es keine Bevorzugung von Schweizer Firmen, das beste Produkt gewinnt.»
Was wohl viele in der Schweiz irritiert, ist, dass in den USA und auch in Europa immer mehr Stimmen laut werden, im öffentlichen Beschaffungswesen einheimische Produzenten zu bevorzugen. In den USA gilt die Doktrin «Buy American» allerdings schon lange, sie geht auf die Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren zurück. Auch Trump-Vorgänger Barack Obama (64) oder Ex-Präsident Joe Biden (82) haben immer wieder amerikanische Anbieter bevorzugt. «Es ist ein schmaler Grat zwischen ‹Buy Swiss› und dem Zugang zu internationalen Märkten, der für die Schweiz sehr wichtig ist», warnt Klingler.
Denn die Retourkutsche der grossen Handelsmächte könnte einiges teurer ausfallen als ein entgangener 2-Milliarden-Auftrag an ein Schweizer Unternehmen.